„Die Töne rauslassen!“

Von Sigrid Brinkmann |
Den Charlottenburger Kammerchor ist hervorgegangen aus dem Inselchor, der in Berlin-Schöneberg probte – in dem Teil des Bezirks, der auch die „rote Insel“ genannt wird. Weil Inselchor aber zu sehr nach Shantys klang und auf eine falsche Spur lockte, wechselten die Sänger vor fünf Jahren den Chornamen und die Chorleitung gleich dazu.
Das breite Eingangsportal der Zionskirche bleibt während der gesamten Konzertprobe geöffnet. Frauen mit kleinen Kindern, ältere Anwohner und ein Obdachloser nehmen unauffällig Platz. Stefan Schmidt leitet den Chor seit sechs Jahren.

„Ein Freund fragte, ob ich einen Chorleiter wüsste. Und zwar hab ich damals noch in Frankfurt gewohnt, bin immer gependelt jede Woche. Wir haben uns kennengelernt – die haben sich noch andere Chorleiter wohl auch vorstellen lassen –, und wir haben uns gleich ineinander verliebt, und seitdem arbeiten wir ganz fruchtbar zusammen. Also da waren ursprünglich neun Chorleute, und jetzt sind wir über 30. Und die leisten verdammt viel, muss ich sagen. (Lachen)“

Gunnar Möller singt im Bariton. Der 37-Jährige gehört zu den Sängern, die kaum in die Notenblätter schauen müssen.

„Ich singe auch viel solistisch. Das war ein Zufall, dass ich zu dem Chor geraten bin, und die Leute waren so nett, und das war was ganz Spezielles, und da bin ich jetzt seit zwei Jahren dabei.“

Stefan Schmidt: „Die Töne rauslassen! Dadada ... Ihr könnt hier nicht zu laut sein!“

Nora Jensen gelingt das, was Stefan Schmidt von den Choristen immer wieder fordert: spielend leicht die Freude zu zeigen, die ihnen das Singen bereitet.

„Man ist ein Teil vom Ganzen, man kann was beitragen. Es ist toll, wenn die eigene Stimme das Instrument ist.“

Ihre Freundin hat sie vor zwei Jahren dazu überredet, sich fest an den Charlottenburger Kammerchor zu binden, und das heißt auch neben den wöchentlichen Proben zusätzlich einen Sonntag im Monat zwei bis vier Stunden für das Üben frei zu halten. Christiane Stern arbeitet als Lehrerin.

„Ich habe noch die Zeit miterlebt vor Stefan. Es gibt eine Zeit vor Stefan und nach Stefan, das ist entscheidend. Dann ging’s bergauf. Er hat ein Talent, etwas aus uns herauszuholen, von dem wir selber nicht wussten, dass wir es konnten.“

„Ab dem zweiten Ton seid Ihr da, aber nicht sofort, Takt 37 Klavier, und Ihr setzt Takt 40 ein!“

Gelegentlich korrigiert Stefan Schmidt freundlich, aber bestimmt das Tempo der begleitenden Pianistin. Er selbst wurde von den Konzertpianisten Boris Bloch und Andras Schiff unterrichtet.

„Ich habe gerade das Gesamtwerk mit dem Geiger David Delgado von der Staatskapelle aufgenommen – das Gesamtwerk von Joaquín Turina für Violine und Klavier. Ich begleite Sänger, ich spiele mit Orchestern, habe ein paar Schüler, und das geht eigentlich ganz gut. (Lachen)“

Stephan Schmidt ist zu bescheiden, um mir zu erzählen, dass er in der Alten Oper Frankfurt, im Münchner Gasteig, in der Tonhalle Düsseldorf, in Rio de Janeiro und vielen anderen Städten als Solopianist aufgetreten ist. Sein Können aber wirkt auf den Chor als Verpflichtung.

Christiane Stern: „Man sollte natürlich zu Hause üben. Und die Leute, die ein Klavier haben, sollten sich das mal beibringen und Texte üben, was immer wieder das gleiche Thema ist. Wir üben alle nicht genug die Texte, wir gucken zuviel in die Noten, aber zeitaufwendiger ist es eigentlich nicht.“

Mit Rossinis „Petite messe solennelle“ ist der Charlottenburger Kammerchor nicht nur in Kirchen, sondern auch im legendären Spiegelsaal von Clärchens Ballhaus aufgetreten. Tobias Zuchtriegel, der im Bundesverkehrsministerium arbeitet, leitet die Geschäfte des Chores.

„Es ist auch ein großes Engagement im Chor da außerhalb des Singens. (...) Ob es nun die Vorbereitung eines Konzertes ist, was wir morgen haben, ob es die Organisation des jährlichen Chorausfluges, des Chorwochenendes ist, das sind alles Sachen, die natürlich nicht der Chorleiter organisiert, sondern die wir selber machen. Wir sind ein Verein, und da gibt’s ja den Deutschen Chorverband, auch dort sind wir vertreten natürlich, auch das muss gemacht werden und bringt dem Chor etwas, wenn man eingebunden ist in eine größere Gemeinschaft".“

Und das klappt. Die Teilnahme am Internationalen Chor- und Orchesterfestival am Gardasee war ein selbst gestecktes und erreichtes Ziel. Der Chor reagiert auf jedes kleine Zeichen und Stephan Schmidt weiß:

„"Gut, das wird super!“

Service:
Internetseite des Chores


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im „Chor der Woche“ sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der „normalen“ Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.