Die unerträgliche Wahrheit
Die chilenische Bestsellerautorin Elizabeth Subercaseaux erzählt eine Geschichte voller Lebenslügen, einem Mord, der ungesühnt bleibt, und einem erstaunlichen Erkundungstrip menschlicher Gefühlsverwirrungen.
Das Buch beginnt mit einem Donnerschlag. Schon auf den ersten Seiten erleben wir einen Mord - und zwar aus der Sicht des Täters. Es ist ein Verzweiflungsschrei und ein Akt der Selbstzerstörung, als der angesehene Richter Rementería frühmorgens auf einem Golfplatz in Santiago seine Geliebte Amalia erschießt. Er weigert sich zu akzeptieren, dass sie ihn wegen eines anderen verlassen hat.
Elizabeth Subercaseaux zeichnet das Bild eines Mannes, der als Kind unter einer liebesunfähigen Mutter und einem hartherzigen Großvater litt. Das hat deutliche Spuren hinterlassen. Der Richter, unbestechlich, zwanghaft korrekt, unnahbar, emotionslos, gilt als respektable Person. Doch hinter dieser Fassade ver-birgt sich ein Kind, dass bei der Geliebten mütterliche Geborgen-heit sucht, sich einredet, sie sei die Frau seines Lebens, so als wäre sie nicht mit einem reichen Geschäftsmann verheiratet. Als sie ihm diese Illusion zerstört, zerstört er mit ihr auch sein Leben.
Allerdings entwickelt sich die Geschichte anders als erwartet. Die Tat wird nicht aufgeklärt, denn der Journalist Samuel Cooper, Zeuge der Flucht des Richters vom Golfplatz, wagt es nicht, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Dann würde sein sorgsam gehütetes Geheimnis auffliegen. Samuel ist schwul und hat diese Nacht nicht bei seiner Frau und seinen Töchtern verbracht, sondern in den Armen seines Geliebten. Die Tat melden, hieße sein Leben auf den Kopf stellen, die Familie verlieren, die Freunde, die Kollegen.
Elisabeth Subercaseaux greift hier auf eine traumatische Jugenderfahrung zurück. Als junges Mädchen ging sie jahrelang mit einem Jungen. Sie wollten sogar heiraten, bis er ihr eröffnete, sich in einen Mann verliebt zu haben. Wenig später brachte er sich um. Er hatte die gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität nicht ertragen können. Ein Schockerlebnis, das sich im Roman widerspiegelt.
Es gibt noch einen dritten Erzählstrang: mit Teresa, der besten Freundin Amalias, die zwar von dem Verhältnis wusste, jedoch keinen Namen. Ein von der Toten hinterlassener Brief und Fotos führen sie auf die Spur des Richters. Dennoch beschließt auch sie zu schweigen, um Amalias Ehemann zu schonen. Geradezu ver-zweifelt sucht der nach der Bestätigung, dass ihn seine Frau nie betrogen hat.
Es ist ein klassisches Romankonzept, die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in der dritten Person zu erzählen. Jeder der Beteiligten hält verzweifelt an seinen Lebenslügen fest. Die Wahrheit wird unterdrückt, weil sie die Gefühle anderer ver-letzt, sich als unerträglich erweist, dem eigenen Selbstbild widerspricht, Konsequenzen nach sich zieht, die man vermeiden will. Es sieht eine ganze Weile so aus, als solle der Mord ungesühnt bleiben. Doch auch das wäre eine Lüge, mit der sich nicht leben lässt. Die Schriftstellerin führt vor, dass es viele Gründe geben kann, die Wahrheit zu verschweigen. Das hebt ihren Roman über die zahlreichen Ehebruchgeschichten der Literatur hinaus, macht ihn zu einer erstaunlichen Erkundung menschlicher Gefühlsverwirrungen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Elizabeth Subercaseaux: "Eine fast perfekte Affäre",
aus dem Span. von Maria Hoffmann-Dartevelle,
Pendo Verlag, München 2010, 223 Seiten, 17,95 Euro
Elizabeth Subercaseaux zeichnet das Bild eines Mannes, der als Kind unter einer liebesunfähigen Mutter und einem hartherzigen Großvater litt. Das hat deutliche Spuren hinterlassen. Der Richter, unbestechlich, zwanghaft korrekt, unnahbar, emotionslos, gilt als respektable Person. Doch hinter dieser Fassade ver-birgt sich ein Kind, dass bei der Geliebten mütterliche Geborgen-heit sucht, sich einredet, sie sei die Frau seines Lebens, so als wäre sie nicht mit einem reichen Geschäftsmann verheiratet. Als sie ihm diese Illusion zerstört, zerstört er mit ihr auch sein Leben.
Allerdings entwickelt sich die Geschichte anders als erwartet. Die Tat wird nicht aufgeklärt, denn der Journalist Samuel Cooper, Zeuge der Flucht des Richters vom Golfplatz, wagt es nicht, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Dann würde sein sorgsam gehütetes Geheimnis auffliegen. Samuel ist schwul und hat diese Nacht nicht bei seiner Frau und seinen Töchtern verbracht, sondern in den Armen seines Geliebten. Die Tat melden, hieße sein Leben auf den Kopf stellen, die Familie verlieren, die Freunde, die Kollegen.
Elisabeth Subercaseaux greift hier auf eine traumatische Jugenderfahrung zurück. Als junges Mädchen ging sie jahrelang mit einem Jungen. Sie wollten sogar heiraten, bis er ihr eröffnete, sich in einen Mann verliebt zu haben. Wenig später brachte er sich um. Er hatte die gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität nicht ertragen können. Ein Schockerlebnis, das sich im Roman widerspiegelt.
Es gibt noch einen dritten Erzählstrang: mit Teresa, der besten Freundin Amalias, die zwar von dem Verhältnis wusste, jedoch keinen Namen. Ein von der Toten hinterlassener Brief und Fotos führen sie auf die Spur des Richters. Dennoch beschließt auch sie zu schweigen, um Amalias Ehemann zu schonen. Geradezu ver-zweifelt sucht der nach der Bestätigung, dass ihn seine Frau nie betrogen hat.
Es ist ein klassisches Romankonzept, die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in der dritten Person zu erzählen. Jeder der Beteiligten hält verzweifelt an seinen Lebenslügen fest. Die Wahrheit wird unterdrückt, weil sie die Gefühle anderer ver-letzt, sich als unerträglich erweist, dem eigenen Selbstbild widerspricht, Konsequenzen nach sich zieht, die man vermeiden will. Es sieht eine ganze Weile so aus, als solle der Mord ungesühnt bleiben. Doch auch das wäre eine Lüge, mit der sich nicht leben lässt. Die Schriftstellerin führt vor, dass es viele Gründe geben kann, die Wahrheit zu verschweigen. Das hebt ihren Roman über die zahlreichen Ehebruchgeschichten der Literatur hinaus, macht ihn zu einer erstaunlichen Erkundung menschlicher Gefühlsverwirrungen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Elizabeth Subercaseaux: "Eine fast perfekte Affäre",
aus dem Span. von Maria Hoffmann-Dartevelle,
Pendo Verlag, München 2010, 223 Seiten, 17,95 Euro