Die unechte Vertrauensfrage, ein echtes Dilemma

Von Ernst Rommeney · 30.06.2005
Ein solches Foto gibt es bereits. Gerhard Schröder sitzt im Schein der Lampe an seinem Schreibtisch, liest und blättert Seiten. Ich stelle mir vor, gerade in diesem Moment könnte ein ähnliches Bild entstehen. Der Kanzler, allein im Büro, geht Satz für Satz seinen Redetext durch.
Morgen Vormittag muss er im Bundestag die unechte Vertrauensfrage und den Wunsch nach Neuwahlen gut begründen. Er befindet sich in einer starken Position. Es ist seine Sache einzuschätzen, dass die rot-grüne Koalition bereits ein Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode nicht mehr handlungsfähig ist.

Nur muss er mit treffenden Argumenten überzeugen - den Bundespräsidenten, im Streiffall auch das Bundesverfassungsgericht, aber zunächst die Abgeordneten. Die unechte Vertrauensfrage stellt die roten und die grünen Parlamentarier vor ein echtes Dilemma.

Drei, ja insgesamt sieben Jahre lang haben sie dem Kanzler in schwierigen Fragen Mehrheiten verschafft. Und nun sollen sie ihm das Vertrauen verweigern, sich enthalten, wo das eigene politische Projekt auf dem Spiel steht. Selbst den Kritikern Schröders in den eigenen Reihen fällt das verlangte Votum nicht leicht.

Und das geschieht aus gutem Grund, so haben es uns die Verfassungsrechtler in den letzten Wochen beigebracht. Sie bieten den Medien und der Stimmung im Lande aus gelehrter Sicht Paroli. Das Grundgesetz erlaubt keine vorgezogene Neuwahl aus politischem Kalkül.

Die SPD mag in den Ländern und in den Meinungsumfragen verloren haben, aber im Bundestag stellt sie gemeinsam mit den Grünen eine stabile Mehrheit, welche bis in diese Woche hinein reibungslos Gesetze verabschiedet. Doch Gerhard Schröder wird vom christdemokratisch dominierten Bundesrat blockiert. Gegen dessen Willen kann er sein Projekt der Agenda 2010 nicht fortsetzen, nicht den Etat sanieren oder die Unternehmenssteuer senken.

Nun würde selbst eine gewonnene Wahl diese Hürden nicht beseitigen. Anderseits beschädigt es das Ansehen und die innere Stabilität der Koalition, wenn sie bundespolitisch nichts mehr bewirkt. Und an diesem Punkt zeigt sich das Dilemma erneut.

Das Grundgesetz des Jahres 1949 entspricht nicht der Verfassungswirklichkeit des Jahres 2005. Der Föderalismus dieser Tage schwächt nicht nur die Länder. Er macht auch den Bund instabil. Es rächt sich also, dass beide Seiten ihre Kompetenzen nicht längst neu geordnet haben, wenn man so will, den Schritt zurück zum alten Grundgesetz gegangen sind. Eigentlich müsste diese Reform an der Spitze aller Wahlprogramme stehen.

Gerhard Schröder aber hat bereits Fakten geschaffen. Sein Neuwahl-Wunsch beendete die rot-grüne Regierungsarbeit und ließ den Wahlkampf starten. Der Bundespräsident wird daran nicht vorbeikönnen. Er würde destruktiv auf eine kraftvolle Entscheidung des Regierungschefs reagieren, zwänge er ihn zurückzutreten oder weiterzumachen.

Also liegt es erst einmal am Bundeskanzler, die Entscheidungsvorlage zu schaffen, gut zu argumentieren und zu überzeugen. Denn das Grundgesetz darf nicht augenzwinkernd hintergangen werden. Es ist formal wie inhaltlich zu beachten.