Die Tier-Elite und ihr Recht auf Leben

Karsten Brensing im Gespräch mit Susanne Führer · 07.06.2013
Viele Wale und Delphine, die großen Menschenaffen und vermutlich auch die Elefanten stehen mit dem Menschen auf einer Bewusstseinsstufe, sagt der Biologe Karsten Brensing. Diese Tiere hätten sich im Laufe der Evolution so hoch entwickelt, dass sie sich etwa bei der Betrachtung im Spiegel selbst erkennen.
Susanne Führer: Dass Tiere einen Charakter haben, das weiß jeder Hundebesitzer. Die einen sind forsch, die anderen ängstlich, also ich meine jetzt die Hunde. Aber kann man Tiere, zumindest einige Arten, auch als nichtmenschliche Personen ansehen? Ja, das sollte und muss man, meint der Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing. Er fordert "Persönlichkeitsrechte für Tiere" – das ist auch der Titel seines Buchs. Ich habe Karsten Brensing gefragt, warum er Persönlichkeitsrechte für Tiere fordert und was denn überhaupt eine Persönlichkeit ausmacht.

Karsten Brensing: Na ja, also, wir sprechen von nichtmenschlichen Personen, und wenn sich jeder selbst fragt, was macht ihn zur Person, dann hat man sich ganz schnell selbst beantwortet, was eine Person ausmacht. Also, eine Person hat ein Selbstbewusstsein; eine Person hat eine Vorstellung davon, dass es auch andere Personen gibt und auch die ein Selbstbewusstsein haben.

Eine Person hat ein Lebenskonzept, ein gutes Gedächtnis, eine Vorstellung des eigenen Lebens. Es hat eine Erinnerung, eine Vergangenheit, es hat eine Zukunft. Eine Person kann strategisch denken, planvoll agieren. Was könnte man sonst noch nennen? Aspekte wie Fairness, so was, das sind alles Dinge, die uns, wenn wir uns selbst fragen, was macht uns zu Menschen, das sind die Dinge, die uns zum Menschen machen.

Führer: Das heißt, Kleinkinder und geistig Behinderte sind dann keine Menschen?

Brensing: Na ja, nach den Menschenrechten sind sie das natürlich, und das ist auch gut so, denn als die Menschenrechte definiert wurden, wurde ja die Unteilbarkeit der Menschenrechte auch mit festgelegt, das heißt also, Menschenrechte kann man überhaupt nicht teilen. Wer ein Mensch ist, hat auch Menschenrechte.

Und das, was wir versuchen, ist, dass wir mit einer gewissen Logik daran gehen und sagen, hm, die Menschenrechte basieren eigentlich darauf, dass man die einzelne Person schützen will, eben das Individuum, was sich als Selbst und als Person versteht. Und das tun wir aus unserer eigenen Moral heraus. Und ich denke, wenn man dieser Moral folgt, dann kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass auch Tiere, die sich so weit entwickelt haben, es sind ja nicht sehr viele …

Führer: Moment mal, aber dieser Sprung ist mir zu schnell. Also, Sie haben gerade gesagt, Menschenrechte gelten für alle Menschen, auch für das neun Monate alte Baby oder auch für den 20-jährigen geistig Behinderten, der nicht weiß, wer die anderen sind, der nicht planvoll handeln kann. Also frage ich mich, warum führen Sie denn überhaupt diesen Begriff jetzt der Person oder der Persönlichkeitsrechte – Ihr Buch heißt ja "Persönlichkeitsrechte für Tiere" – dann ein? Also sind Persönlichkeitsrechte …. – gewähren die mehr oder weniger Schutz als Menschenrechte?

Brensing: Also, ich glaube, dass die Menschenrechte letztlich auf Persönlichkeitsrechten beruhen. Oder das glaube nicht nur ich, sondern da gibt es einen Professor aus den USA, der heißt Thomas White, und das ist eigentlich ein Wirtschaftsethiker, und der hat sich aber viel mit Menschenrecht beschäftigt. Und der hat sich halt überlegt, dass Menschenrechte eigentlich per se darauf basieren, auf dem, was ich auch gerade gesagt habe, dass Menschen Personen sind, also sich selbst bewusste Individuen, die eine Vorstellung und so weiter haben. Und er argumentiert daher, dass es eben auch, wenn Tiere sich so weit entwickelt haben, dass man denen dann eben auch Rechte zugestehen muss, die über den normalen Tierschutz hinausgehen.

Führer: Aber Sie haben doch gerade selbst gesagt, Menschenrechte gelten für alle Menschen. Also ist es doch vielleicht eher umgekehrt, dass die Persönlichkeitsrechte auf den Menschenrechten beruhen? Denn die Persönlichkeitsrechte machen Sie ja jetzt abhängig – also, was eine Person ist, machen Sie abhängig von bestimmten Eigenschaften. Die haben aber gar nicht alle Menschen, trotzdem gelten die Menschenrechte für alle Menschen.

Brensing: Das ist richtig. Ich glaube, das war eine – damals, als die Menschenrechte, als die Deklaration herausgegeben wurde, war das eine ethisch sehr wertvolle Entscheidung, dass man eben gesagt hat, nicht nur DIE Menschen, die sozusagen im vollen Bewusstsein ihrer selbst sind, haben ein Schutzrecht, sondern auch die, die auf andere angewiesen sind. Und ich glaube, da haben die Menschen, die das damals gemacht haben, die Leute haben eine sehr weise Entscheidung gefällt. Denn auf die Art und Weise sind eben Leute, die sich in Abhängigkeit von anderen befinden, dadurch eben auch geschützt, und das ist ganz wertvoll und wichtig.

Führer: Gut. Und Sie sagen nun, es gibt Tiere, die durchaus Eigenschaften aufweisen, die nach unserem Verständnis jemanden zur Person machen. Also so was wie eben Selbstbewusstsein, wie planvolles Handeln, wie Lebenszeitgedächtnis – welche Tiere sind denn das?

Brensing: Also, soweit wir das bisher beurteilen können, würde ich mich nicht scheuen, zu sagen, dass das für viele Wal- und Delphinarten gilt. Es gilt mit Sicherheit für die großen Menschenaffen und vermutlich für die beiden Elefantenarten. Das sind so die Tiergruppen, wo man so viele Indizien und Hinweise gesammelt hat, dass man eigentlich davon ausgehen muss, dass die sich so weit hoch entwickelt haben.

Nun gibt es aber auch andere Tiere, die eine ganze Reihe von beeindruckenden Leistungen hervorgebracht haben. Also beispielsweise das, was uns so wichtig ist, ist dieses Selbstbewusstsein. Dafür gibt es so ein Spiegelexperiment, wo sich dann halt die Menschen oder eben auch die Tiere erkennen müssen. Und da war es tatsächlich so, dass sogar einige Vögel Hinweise darauf geliefert haben, dass die sich auch im Spiegel erkennen.

Das mögen aber Inselbegabungen sein, also das lässt sich nicht genau sagen, das muss immer weiter untersucht werden. Aber man kann, nur wenn man jetzt sagt, dass es diese drei Tierarten oder diese drei Tiergruppen betrifft, kann man nicht ausschließen, dass wir nicht durch größere und weitere Erkenntnisse zu weiteren Schlüssen kommen und dass das auch für mehrere Tierarten gilt.

Führer: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem Meeresbiologen und Verhaltensforscher Karsten Brensing über Persönlichkeitsrechte für Tiere. Es gibt als manche Tiere, die manche Eigenschaften aufweisen, die jemanden zur Person machen, unbestritten. Aber trotzdem gibt es doch weiterhin große Unterschiede zwischen Menschen und Tieren. Also der Mensch hat Kultur und Wissenschaft. Er kann Fragen nachgehen wie "Was kann ich wissen? Was soll ich tun?". Er verfügt über ein Gedächtnis von Vergangenheit. Er hat eine Gegenwart und eine Zukunft. Also heutige Generationen wissen mehr als vorherige Generationen. Das haben doch Tiere alles nicht.

Brensing: Ja, das stimmt nicht. Nein, das stimmt tatsächlich nicht. Es ist ganz spannend. Also die Diskussion, ob und in welcher Form es Kultur im Tierreich gibt, war – ich sag jetzt mal, vor zehn Jahren war das ein ganz modernes Forschungsthema. Und seither sind unzählige Veröffentlichungen gemacht worden, die sich damit beschäftigen. Und heute können wir davon ausgehen, dass es auch Kultur bei einigen Tierarten gibt.

Führer: Nennen Sie mal ein Beispiel, Herr Brensing.

Brensing: Es gibt Untersuchungen an Orkas in Kanada. Da gibt es verschiedene Orka-Gruppen. Die einen essen nur Säugetiere, und die anderen essen nur Fisch. Die Tiere unterscheiden sich aber sonst überhaupt nicht. Die leben auch im selben Territorium, auch wenn die einen länger und weiter mal wegschwimmen und die anderen relativ örtlich stabil sind. Die beiden Gruppen haben nichts miteinander zu tun.

Und das müssten sie aber, denn jedes Tier ist normalerweise bestrebt, also seinen Genpool zu erweitern und sich eben mit Tieren, die zur selben Art gehören, zu vermehren, und möglichst mit fremden Tieren, damit der Genpool größer wird. Die Tiere tun das nicht. Und der Grund dafür sind eben diese Essgewohnheiten. Und diese Essgewohnheiten sind aber nicht genetisch festgelegt, sondern ein Kulturgut.

Und das Spannendste ist, dass man aufgrund von genetischen Analysen auch relativ genau festlegen konnte, wann das passiert ist. Und das ist nämlich länger als 100.000 Jahre her. Das heißt also, das ist eine so unglaublich alte Kultur, da müssen wir uns fast hinter verstecken.

Führer: Na ja, nun, ob das dasselbe ist wie ein Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu haben, wage ich dann doch zu bezweifeln. Aber wenn ich jetzt mal mit Ihnen mitgehe, Herr Brensing, und sage, okay, also Tiere haben Persönlichkeitsmerkmale, bestimmte Tierarten, was folgt dann daraus?

Brensing: Ich denke, dass Tiere, die sich kognitiv so hoch entwickelt haben, ein Recht darauf haben, ihr Leben selbst zu bestimmen und nicht einfach mal so, weil es irgendjemand gefällt und weil er damit vielleicht wirtschaftliche Interessen hat, getötet zu werden. Ich denke, die Tiere haben ein Recht auf sich selbst, sie sind von einem Etwas zu einem Wer geworden, und ein Wer hat Rechte.

Führer: Und was heißt das, wenn ein Delphin sich selbst bestimmt?

Brensing: Na ja, das heißt beispielsweise, dass er sich dort aufhalten kann, wo er sich eben gerne aufhalten möchte, dass man sein Territorium respektiert, in seinen Territorien keine Dinge tut, die ihn möglicherweise gefährden oder sogar extrem gefährden und töten. Das sind Dinge, die müssten wir lassen.

Also ich komme ja eigentlich aus dem Naturschutz und bin da mehr oder weniger auf Unterwasserakustik und die Lärmverschmutzung im Meer spezialisiert, und da ist es eben so, dass man mit den derzeitigen Instrumentarien nicht weiterkommt, weil immer damit argumentiert wird, na ja, eigentlich, die sind geschützt, haben den höchsten Schutzstatus, eigentlich darf ihnen nichts geschehen. Aber wenn halt ein bestimmter Prozentsatz nur betroffen ist, dann ist das akzeptabel. Und meiner Meinung nach ist das bei Personen nicht mehr akzeptabel.

Führer: Zum Schluss, Her Brensing, ich meine, einen Haken hat die Geschichte natürlich: Sie machen auch wieder eine Hierarchie auf unter den Tieren, und Sie entkommen ja auch diesem Anthropozentrismus nicht, also dass der Mensch sozusagen immer von sich aus und an sich messend denkt, weil Sie zwar Delphinen oder Walen Persönlichkeitsrechte zugestehen, aber jetzt eben nicht Schweinen, Kühen oder Katzen.

Brensing: Man könnte mir den Vorwurf machen, dass ich so eine Art Tier-Elite da formuliere. Das mag gerechtfertigt sein, wenn man das von außen betrachtet. Aber, ja, das ist Wissenschaft. Also ich kann jetzt nicht sagen, dass eine Kuh Selbstbewusstsein hat, weil unsere Erkenntnisse geben das nicht her. Und wenn ich mir die Aspekte ansehe, die man untersuchen kann und wo man Experimente machen kann, die man im Freiland beobachten kann, dann gibt es eben ein Set von Fähigkeiten, was erfüllt sein muss, um eine Person zu sein. Um sich so weit hoch entwickelt zu haben.

Und Tiere, die darauf keine Hinweise liefern, denen kann man das nicht einfach so zugestehen. Ich glaube oder ich hoffe, dass ich mit meinem Buch jetzt nicht dafür sorge, da anderen Tieren weniger Schutz zu geben. Denn ich denke, die haben ein Recht auf ein leidloses Leben. Das ist, glaube ich, die Hauptsache. Nur, ich bin nicht ganz sicher, ob wir Menschen uns von dem Tierreich so weit entwickelt haben, dass wir nicht eben auch mit einigen anderen Tieren zusammen auf einem Niveau zumindest in der Entwicklung der Person stehen sollten. Und deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Es geht mir also darum, den Menschen eigentlich ein Stückchen von seinem Sockel herunterzuholen und ihn wieder dahin zu setzen, wo er ist, nämlich ins Tierreich.

Führer: Das sagt der Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing. Bei Herder ist vor Kurzem sein Buch "Persönlichkeitsrechte für Tiere" erschienen. Danke fürs Gespräch, Herr Brensing!

Brensing: Ja, gerne.

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