"Die Todesopfer sind die Spitze eines Eisbergs"

Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Verein Berliner Mauer haben bisher 268 Todes- und Verdachtsfälle ermittelt. Ein Katalog mit Kurzporträts einiger Todesopfer gibt einen erschütternden Einblick in verzweifelte Schicksale. Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt.
Bis heute sind weder die Zahlen noch die Namen und Schicksale der Mauertoten vollständig bekannt und belegt. Was für ein Leben sie geführt hatten, welche Motive die Flüchtlinge bewegten, das alles sind zum Teil offene Fragen.
Nach dem Fall der Mauer warteten verschiedene Institutionen und Organisationen mit höchst unterschiedlichen Zahlen auf. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Verein Berliner Mauer haben bisher 268 Todes- und Verdachtsfälle ermittelt: 125 Mauertote können derzeit wissenschaftlich belegt werden, 62 Todesfälle hängen nicht direkt mit dem Grenzregime an der Berliner Mauer zusammen, 81 Fälle bedürfen noch der Klärung, das heißt die Zahl der Mauertoten wird vermutlich bis zum Abschluss des Projekts im nächsten Jahr noch ansteigen.
Es geht bei diesem Projekt indessen nicht allein um Zahlen, wie die Vorsitzende des Vereins Berliner Mauer, Gabriele Camphausen, betont:
"Hinter jeder Zahl verbirgt sich eine bestimmte Identität, eine bestimmte Biografie, die es wert ist, beachtet und dokumentiert zu werden und die den Nachgeborenen den Zugang zur Vergangenheit ermöglicht und eröffnet."
Ein Katalog mit den Kurzporträts der 125 Todesopfer gibt einen erschütternden Einblick in verzweifelte Schicksale, die nur in seltenen Fällen öffentlich wurden, so wie 1962 das qualvolle Sterben des damals 18-jährigen Peter Fechter.
Es geht bei 93 Fällen um Menschen, die bei Fluchtversuchen nach Westberlin erschossen wurden, verunglückten oder sich das Leben nahmen, aber auch um einige, die ohne Fluchtabsicht im Grenzgebiet erschossen wurden oder verunglückten und um jene, die bei Kontrollen an Grenzübergangsstellen verstarben, auch acht im Dienst getötete DDR-Grenzsoldaten sind verzeichnet.
Die Liste der Maueropfer beginnt mit Ida Siekmann, die am 22. August 1961 beim Sprung aus ihrer Wohnung in der Bernauer Straße zu Tode stürzte, und sie endet mit Winfried Freudenberg, der am 8. März 1989 beim Absturz mit seinem Ballon tödlich verunglückte. Über die Hälfte der Maueropfer kam in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau ums Leben, 80 Prozent waren junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren.
Camphausen: "So unterschiedlich die Hintergründe und Motive bei den Betroffenen auch sind, gemeinsam ist allen, dass ein Leben infolge des Mauerregimes der DDR, der SED jäh beendet wurde, dass ein Mensch um seine Chance auf Leben gebracht wurde."
Die Gründe für die unterschiedlichen Zahlen, die bisher vorliegen, sind vielfältig. Es gab Verwechselungen und Fehlinterpretationen, es herrschten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer als Opfer des Grenzregimes zu bezeichnen ist, manche Angaben beruhten auf Hörensagen. So kommt die Arbeitsgemeinschaft 13. August auf mehr als 200 Todesopfer.
Die vom Zentrum für Zeithistorische Forschung und dem Verein Berliner Mauer belegte Zahl von 125 Mauertoten mag niedriger sein, als mancher erwartet haben mag, sie besagt aber nicht, dass das DDR- Regime weniger schlimm gewesen ist. Maria Nooke, vom Verein Berliner Mauer versichert:
"… dass es unser Anliegen nicht ist, die Zahlen herunterzurechnen, sondern deutlich zu machen, dass die Brutalität des Grenzregimes und die perfiden Methoden der DDR-Führung, mit denen sie die Menschen im Land gehalten hat, nicht geringer werden, wenn sich die Zahl der Mauertoten verringert, sondern dass deutlich wird, jedes einzelne Schicksal eines Menschen, der an der Mauer zu Tode gekommen ist, offenbart die Unmenschlichkeit dieses Regimes."
Ein wichtiger Grund für die Schwierigkeiten, denen sich die Forschung gegenübersieht, liegt darin, dass die DDR-Führung alles tat, um die Todesfälle an der Mauer zu verheimlichen. Auch Angehörige erfuhren die wirkliche Todesursache in der Regel nicht oder nur in Anspielungen. Christine Brecht, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts erläutert:
" … dass die DDR-Behörden seit Anfang der 60er Jahre Angehörige von Mauertoten massiv unter Druck gesetzt und eingeschüchtert haben. Zwar wurden in dieser Zeit Angehörige in den meisten Fällen informiert, aber über die genauen Todesumstände wurden sie in der Regel im Unklaren gelassen. Zwar wurden einzelne Todesfälle in den frühen 60er Jahren zu propagandistischen Zwecken in der DDR-Presse thematisiert und im übrigen getötete Flüchtlinge oder Fluchthelfer in diesem Zusammenhang auch als Verbrecher diffamiert, aber in erster Linie ging es dem SED-Regime von Beginn an darum, so wenig Informationen wie möglich bekannt werden zu lassen."
Ein Beispiel: die Mutter von Wernhard Mispelhorn, erschossen im August 1964, erfuhr erst wenige Stunden, bevor er starb, dass ihr Sohn schwer verletzt im Krankenhaus lag. Besuchen durfte sie ihn nicht. Er "starb an den Folgen einer Kopfverletzung, die er sich bei einem versuchten Grenzdurchbruch zuzog" hieß es offiziell. Die Mutter musste sich schriftlich verpflichten, über die Todesumstände Stillschweigen zu wahren.
Im Fall des Herbert Halli, erschossen im April 1975, strickte die Stasi die Legende, er sei betrunken in eine Baugrube gefallen. Auch dies, die Diffamierung der Toten, gehörte zu den gebräuchlichen Stasi-Praktiken. Vor allem ging es darum, die Zahl der Mitwisser so klein wie möglich zu halten.
Das Projekt, das sich nun um Klärung der noch offenen Schicksale von Mauertoten bemüht, ist auf zwei Jahre angelegt. Die Arbeit soll im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Der Leiter des Projekts am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Hans-Hermann Hertle hebt hervor, dass es nicht allein um die Zahl der Mauertoten geht. Man müsse sich vielmehr bewusst sein:
"… , dass die Todesopfer gewissermaßen die Spitze eines Eisbergs menschlicher Dramen und Tragödien sind, die die Diktatur durch Mauer und durch die Teilung verursacht hat. Sie sind die Spitze eines Eisbergs, zu dem auch die vielen gescheiterten Fluchten gehören, bei denen Menschen verletzt, zum Teil schwer verletzt worden sind."
80.000 bis 100.000 DDR-Bürger haben wegen Republikflucht im Gefängnis gesessen, Tausende wurden schikaniert oder sogar inhaftiert, nur weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten.
Nach dem Fall der Mauer warteten verschiedene Institutionen und Organisationen mit höchst unterschiedlichen Zahlen auf. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Verein Berliner Mauer haben bisher 268 Todes- und Verdachtsfälle ermittelt: 125 Mauertote können derzeit wissenschaftlich belegt werden, 62 Todesfälle hängen nicht direkt mit dem Grenzregime an der Berliner Mauer zusammen, 81 Fälle bedürfen noch der Klärung, das heißt die Zahl der Mauertoten wird vermutlich bis zum Abschluss des Projekts im nächsten Jahr noch ansteigen.
Es geht bei diesem Projekt indessen nicht allein um Zahlen, wie die Vorsitzende des Vereins Berliner Mauer, Gabriele Camphausen, betont:
"Hinter jeder Zahl verbirgt sich eine bestimmte Identität, eine bestimmte Biografie, die es wert ist, beachtet und dokumentiert zu werden und die den Nachgeborenen den Zugang zur Vergangenheit ermöglicht und eröffnet."
Ein Katalog mit den Kurzporträts der 125 Todesopfer gibt einen erschütternden Einblick in verzweifelte Schicksale, die nur in seltenen Fällen öffentlich wurden, so wie 1962 das qualvolle Sterben des damals 18-jährigen Peter Fechter.
Es geht bei 93 Fällen um Menschen, die bei Fluchtversuchen nach Westberlin erschossen wurden, verunglückten oder sich das Leben nahmen, aber auch um einige, die ohne Fluchtabsicht im Grenzgebiet erschossen wurden oder verunglückten und um jene, die bei Kontrollen an Grenzübergangsstellen verstarben, auch acht im Dienst getötete DDR-Grenzsoldaten sind verzeichnet.
Die Liste der Maueropfer beginnt mit Ida Siekmann, die am 22. August 1961 beim Sprung aus ihrer Wohnung in der Bernauer Straße zu Tode stürzte, und sie endet mit Winfried Freudenberg, der am 8. März 1989 beim Absturz mit seinem Ballon tödlich verunglückte. Über die Hälfte der Maueropfer kam in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau ums Leben, 80 Prozent waren junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren.
Camphausen: "So unterschiedlich die Hintergründe und Motive bei den Betroffenen auch sind, gemeinsam ist allen, dass ein Leben infolge des Mauerregimes der DDR, der SED jäh beendet wurde, dass ein Mensch um seine Chance auf Leben gebracht wurde."
Die Gründe für die unterschiedlichen Zahlen, die bisher vorliegen, sind vielfältig. Es gab Verwechselungen und Fehlinterpretationen, es herrschten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer als Opfer des Grenzregimes zu bezeichnen ist, manche Angaben beruhten auf Hörensagen. So kommt die Arbeitsgemeinschaft 13. August auf mehr als 200 Todesopfer.
Die vom Zentrum für Zeithistorische Forschung und dem Verein Berliner Mauer belegte Zahl von 125 Mauertoten mag niedriger sein, als mancher erwartet haben mag, sie besagt aber nicht, dass das DDR- Regime weniger schlimm gewesen ist. Maria Nooke, vom Verein Berliner Mauer versichert:
"… dass es unser Anliegen nicht ist, die Zahlen herunterzurechnen, sondern deutlich zu machen, dass die Brutalität des Grenzregimes und die perfiden Methoden der DDR-Führung, mit denen sie die Menschen im Land gehalten hat, nicht geringer werden, wenn sich die Zahl der Mauertoten verringert, sondern dass deutlich wird, jedes einzelne Schicksal eines Menschen, der an der Mauer zu Tode gekommen ist, offenbart die Unmenschlichkeit dieses Regimes."
Ein wichtiger Grund für die Schwierigkeiten, denen sich die Forschung gegenübersieht, liegt darin, dass die DDR-Führung alles tat, um die Todesfälle an der Mauer zu verheimlichen. Auch Angehörige erfuhren die wirkliche Todesursache in der Regel nicht oder nur in Anspielungen. Christine Brecht, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts erläutert:
" … dass die DDR-Behörden seit Anfang der 60er Jahre Angehörige von Mauertoten massiv unter Druck gesetzt und eingeschüchtert haben. Zwar wurden in dieser Zeit Angehörige in den meisten Fällen informiert, aber über die genauen Todesumstände wurden sie in der Regel im Unklaren gelassen. Zwar wurden einzelne Todesfälle in den frühen 60er Jahren zu propagandistischen Zwecken in der DDR-Presse thematisiert und im übrigen getötete Flüchtlinge oder Fluchthelfer in diesem Zusammenhang auch als Verbrecher diffamiert, aber in erster Linie ging es dem SED-Regime von Beginn an darum, so wenig Informationen wie möglich bekannt werden zu lassen."
Ein Beispiel: die Mutter von Wernhard Mispelhorn, erschossen im August 1964, erfuhr erst wenige Stunden, bevor er starb, dass ihr Sohn schwer verletzt im Krankenhaus lag. Besuchen durfte sie ihn nicht. Er "starb an den Folgen einer Kopfverletzung, die er sich bei einem versuchten Grenzdurchbruch zuzog" hieß es offiziell. Die Mutter musste sich schriftlich verpflichten, über die Todesumstände Stillschweigen zu wahren.
Im Fall des Herbert Halli, erschossen im April 1975, strickte die Stasi die Legende, er sei betrunken in eine Baugrube gefallen. Auch dies, die Diffamierung der Toten, gehörte zu den gebräuchlichen Stasi-Praktiken. Vor allem ging es darum, die Zahl der Mitwisser so klein wie möglich zu halten.
Das Projekt, das sich nun um Klärung der noch offenen Schicksale von Mauertoten bemüht, ist auf zwei Jahre angelegt. Die Arbeit soll im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Der Leiter des Projekts am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Hans-Hermann Hertle hebt hervor, dass es nicht allein um die Zahl der Mauertoten geht. Man müsse sich vielmehr bewusst sein:
"… , dass die Todesopfer gewissermaßen die Spitze eines Eisbergs menschlicher Dramen und Tragödien sind, die die Diktatur durch Mauer und durch die Teilung verursacht hat. Sie sind die Spitze eines Eisbergs, zu dem auch die vielen gescheiterten Fluchten gehören, bei denen Menschen verletzt, zum Teil schwer verletzt worden sind."
80.000 bis 100.000 DDR-Bürger haben wegen Republikflucht im Gefängnis gesessen, Tausende wurden schikaniert oder sogar inhaftiert, nur weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten.