Schwarze Pioniere in Kalifornien

Die unerzählte Geschichte

29:20 Minuten
Jonathan Burgess posiert vor dem Land seiner Vorfahren für ein Foto.
Jonathan Burgess vor dem Land seiner Vorfahren. Neuerdings steht hier eine Infotafel, ein Resultat seiner Recherchen und Aufklärungsarbeit. © Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Von Kerstin Zilm |
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Weiße Siedler brachten während des Goldrausches auch Sklaven mit nach Kalifornien. Als diese endlich in Freiheit leben konnten, nahm man ihnen ihr Land. Jonathan Burgess ist einer ihrer Nachfahren. Unbeirrt kämpft er um Anerkennung und Entschädigung.
Ranger Ed Allen zeigt vor einer Gruppe von Viertklässlern auf das Sägewerk, vor dem sie sich am Ufer eines Flusses versammelt haben. Dies ist nicht irgendein Sägewerk, sondern die Nachbildung der historischen Sägemühle, bei deren Bau der Zimmermann James Marshall glänzende Kiesel im Flussbett des American River entdeckte.

"Bei Gott, ich habe eine Goldmine gefunden"

Es ist ein kalter Morgen im Januar des Jahres 1848. Marshall hebt ein paar der Kiesel auf. Jeder ist halb so groß wie eine Erbse. Er hämmert mit einem Stein auf den Klumpen herum und als sie flach werden, verkündet er: „Bei Gott, ich glaube, ich habe eine Goldmine gefunden.“
Das ist der Beginn des kalifornischen Goldrauschs. Er lockt im darauffolgenden Jahr Hunderttausende auf der Suche nach schnellem Reichtum in das abgeschiedene Tal, das an den Schwarzwald erinnert, mit seinen Bergen, Weiden, plätschernden Bächen, moosbedeckten Felsen und dichten Wäldern.
Ed Allen hat diese Geschichte des Goldrauschs schon Tausende Male erzählt. Seit über 19 Jahren führt der Historiker Schulklassen ehrenamtlich durch den Marshall Gold Discovery Park in Coloma.

Fotos und Urkunden als Beweismittel

Ganz anders hört sich die Tour durch den Park an, die Jonathan Burgess manchmal an seinen freien Tagen Freunden und Bekannten gibt. Der knapp 50 Jahre alte Bataillonsleiter einer Feuerwache im 70 Kilometer entfernten Sacramento ist Afroamerikaner.
In Turnschuhen, Khakihosen und mit einem Ordner unter dem Arm steht er vor dem Museum und zeigt auf die andere Straßenseite. Dort habe sein Urgroßvater eine Schmiede besessen, sagt Jonathan Burgess. Im höher gelegenen, weniger von Überschwemmungen gefährdeten Teil des Dorfes.
Vorfahren von ihm kauften später große Grundstücke im Ort, auf denen sie Obstplantagen anlegten. Jonathan Burgess zieht aus seinem Ordner die Kopie einer Quittung aus dem Jahr 1885 heraus: 61 Dollar 50 für den Verkauf von Pfirsichen. Ausgestellt von einem Großmarkthändler in Sacramento für Rufus Burgess.
Jonathans Urgroßvater hat die Quittung mit anderen Dokumenten in der Familienbibel hinterlassen. Auch Jonathans Mutter sammelte Zeitungsartikel, Fotos, Urkunden und Bücher über die Familiengeschichte. Außerdem interviewte sie Verwandte über deren Erinnerungen. Ihre Notizen brachte sie ins örtliche Museum. Jonathan Burgess hasste Familienausflüge nach Coloma.

Jeweils 59 Dollar Entschädigung

Die Straßen waren staubig, erinnert er sich, die Fahrt dauerte ewig, und der Park weckte bei seinem Onkel schmerzhafte Erinnerungen, die er damals nicht verstand.
„Wir haben meinen Onkel Marion oft hierhergebracht und er setzte sich immer auf einen großen Stein und zeigte auf das Land. Er hat über die Wiesen zum Fluss gezeigt und geweint“, erzählt er.
Inzwischen weiß Jonathan: Sein Onkel Marion weinte, weil das Land, auf das er zeigte, einmal der Familie gehörte. Doch ihre Obstplantagen wurden ihnen genommen. Im Jahr 1948 erklärte der Bundesstaat Kalifornien ihr fruchtbares Land am Fluss für unbewohnbar, enteignete die Burgesses und legte den Marshall Gold Discovery Park an.
Marion Burgess und seine zwei Brüder zogen gegen die Enteignung vor Gericht. Das sprach ihnen je 59 Dollar Entschädigung zu. In Jonathans Ordner ist auch eine Kopie dieses Urteils.

Keine Spuren der versklavten Goldgräber

Die Enteignung war das zweite große Unrecht, das den Burgesses an diesem Ort widerfahren ist. Das erste wurde 100 Jahre vorher Jonathans Ururgroßvater, Rufus Burgess, angetan. Er war aus New Orleans nach Coloma gekommen. Nicht freiwillig, sondern versklavt. Sein Besitzer, ein Mr. Bell, zwang ihn zur 3500 Kilometer langen Reise von Louisiana nach Kalifornien, um dort für ihn nach Gold zu schürfen.
Jonathan Burgess posiert mit einer Schulklasse für ein Foto.
Jonathan Burgess mit einer Schulklasse: Er gibt Führungen auf dem Land, das einst seinen Vorfahren gehörte.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm

Als Gold entdeckt wurde, kamen Weiße hierher. Manche brachten ihre Bräuche aus den Südstaaten mit und ihr Schießpulver, mit dem sie die Indigenen von hier verjagten. Nirgendwo auf den Bildern hier im Park werden die versklavten Goldgräber gezeigt. Es gibt Bücher über diese schwarzen Pioniere, aber hier im Park werden sie nirgendwo erwähnt.

Jonathan Burgess

Die ehemals versklavten Pioniere bauten sich Existenzen auf, nachdem die einflussreichen weißen Familien aus Coloma weitergezogen waren. Das geschah in den 1850er-Jahren, als es kaum noch Gold im Fluss gab und das Sägewerk stillgelegt war. Die meisten Weißen siedelten um in die neue Bezirkshauptstadt Placerville, ein paar Kilometer weiter südlich, höher gelegen und dadurch nicht durch Überschwemmungen gefährdet.

"Es ist immer noch unser Land"

Jonathan Burgess zeigt auf eine Wiese und einen Hang hinter dem Museum, auf der vereinzelt knorrige Birnbäume stehen. „All das Land gehörte uns. Hier waren Obstplantagen und eine Ranch. Das sieht man auf einem Stadtplan von 1857. Wo das Museum jetzt steht, das war unser Land. Es ist immer noch unser Land.“
Mehr als 30 Hektar Fläche habe die Familie besessen, sagt Jonathan Burgess. Er fordert das Land zurück vom Bundesstaat Kalifornien. Mindestens genauso wichtig wie eine materielle Entschädigung ist ihm aber, dass die Geschichte schwarzer Pioniere endlich erzählt wird und niemand mehr verschweigt, wie der Westküstenstaat ihre intakte und wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaft in Coloma zerstörte.
„Das Museum muss bleiben, aber es muss ehrlich zeigen, was hier einmal war und wem das Land einmal gehörte. Kalifornien kann das Gelände von uns pachten. Ich fände es großartig, wenn in diesem Museum die wahre Geschichte erzählt werden würde“, sagt er.

Der weiße Schmied ist skeptisch

Jonathan Burgess hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Museums seinen Schatz von handschriftlichen Aufzeichnungen und Original-Dokumenten aus der Familienbibel, Fotografien, Zeitungsartikel und Urkunden aus staatlichen Archiven gezeigt.
Er stieß auf Interesse, aber auch auf viel Skepsis. Wie beim Schmied in der großen Holzscheune gegenüber vom Museum auf der anderen Straßenseite. Mark Kochan demonstriert Touristen und Schulklassen wie Schmiede vor 200 Jahren Werkzeuge und Ersatzteile für Planwagen mit Amboss, Hammer und Zange hergestellt haben.
An diesem Tag schauen nur zwei Besucher zu, wie Mark Kochan in Lederschürze und mit Schutzbrille ein flaches Stück Eisen so lange hämmert, bis daraus ein Flaschenöffner mit Pferdekopf geworden ist. Als Jonathan Burgess dazukommt, begrüßt er ihn mit einem breiten Lächeln.
Der Schmied Mark Kochan bei der Arbeit
Mark Kochan in der Schmiede, die einst von Afroamerikanern erbaut wurde.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Der drahtige Mann mit einem schlohweißen Bart und dünnem Haar, das er im Nacken zum Pferdeschwanz zusammenbindet, arbeitet seit vielen Jahren im Park. Er hat viel über dessen Geschichte gelesen und weiß, dass die Schmiede, in der er arbeitet und das Wohnhaus nebenan Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Afroamerikaner gebaut wurden. Dessen Familie baute im Tal wie die Burgesses erfolgreich Obst an.
Es ist Mark Kochan neu, dass auch Jonathans Familie eine Schmiede im Ort besaß.

Geschichte wird von Siegern geschrieben

Die Geschichte der Schwarzen in Coloma sei ganz schön kompliziert, findet Kochan. Das alles sei gar nicht so kompliziert, widerspricht Jonathan, es habe nur niemand diesen Teil der Vergangenheit dokumentiert. Mark Kochan lacht sarkastisch. Die Geschichte werde eben von den Siegern geschrieben.
Für Jonathan hat der Schmied einen Tipp: „Es ist wichtig, dass du die Geschichte so erzählst, wie du sie kennst und die Fakten belegst. Zu den anderen, mehr spekulativen Sachen, da sagst du: Alles deutet darauf hin, dass es soundso ist. Dann nehmen die Leute dich ernst, weil sie wissen, du hast gut recherchiert und kennst den Unterschied zwischen Fakten und Hörensagen.“
Außerdem empfiehlt er Jonathan, im Stadtarchiv von Placerville zu stöbern. Dort seien wahre Schätze über die Geschichte des Goldrauschs zu finden. Besonders in der Zeitung der Goldgräber, dem „Miners Advocate“.
Jonathan kennt das Blatt gut. Er traut den Artikeln aber nicht so wie den Geschichten seiner Vorfahren, die über Generationen weitererzählt wurden.
„Ich habe bei meinen Recherchen herausgefunden, dass sie nicht über Schwarze schreiben, und wenn sie es tun, dann nur herablassend. Nie positiv. Wir dürfen nicht vergessen, was das für Zeiten waren. Solange Artikel nicht von Schwarzen geschrieben wurden, ist nichts über Schwarze drin. Wenn in dieser Zeitung von Landbesitzern die Rede ist, dann haben sie alle eines gemeinsam – deine Hautfarbe“, sagt er.
Die beiden Männer diskutieren noch eine Weile, bis Jonathan sich leicht frustriert verabschiedet.

Null Diversität in Coloma

Jonathan Burgess folgt dem Weg der offiziellen Tour durch den Park und zeigt zu Wohnhäusern am Rande des Parks, etwa 300 Meter flussabwärts.
„Da drüben, wo die Frau Yoga im Garten macht: Laut staatlichen Unterlagen war das mal Eigentum der Monroe und Burgess Familien. Sie wurden vertrieben, aber jetzt leben hier wieder Privatleute. Das haut mich einfach um. Und niemand hier ist schwarz, nicht eine schwarze Familie“, erzählt er.
427 Menschen wurden bei der letzten Volkszählung in Coloma registriert. 97 Prozent davon waren weiß, weniger als ein halbes Prozent afroamerikanisch.

Die Rassisten haben ihr Ziel erreicht. Null Diversität im Ort. Alle kennen mich hier. Ich bin Jon, und wenn ich hier bin, meistens der einzige Schwarze. Ich falle auf. Die, die die Schwarzen aus dem Tal verjagt haben, haben genau das geschafft, was sie wollten.

Jonathan Burgess

Die Notizen der Mutter

Auf der Autofahrt nach Hause beschäftigt ihn noch immer das Gespräch mit dem Schmied. Jonathan hat genug davon, dass Weiße ihm erklären, wie er recherchieren und seine Erkenntnisse belegen soll. Er traut Dokumenten aus staatlichen Archiven schon lange nicht mehr.
„Wenn etwas abgetippt ist, dann frage ich: Wer hat das getippt und wo ist das Original? Ich habe viel Abgetipptes gelesen und nirgendwo werden schwarze Sklaven erwähnt. Wir wissen aber, dass sie in Coloma waren“, erklärt er.
Und weiter: „Sie glauben uns Nachfahren nicht, was wir aus Familienüberlieferungen darüber wissen. Aber wir sollen einfach akzeptieren, was irgendjemand über unsere Familien geschrieben hat? Meine Mutter hat das nicht hingenommen und ihre eigenen Notizen gemacht.“
Der Wohnzimmertisch in Jonathan Burgess spärlich möbliertem Einfamilienhaus am Rand von Sacramento ist bedeckt mit Stadtplänen, Landkarten, Luftaufnahmen, Urkunden, Fotos und Zeitungsartikeln. Viele davon bewahrt er in Plastikhüllen auf.
Er zieht ein Dokument aus dem Stapel: das Gerichtsurteil über das 1948 enteignete Land, schwungvoll geschrieben, mit Stempel und Unterschrift des Richters.
„Alles, was ich vom Gericht bekommen habe, ist das Urteil. Alles, was im Prozess gesagt wurde, ist nicht zugänglich. Angeblich zerstört oder nie da gewesen. Ich sehe nur, was der Richter gesagt hat, grob zusammengefasst: Nein, wir erklären es für unbewohnbar, ihr kriegt jeder 59 Dollar und jetzt verschwindet“, erzählt er.

Sklave, Schmied, Obstbauer

Er zieht eine andere Plastikhülle aus dem Dokumentenstapel – einen Artikel der Lokalzeitung „Mountain Democrat“ vom 2. März 1950:

„Das alte Burgess Haus, das seit den frühen 1860er-Jahren im Besitz dieser Familie war, wurde letzte Woche von Staatsangestellten niedergerissen. Es war einmal eines der schönsten Häuser in Coloma und wurde von Rufus Burgess gekauft, als die Besitzer zum neuen Bezirkssitz nach Placerville umzogen.

Herr Burgess kaufte auch eine Schmiede im Schatten eines großen Johannisbeerbaums. Er arbeitete darin bis zum Tod. Die Alten im Ort hören bis heute noch die Musik seines Ambosses, der jeden Tag von morgens bis abends im Einsatz war, außer sonntags.“

Jonathan Burgess ist sicher, dass der erwähnte Rufus Burgess sein Urgroßvater ist und derselbe Mann, der 1885 einem Großhändler in Sacramento Pfirsiche verkaufte.
Jonathan betrachtet einzige Foto seines Urgroßvaters im Goldrausch-Museum
"Hoch verehrt von allen und ein ehrlicher, fleißiger Bürger": Jonathan Burgess vor dem einzigen Foto seines Urgroßvaters im Goldrausch-Museum, das ihn aber ganz anders zeigt.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Er zieht einen Zeitungsartikel hervor, der noch mehr über das Ansehen seiner Familie in der Region verrät. Er ist aus derselben Zeitung. Vom 4. August 1900. Ein Nachruf:

„Rufus Burgess starb zu Hause im Alter von 73 Jahren. Mr. Burgess war einer der bekanntesten Schwarzen im Bezirk, hoch verehrt von allen und ein ehrlicher, fleißiger Bürger. Er war einer der ersten Bewohner Colomas, besaß eine Schmiede und arbeitete viele Jahre darin. Der Verstorbene hinterlässt eine Ehefrau und drei junge Söhne.“

Ein handgeschriebener Lebenslauf

Jonathan Burgess fragt, wie es sein kann, dass im Goldrausch-Museum von einem so prominenten Bürger Colomas nur ein Foto zu sehen ist. Und zwar nicht das Foto eines erfolgreichen Obsthändlers und fleißigen Schmieds, sondern das eines Mannes in abgetragener Kleidung am Fluss mit einer Schaufel in der Hand.
Er nimmt ein pergamentdünnes und vergilbtes Papier vom Tisch. Es wurde über Generationen vererbt, als Teil der Familienbibel.
Es ist ein handgeschriebener Lebenslauf über das Leben eines Mannes, der 1790 an der US-Ostküste in Virginia als Sklave geboren wurde. Jonathan Burgess ist überzeugt: Es ist der Lebenslauf seines Ururgroßvaters, der das Fundament für den Wohlstand seiner Nachfahren schuf, nachdem er durch Sklavenhandel von Frau und Kindern getrennt wurde, in New Orleans landete und dort nach dem Tod seines Besitzers als Pfand für ausstehende Schulden einem Mr. Bell übergeben wurde, während seine zweite Frau und ihre Kinder nach Kentucky verkauft wurden.
Mr. Bell bringt ihn nach Kalifornien.

Nelson Bell ist Rufus Burgess

Hier wird die Vergangenheit auch für Jonathan Burgess kompliziert. Denn: Über dem Lebenslauf steht der Name Nelson Bell, nicht Rufus Burgess. Doch Jonathan ist ziemlich sicher, dass beide – Bell und Burgess – ein und dieselbe Person sind.
„Dieser Lebenslauf war in unserer Bibel. Und meine Mutter hat gesagt – das hat dein Urgroßvater uns vererbt, weil er wollte, dass seine Nachfahren wissen, woher die Burgess-Familie stammt. Ich habe sie immer wieder gefragt, warum da Nelson Bell steht, und habe ihre Erklärung nicht verstanden“, erzählt er.
Eine Originalseite aus dem Familienbuch der Bells
Originalseite aus dem Familienbuch: Über dem Lebenslauf steht der Name Nelson Bell, nicht Rufus Burgess.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm
„Aber sie hat einen Grabstein für meinen Ururgroßvater gekauft. Auf dem steht Rufus N.B. Burgess. Jetzt verstehe ich: Sie war überzeugt, dass Rufus Burgess und Nelson Bell dieselbe Person sind. Sie hatte recht, denke ich inzwischen. Nelson Bell – das war sein Sklavenname.“
Ein Name, der auch auf einer Landvermessungskarte von Coloma von 1857 auftaucht. Nelson Bell besaß demnach ein Grundstück im höher gelegenen Teil des Ortes.
„Und sein Haus war genau dort, wo jetzt das Museum steht. Nach meiner Meinung direkt auf dem Besitz der Burgess-Familie. Kalifornien hat das Land 1869 nach seinem Tod beschlagnahmt und keinen Pfennig dafür bezahlt, weil Nelson Bell angeblich keine Nachfahren hatte“, sagt Jonathan Burgess. „Leute fragen mich: Warum hat sich sein Sohn, dein Urgroßvater, nicht gewehrt? Dann sage ich: Zu der Zeit haben sie Menschen aus ganz anderen Gründen gehängt.“

Kein Wort über die Sklaven

Am nächsten Morgen, kurz vor zehn im Park von Coloma. Blauer Himmel, 18 Grad. Schulklassen stehen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern Schlange vor der Schmiede, vor der Goldschürfstation und am Sägewerk. Es sind fast alle Viertklässler, weil in dem Schuljahr in US-Schulen amerikanische Geschichte unterrichtet wird.
Punkt zehn beginnt Ed Allen seine Tour für eine Schulklasse mit einer Lehrerin und ein paar Müttern und Vätern als Aufsichtspersonen. Die erste Station ist der große Felsen, wo die Frauen der Nisenan Eicheln zu Mehl stampften. Ed Allen zeigt auf schüsselartige Vertiefungen im Gestein, die ihre Mörser zurückließen.  
Ausgiebig erklärt er Traditionen und Lebensformen der Ureinwohner und beantwortet geduldig alle Fragen. Als niemand mehr die Hand hebt, weist er noch kurz auf den Wanderweg zum Marshall-Dokument hin. Dann dirigiert er die Gruppe weiter auf die andere Straßenseite, zum Sägewerk.
Die knorrigen Birnbäume der ehemaligen Obstplantagen erwähnt er genauso wenig, wie die Nachfahren von Sklaven, die flussabwärts wohnten.

Komplizierte Rechtslage

Der Besuch der Sägemühle ist das Highlight der Tour und Ed Allen ist in seinem Element. Als hätte er selbst das erste Gold gefunden, erzählt er in liebevollen Details, vom eiskalten, zehn Zentimeter tiefen Wasser, vom Wert des Goldes, das die ersten Gräber innerhalb von einer halben Stunde fanden – damals 15 Dollar, heute 750 Dollar. Davon, wie die Männer ihre Arbeit am Sägewerk liegen ließen, um Gold zu schürfen, dass Frauen nur acht Prozent der Dorfbevölkerung ausmachten und die meisten Goldgräber keine Ahnung vom Kochen hatten.
Kein Wort über versklavte Goldgräber oder die Sklavenhalter, die sie nach Kalifornien brachten. Am Ende der fast einstündigen Tour bedanken sich die Lehrerin und Eltern bei Ed Allen für die spannende Führung.
Auf die Frage, warum er mit keinem Wort die afroamerikanischen Pioniere von Coloma erwähnte, weicht der Historiker aus. Nicht jedes Detail der Geschichte sei für Viertklässler geeignet, sagt er, und manches schlicht und einfach viel zu kompliziert. Angefangen bei der Rechtslage, wie lange es in Kalifornien überhaupt offiziell Sklaven gegeben hat.
„Das war so: Wir wurden ein sklavenloser Bundesstaat, nicht aus menschenfreundlichen Gründen, sondern weil die anderen Goldgräber nicht mit unbezahlten Sklaven konkurrieren wollten“, sagt er.

Die Verfassung war aber in der Hinsicht so vage, dass Gerichte über die Bedeutung des Verbots von Sklaverei und Knechtschaft entscheiden mussten. Das dauerte einige Jahre. Bis dahin konnten Siedler ihre Sklaven mitbringen und behalten.

Ed Allen

Verglichen mit anderen Orten in den USA sei es Schwarzen in Coloma verhältnismäßig gut gegangen. „Der Ort war interessant in der Hinsicht. Diese Leute haben eine Nische gefunden, in der sie aufsteigen konnten. Keiner hat sich groß um sie gekümmert. Es gab damals viele Vorurteile, auch hier, aber nicht so viel wie anderswo. Hier konnten sie überleben und Erfolg haben.“

Kein Verständnis für Forderungen nach Entschädigung

Von Enteignungen, die es gab, um den Park zu bauen habe er gehört, sagt Ed Allen. Nach allem, was er wisse, sei das alles rechtmäßig abgelaufen und nicht ausreichend belegt, um es in seine Tour aufzunehmen. Jonathan Burgess Forderung nach Landrückgabe und Entschädigung versteht der Historiker nicht.
„Bei Enteignungen beschäftigt man einen Schlichter. Der findet heraus, was Grundstücke in der Gegend wert sind und bestimmt die Entschädigungssumme. Das ist auch hier passiert. Da gab es keine Diskriminierung“, sagt er „Die Burgess-Familie hatte vorher schon Land auf der gegenüberliegenden Seite vom Fluss verkauft. Soweit ich weiß, ging es ihnen finanziell nicht gut, als sie Coloma verließen.“
Jonathan widerspricht. Er hat Urkunden und Grundbucheinträge gefunden, die zeigen, dass seinen Vorfahren zu jener Zeit Grundstücke, Häuser und sogar eine  Kirche in Coloma gehörten. Ed Allen aber weicht aus, zeigt auf eine neue Schulklasse, die angekommen ist und sagt, dass er jetzt leider losmüsse.

Ein Info-Schild vor dem Haus der Vorfahren

Jonathan Burgess ist heute eigentlich in den Park gekommen, um seine erste Tour für Viertklässler vorzubereiten. Die geht vom Museum aus zuerst zu den Wohnhäusern am Ende des Parks. Still ist es hier. Keine Schulklasse ist in diesen Teil der Anlage gekommen.
Jonathan deutet auf ein Schild auf der Wiese vor dem Haus, in dessen Garten am Tag vorher eine Frau Yogaübungen gemacht hat. Das Schild sei brandneu, sagt er. Noch kein Kratzer. Allerhöchstens sechs Monate alt. Ein Resultat seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit.
Die Infotafel vor dem Land von Jonathans Vorfahren
Die Infotafel vor dem Land von Jonathans Vorfahren ist ein Ergebnis seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Auf dem Schild steht: „Burgess Haus. Rufus Burgess wurde 1850 als Sklave nach Kalifornien gebracht, erwarb seine Freiheit, kaufte Land, das er für Obstbäume nutzte und öffnete eine Schmiede. Er heiratete Josephine Burris und zusammen hatten sie drei Söhne – na ja, wir wissen, dass Marion nicht Josephines Sohn war, also Geschichte wieder mal nicht richtig erzählt.“

Erste Schritte der Anerkennung

Auch in der neusten Ausgabe des Mal- und Bastelbuchs, das er im Museum bekommen hat, werden die Burgesses neuerdings erwähnt. Doch noch etwas ist neu im Heft. Nämlich der letzte Absatz in einem Artikel über die Menschen von Coloma.
Und den sieht und liest Jonathan Burgess heute zum ersten Mal. „Schwarze waren auch Teil der Gemeinde. Manche kamen als versklavte Menschen und erhielten später ihre Freiheit. Die Gooch-Monroe und die Burgess Familien waren prominent und hoch angesehen in der Gemeinde. Sie besaßen und bewirtschafteten einen Großteil des Landes, auf dem heute unser Park gebaut ist.“
Jonathan freut sich. „Wow! Das ist wunderbar, dass hier steht: Wir besaßen einmal einen Großteil des Landes. Dass sie das anerkennen, das ist ein echtes Zeichen von Fortschritt.“

Ein Kinderbuch soll weiter aufklären

Doch diese Fortschritte sind kein Grund für ihn, im Kampf um Wahrheit und Entschädigung nachzulassen. Jonathan Burgess hat inzwischen sein eigenes Kinderbuch über schwarze Pioniere geschrieben, inspiriert vom Lebenslauf aus der Familienbibel.
Wenige Tage später liest er Viertklässlern diese Geschichte seiner Vorfahren vor. So, wie sie über Generationen in seiner Familie erzählt und belegt wurde. Dort, wo ein Sklave Gold schürfte und sein Sohn eine Schmiede und Obstplantagen besaß.
„Rufus Burgess war mein Ururgroßvater und wurde 1790 als Sklave geboren. Opa Rufus wuchs in Mecklenburg County in Virginia auf. John Gregory war sein erster Besitzer. Obwohl Opa Rufus einen Sklavennamen bekam, werden wir ihn in diesem Buch bei seinem richtigen Namen nennen: Opa Rufus.“

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