Die träumende Hand

Von Gerwin Zohlen |
Wer einen großen Namen in der Architektur des 20. Jahrhunderts hatte - von Walter Gropius bis Norman Foster - ließ sich bevorzugt von Helmut Jacoby die Entwürfe zeichnen. Sie vertrauten seiner Fähigkeit, verträumt und präzise zugleich das noch Ungebaute bildlich voraus zu nehmen. Jacoby ist im Alter von 79 Jahren verstorben.
Popularität und beinahe den Status einer Ikone hat vor allem die Zeichnung erlangt, die Helmut Jacoby 1992 für Lord Norman Fosters berühmten Entwurf zum Reichstagswettbewerb in Berlin anfertigte. Brom- und goldfarben steht das alte, kuppellose Gemäuer dort unter einem durchscheinenden Dach, das über filigrane Stützen gespannt ist und sich anzuschicken scheint, den Berliner Himmel an Leuchtkraft zu ersetzen.

Gelöst und verspielt tummeln sich die Figurinen im Vordergrund, so als sei der Reichstag längst schon als deutsches Parlament akzeptiert und die Wiedervereinigung zum Glück der politischen Epoche geworden. Zwar weiß man, dass Lord Foster schließlich den ganz anderen Entwurf mit Kuppel realisierte, aber Helmut Jacobys Zeichnung blieb im allgemeinen Gedächtnis mit dem liebevollen Spottnamen "Tankstelle Reichstag".

Doch nicht nur Norman Foster – wer auch immer einen glanzvollen und großen Namen in der Architektur des 20. Jahrhunderts hatte, ließ sich bevorzugt von Helmut Jacoby die Entwürfe zeichnen. Philip Johnson und Ieoh Ming Pei, Helmuth Jahn und Eero Saarinen, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer, Walter Gropius, Hugh Stubbins und viele mehr vertrauten Jacobys Fähigkeit, verträumt und präzise zugleich das noch Ungebaute bildlich voraus zu nehmen.

Vor allem die 50er und 60er Jahre waren Jacobys Zeit. In den USA war er ein umworbener und heiß begehrter Star und sein Erfolg bescherte ihm ein eigenes Haus in Greenwich Village/New York, dazu Vorträge, Bücher, Meisterklassen. Ende der 60er Jahre aber zog es den 1926 in Halle geborenen Jacoby weg aus der Hektik des amerikanischen Business und zurück nach Deutschland, wo er hoffte, ähnlich reüssieren zu können. Weit gefehlt. In Westdeutschland herrschte die Architekturfeindlichkeit der 68er Bewegung, die Hochschulen und Universitäten suchten Politologen und Soziologen, aber keine Zeichenkünstler, die von Raum und Konstruktion ein bildliches Verständnis hatten.

Erst mit dem kulturellen Umschwung zur Postmoderne und der Wiederentdeckung architektonischer Kunst und Malerei erlebte auch Jacoby eine Renaissance. Jetzt waren es vielfach die ganz jungen oder mittelalten Architekten wie Christoph Ingenhoven, Meinard von Gerkan, Günter Behnisch oder Helge Bofinger, die eine Brücke zur altmeisterlichen Handzeichnung der Architektur suchten und Jacobys Erfahrung abschöpfen wollten.

Und erstaunlich ist, dass es meist die so genannten Hightech-Architekten waren, die sich seiner bildlichen Imaginationskraft bedienten, während die so genannten traditionellen Architekten schon mit dem Computer animierten. Erstere brauchten offensichtlich die Präsentation durch die träumende Hand Jacobys.