Die traurige Mär von der Wassernixe

Von Uwe Friedrich |
Alle lieben Rusalka. Diese Oper Dvoraks setzt man eigentlich dann auf den Spielplan, wenn man Rentner locken möchte, die den ganzen Abend dann auf das „Lied an den Mond“ warten. Szenisch ist das Stück eher undankbar, aber was hat Martin Kusej in München daraus gemacht?
Ob das tote Reh im zweiten Akt der Oper „Rusalka“ echt sei, beschäftigte die Münchener Boulevardpresse einige Zeit vor der Premiere. Mit Protesten, gar einem Skandal wurde offenbar gerechnet. Doch nichts dergleichen geschah. Rechtzeitig hatte die Kaschierwerkstatt ein Plastikreh fertiggestellt, auch die lebendigen Goldfische im Aquarium wurden noch gegen Plastikspielzeug ausgetauscht. Kein Skandal weit und breit also, auch die Buhs gegen den Regisseur Martin Kusej hielten sich in den üblichen Grenzen.

Die traurige Mär von der Wassernixe, die sich danach sehnt Mensch zu sein und sich in den falschen Mann verliebt, erzählt Kusej als Geschichte eines sexuellen Missbrauchs. Der Wassermann hält einige Mädchen im feuchten Heizungskeller gefangen, Parallelen zu jüngsten Missbrauchsfällen in Österreich liegen auf der Hand. Das Libretto des Maeterlinckverehrers Jaroslav Kvapil gibt das ohne Weiteres her, allerdings begibt sich eine Inszenierung damit in starke Spannung zur Musik Dvoraks, der über viele Modernismen des Texts hinwegging.

Kusej geht viel rabiater zur Sache als der Komponist. Die von Dvorak beschworene Natur ist im Bühnenbild von Martin Zehetgruber nur noch in Form einer angegammelten Fototapete gegenwärtig, der Heizungskeller fährt aus der Unterbühne nach oben, auch der Festsaal im Schloss ist deutlich verwohnt. Der Wassermann vergewaltigt die Nixen im Keller und ersticht im dritten Akt den Förster, der Prinz kopuliert mit der fremden Fürstin und der Chor tanzt zur Festmusik im Brautkleid mit Rehkadavern.

Doch diese Versatzstücke eines wohlbekannten Regietheaters bleiben zusammenhanglose Splitter, weil Kusej es nicht schafft, überzeugende Charaktere auf die Bühne zu bringen. Die tiefe Traurigkeit der Handlung, die man sicher auch anhand der jüngsten Missbrauchsfälle erzählen könnte, bleibt unbeachtet.

Rusalka, von der im Libretto immer wieder behauptet wird, sie sei kühl und zeige keine Emotionen, turnt äußerst agil durch die Räume, der Prinz stapft bis zum Schluss recht ungerührt durch die emotionalen Wechselbäder zwischen naiver Liebe zu Rusalka, ungezügeltem Begehren gegenüber der fremden Fürstin und schließlich der reumütigen Zerknirschung, die ihn den Tod in Rusalkas Armen suchen lässt. Wirklich nah kommt dem ungerührten Betrachter keine dieser Figuren.

Dirigent Tomás Hanus setzt mit dem Bayerischen Staatsorchester rückhaltlos auf romantischen Schönklang. Detailreich und mit rhythmischer Kontur lässt er die Streicher schwelgen, den Hörnerklang aufblühen. Auf eine Zuspitzung der (wenigen) Härten und Schärfen der Partitur verzichtet er völlig. Kristine Opolais bringt ein feinherbes Timbre mit für die Titelrolle und spielt die sehnsüchtige Nymphe äußerst überzeugend. Klaus Florian Vogt singt den Prinzen, wie er immer singt: Vollkommen farblos und ungerührt produziert er die richtigen Töne, kann damit aber nichts über die Abgründe der Figur aussagen. Günther Groissböck macht hingegen durch konzentrierte Gestaltung und wohldosierte Klangmacht den Wassermann zum eigentlichen Kraftzentrum der Aufführung.

Martin Kusej hat in einem Interview erzählt, er habe während der Proben immer wieder mit den Tränen kämpfen müssen. Auch hier gilt: Wer während der Arbeit im Theater weint, wird sein Publikum nie zu Tränen rühren können.