Die unerträgliche Leichtigkeit der Bilder

Von Anette Schneider · 12.09.2011
Der Künstler Alfred Sisley war neben Claude Monet und Auguste Renoir einer der bedeutendsten Vertreter des französischen Impressionismus. In Wuppertal wird ihm nun eine Sonderausstellung gewidmet. Zu sehen sind vor allem Flussansichten - etwas anderes malte er kaum.
Die Monet-Retrospektive des vergangenen Jahres war, was Medien gern ein "Event" nennen: Fast 300.000 Besucher strömten dafür nach Wuppertal. Doch Museumsleiter Gerhard Finkh betont, es ginge ihm bei seinen Impressionismus-Ausstellungen nicht nur um möglichst viele Besucher und eine volle Kasse:

"Diese Kunst des Impressionismus ist durch scheußlichste Bildchen auf Kalendern und Postkarten und sonst wo bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Unser Bild des Impressionismus ist ein verzerrtes Bild. Und deswegen möchte ich ganz gern versuchen, mit dem Zeigen, mit dem soliden Zeigen großer Ausstellungen zu diesem Thema Impressionismus das Bild des Impressionismus in Deutschland auch wieder neu zu formulieren. Zu zeigen, was diese Künstler eigentlich an Bedeutendem geleistet haben, wie sie auch durchaus auch Vorläufer für die Moderne dann wurden."

Oder - und das ist das Erstaunliche an dieser Ausstellung - künstlerische Grenzen aufzuzeigen.

Alfred Sisley, 1839 als Sohn wohlhabender britischer Tuchhändler in Paris geboren, begann 1861 eine akademische Kunstausbildung, bei der er Renoir und Monet kennenlernte. In den folgenden Jahren brachen die drei mit der akademischen Feinmalerei, und malten in Barbizon vor der Natur. Mit einigen dieser frühen Bilder in erdigen Farbtönen eröffnet die Ausstellung. Schon im nächsten Saal hellt sich Sisleys Palette schlagartig auf: Ab 1870 strichelte er die Farben auf die Leinwand, um Atmosphärisches einzufangen. Seine Sujets? - Nun ja...

"Sisley hat sich sehr eingeschränkt, was seine Sujets betrifft. Er hat praktisch ausschließlich Landschaften gemalt. Und in dem Bereich Landschaft hat er fast ausschließlich Wasserlandschaften gemalt. Um es noch genauer zu sagen: Er hat fast nur die Seine oder die Themse oder den kleinen Fluss Loire gemalt. Also, es reduziert sich sehr stark. Und es sind immer wieder Flussufer und die Bäume am Ufer und der große Himmel darüber, die ihn faszinieren. Und er bringt das in solcher Vielfalt an Möglichkeiten, das man denkt: Das gibt es doch gar nicht, der muss doch manche Bilder dreimal gemalt haben, aber nein, es ist jedes Bild wieder anders."

Dennoch hat dieser beschränkte Blick etwas Beklemmendes. Nach zwei, nach drei, nach vier Sälen denkt man: Nun reicht‘s! Nun muss doch endlich die Wirklichkeit seiner Zeit ins Bild einbrechen: Großstadt, Industrialisierung, die Pariser Kommune, ihre blutige Niederschlagung, die nachfolgende politische Reaktion, oder, wie Gerhard Finkh betont, die weitverbreitete existenzielle Not. Doch wo andere Impressionisten wenigstens ab und zu bürgerliche Caféhaus-Szenen oder Flaneure malten, nagelte Sisley seinen Blick auf Flusslandschaften und behauptete, "er male das Leben".

"Ja, man ist erstaunt, wenn er sagt, 'er malt Leben'. Leben bedeutet für ihn eigentlich das stille Leben auf dem Land. Es ist im Grunde genommen ein Gegenentwurf zum Leben in der großen Stadt. Das hat ihn offenbar eher abgeschreckt, die Hektik der Großstadt war für ihn nichts. Deshalb hat er draußen auf dem Land gelebt und eben diese Natur gemalt. Es ist das bescheidene Leben, man könnte es fast biedermeierlich nennen: Es ist ein Rückzug in die sonnige Landschaft. Und diese sonnige Landschaft wiederum wird als Ideal geschildert."

Der Ausstellung gelingt es, diese als Ideal verbrämte biedermeierliche Enge zu spiegeln: durch eine enge Hängung der Arbeiten und eine kluge Auswahl. So führt sie in zwei Sälen vor, wie Sisley tatsächlich wieder und wieder dieselben 20 Quadratmeter einer Flussbiegung malte.

Dass durch diese Wiederholung allmählich einsetzende Gefühl der Beklemmung gipfelt im letzten Saal in körperlich spürbares Unbehagen: Waren die Impressionisten in den 1870er-Jahren noch verlacht und vom offiziellen Salon ausgeschlossen worden, zählte Monet mit seinen waghalsigen Form- und Farbexperimenten zehn Jahre später zu den bestbezahlten Künstlern Frankreichs. Sisley malte derweil weiter seine Flussansichten. Fast 30 Jahre lang.

Nur einmal brach er aus. Wenige Jahre vor seinem Tod malte er mehrere großformatige Ansichten einer Kirche. Sisley hatte von Monets Projekt erfahren, die Kathedrale von Rouen in Serie zu malen. Ohne die Bilder zu kennen, tat Sisley es ihm nach und malte die Kirche seines Wohnortes. Doch während Monet die Kathedralenfassade nutzte, um es in ein reines Form- und Farbereignis zu verwandeln, malte Sisley - eine Kirche.

"Da liegt das Tragische eigentlich in dieser Existenz, auch in der Freundschaft dieser drei Künstler Monet, Renoir und Sisley: Dass Sisley aufgrund seiner Bescheidenheit und auch Zaghaftigkeit zurückbleibt. Während die anderen eben den großen Wurf schaffen, bleibt Sisley im Lyrischen. Es bleibt halt klein, es wird nicht das große Drama, wie dann bei Monet in den Seerosenbildern."