Die tödliche Schönheit des Berges K2

27.06.2011
Der K2 im Karakorum, im Grenzgebiet zwischen China und Pakistan, ist mit 8611 Metern zwar nicht der höchste Gipfel der Erde, aber wesentlich schwerer zu besteigen als der Mount Everest. Immer wieder scheiterten Kletterer an seinen steilen Hängen. Am 1. August 2008 versuchten 24 Bergsteiger aus unterschiedlichen Ländern, die Pyramide aus Granit, Schnee und Eis zu erklimmen - nur 13 von ihnen kamen zurück.
Graham Bowley, Reporter der "New York Times", ist mit seinem Buch über diese Tragödie ein Meisterstück gelungen. Eine genaue, minutiöse Schilderung der Ereignisse, die – obwohl der Ausgang bekannt ist – atemberaubend spannend zu lesen ist.

Bowley hat detailliert recherchiert; er war vor Ort, hat Fachliteratur gewälzt, Interviews mit Bergsteigern, Überlebenden und Angehörigen geführt, in den USA, Europa und Asien. Sein Buch entführt jetzt selbst in die Welt des Bergsteigens und die des K2. Ausführlich schreibt er über Lawinen und Eisüberhänge, über die Technik des Alpinismus, über die Auswirkungen der Höhe und des Sauerstoffmangels auf die Sinnesorgane und das Denkvermögen.

Seite für Seite wird so immer klarer, wie es zum Unglück kam: Zu viele Bergsteiger mit unterschiedlichen Fähigkeiten, die sich am Engstellen gegenseitig behinderten, starten gemeinsam. Es gab nur eine schlechte gemeinsame Planung, an die sich überdies kaum jemand hielt, sodass der Gipfel viel zu spät erreicht wurde. Dazu kam die große Hitze, die vermutlich die todbringende Lawine auslöste, die nicht nur einige Kletterer, sondern auch die festen Seile, die alle für den Rückweg brauchten, in die Tiefe riss. Eindringlich beschreibt Bowley, wie sich einige Bergsteiger aufopfernd bemühen, Kollegen zu retten, wie andere zwei Tage am Berg umherirren und in der Todeszone übernachten - man spürt förmlich, wie sie frieren, hungern und auch dürsten, den Schnee darf man nicht essen - beim Schmelzen im Mund wird zuviel Energie verbraucht.

Nicht alle Expeditionsteilnehmer sind sympathisch. Viele sind zu ehrgeizig, fixiert darauf, alles unter ihrer Kontrolle zu behalten, sie sind hart gegen sich und andere. Andere handeln wie unter Zwang. Die tödliche Schönheit des K2 entfaltet hier ihren Sog. Einen Sog, dem man sich auch beim Lesen nicht entziehen kann. Und so überrascht es kaum, dass keiner der befragten Überlebenden nach dem Unglück das Bergsteigen aufgab.

Warum nicht? Auf der Suche nach einer Antwort ist Graham Bowley selbst nach Pakistan gefahren. Von Askole, dem Ende der Piste, und nach sechstägigem Fußmarsch erreichte er das Basislager des K2. Er stand dort, wo die Expedition startete, schaute die 2000 Meter zum Gipfel hinauf. "Der K2 war unheimlich schön", schreibt er, "seine Schönheit übertraf alle Erwartungen". Vielleicht, so Bowley, liegt darin das Geheimnis: Der Berg locke Menschen an wie das Licht die Motten – als fänden sie hier die Antwort auf die Frage nach dem Sinn ihres Daseins.


Besprochen von Günther Wessel

Graham Bowley: Kein Weg zurück. Leben und Sterben am K 2
Aus dem Englischen von Karina Of und Ulrike Frey,
Malik Verlag München 2011.
320 Seiten, 19,95 Euro