Die Themen vor der Haustür
Das Stadttheater wurde belächelt. In den 70er und 80er Jahren strich jedes Ensembles, das auf sich hielt, den Begriff aus dem Namen und dem Logo. Jetzt erlebt er eine Renaissance. Stadttheater ist kein Schimpfwort mehr, sondern ein Programm. Überall suchen die Theatermacher den Kontakt zu den Menschen und Themen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür treffen.
Das Stadttheater - ein typisches, weltweit einmaliges Modell, das auf die Kleinstaaterei im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts zurückgeht. Jeder ehrgeizige Fürst, jede selbstbewusste Bürgerschaft wollte ihr eigenes Theater als Mittelpunkt des kulturellen und sozialen Lebens. Das Resultat ist die dichteste Theaterszene der Welt.
Die freilich zerfällt in eine kleine Gruppe von Spitzenensembles - je nach Vorliebe nennt man sie die "Bundesliga" oder das Metropolentheater. Der große Rest: Provinz. Das Stadttheater wurde belächelt. In den 70er und 80er Jahren strich jedes Ensembles, das auf sich hielt, den Begriff aus dem Namen und dem Logo. Jetzt erlebt er eine Renaissance.
Stadttheater ist kein Schimpfwort mehr, sondern ein Programm. Überall suchen die Theatermacher den Kontakt zu den Menschen und Themen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür treffen. Rückzug in den Elfenbeinturm ist passe.
Diese Auseinandersetzung bringt ganz neue Theaterformen mit sich: Projekt- und Teamarbeit, "Work in progress" - dass sich bestimmten Fragen über einen langen, oft mehr als eine einzige Spielzeit umfassenden Zeitraum nähern -, Zusammenarbeit zwischen Theaterleuten und Menschen, die sie oft nicht einmal als Zuschauer kennen: Migranten, Arbeits- und Obdachlose, Jugendliche aus sozialen Brennpunkten.
Eines der ersten Projekte, die für große Aufmerksamkeit sorgten, war 2002 "Deutschland 2" von der Theatergruppe "Rimini-Protokoll". In Bonn, das damals noch schwerer unter (finanziellen und mentalen) Entzugserscheinungen als Nicht-mehr-Bundeshauptstadt litt, synchronisierten Bonner Bürger live eine aus Berlin übertragene Bundestagsdebatte.
Laien agieren auch in den zahlreichen Stadtprojekten, die das Schauspiel Essen seit dem Amtsantritt des Intendanten Anselm Weber vor drei Jahren gestartet hat: "Homestories", ein Abend von und mit Jugendlichen über ihren Alltag im problematischen Stadtteil Katernberg, hat schon Kultstatus erreicht. Die "Eichbaumoper", die in einer offenen Theaterwerkstatt in einer Stadtbahn-Baustelle mit Anwohnern der Gegend geschrieben, komponiert, geprobt und inszeniert werden soll, kann man Ende dieser Spielzeit erleben.
Bereist gestartet ist die Aktion "Glückliche Orte". Das Theater hat massenhaft kleine Pappschilder in der der Art von Gepäckanhängern in Umlauf gesetzt. Wer mitmachen will, soll so einen Zettel an einem Ort anbringen, mit dem ihn eine glückliche Erinnerung verbindet, und die dazugehörige Geschichte aufschreiben. Das Theater veröffentlicht das ganze "Glücksarchiv" im Internet und möchte das Material zur Entwicklung eines Theaterabends nutzen.
Persönliche Erinnerungen als wichtige Geschichtsquelle hat auch das Theater Mülheim gesammelt in dem Projekt "Mülheim am Meer" anlässlich des Stadtjubiläums 2008: Tanzstunden und Liebesbriefe, Hochöfen und Brieftauben, Widerstand und Diktatur, Fremde oder neue Heimat - alles konnte Thema werden. Das Ladenlokal in der Innenstadt, in dem das Material abgegeben oder die Geschichte erzählt werden konnte, ist ein Bürgertreff geworden, den die Mülheimer auch nach Beendigung des Theaterprojekts behalten wollen. Das Ensemble von Roberto Ciulli gestaltete aus einigen der Erinnerungsgeschichten einen improvisierten, experimentellen Theaterabend.
Am Düsseldorfer Schauspielhaus schickt Luc Perceval zehn Ensemblemitglieder aus dem Theater in die Stadt, um einen japanischen Mitbürger kennenzulernen, und dokumentiert die Begegnungen in dem Film "Düsseldorf - mon amour". Seit mehr als fünf Jahrzehnten ist in der Stadt die größte japanische Community im Ausland gewachsen, aber Kontakte gibt es wenige. Die Japaner leben unter sich in bestimmten Stadtteilen, haben ihre eigenen Schulen, Läden und Restaurants, arbeiten in japanischen Unternehmen. Eine perfekte Ausgangslage für Luc Percevals Vorhaben, dem Fremden ganz in der Nähe zu begegnen.
Ähnlich ging auch Alvis Hermanis vor, der in der vergangen Spielzeit Kölner Schauspieler in die Haut von Mitbürgern schlüpfen und deren kleine persönliche Geschichten auf die Bühne bringen ließ.
Schon die Namen der beteiligten Regisseure belegen, dass diese Art von Stadttheater alles andere als provinziell ist. Das Theater verlässt die Einbahnstraße der Kommunikation, die lange nur von der Bühne zum Publikum lief und nicht umgekehrt. Sicher ist die Suche nach neuen Publikumsschichten, die Werbung und Bindung von Zuschauern ein Faktor, der hier mitspielt, aber wohl nur in einer Nebenrolle.
Solche lokalen Projekte belegen, dass das Theater sich erfolgreich auf die Suche nach einer neuen politischen Relevanz gemacht hat: durch die Beschäftigung mit konkreten, im wahrsten Sinne des Wortes nahe liegenden Fragen. Für sie wird Öffentlichkeit geschaffen, ein Forum eröffnet, auf dem die Debatte geführt werden kann.
Die Chance auf Veränderung ist dabei allemal größer als in den hoch polarisierten 68er Jahren, als Vorstellungen zu Diskussionen umfunktioniert wurden. Und es bewirkt sicher mehr als betroffene Ansprachen vor dem Vorhang oder Geldsammlungen im Foyer, mit denen Theaterleute eher hilflos auf globale Krisen reagieren.
Die freilich zerfällt in eine kleine Gruppe von Spitzenensembles - je nach Vorliebe nennt man sie die "Bundesliga" oder das Metropolentheater. Der große Rest: Provinz. Das Stadttheater wurde belächelt. In den 70er und 80er Jahren strich jedes Ensembles, das auf sich hielt, den Begriff aus dem Namen und dem Logo. Jetzt erlebt er eine Renaissance.
Stadttheater ist kein Schimpfwort mehr, sondern ein Programm. Überall suchen die Theatermacher den Kontakt zu den Menschen und Themen, die sie im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür treffen. Rückzug in den Elfenbeinturm ist passe.
Diese Auseinandersetzung bringt ganz neue Theaterformen mit sich: Projekt- und Teamarbeit, "Work in progress" - dass sich bestimmten Fragen über einen langen, oft mehr als eine einzige Spielzeit umfassenden Zeitraum nähern -, Zusammenarbeit zwischen Theaterleuten und Menschen, die sie oft nicht einmal als Zuschauer kennen: Migranten, Arbeits- und Obdachlose, Jugendliche aus sozialen Brennpunkten.
Eines der ersten Projekte, die für große Aufmerksamkeit sorgten, war 2002 "Deutschland 2" von der Theatergruppe "Rimini-Protokoll". In Bonn, das damals noch schwerer unter (finanziellen und mentalen) Entzugserscheinungen als Nicht-mehr-Bundeshauptstadt litt, synchronisierten Bonner Bürger live eine aus Berlin übertragene Bundestagsdebatte.
Laien agieren auch in den zahlreichen Stadtprojekten, die das Schauspiel Essen seit dem Amtsantritt des Intendanten Anselm Weber vor drei Jahren gestartet hat: "Homestories", ein Abend von und mit Jugendlichen über ihren Alltag im problematischen Stadtteil Katernberg, hat schon Kultstatus erreicht. Die "Eichbaumoper", die in einer offenen Theaterwerkstatt in einer Stadtbahn-Baustelle mit Anwohnern der Gegend geschrieben, komponiert, geprobt und inszeniert werden soll, kann man Ende dieser Spielzeit erleben.
Bereist gestartet ist die Aktion "Glückliche Orte". Das Theater hat massenhaft kleine Pappschilder in der der Art von Gepäckanhängern in Umlauf gesetzt. Wer mitmachen will, soll so einen Zettel an einem Ort anbringen, mit dem ihn eine glückliche Erinnerung verbindet, und die dazugehörige Geschichte aufschreiben. Das Theater veröffentlicht das ganze "Glücksarchiv" im Internet und möchte das Material zur Entwicklung eines Theaterabends nutzen.
Persönliche Erinnerungen als wichtige Geschichtsquelle hat auch das Theater Mülheim gesammelt in dem Projekt "Mülheim am Meer" anlässlich des Stadtjubiläums 2008: Tanzstunden und Liebesbriefe, Hochöfen und Brieftauben, Widerstand und Diktatur, Fremde oder neue Heimat - alles konnte Thema werden. Das Ladenlokal in der Innenstadt, in dem das Material abgegeben oder die Geschichte erzählt werden konnte, ist ein Bürgertreff geworden, den die Mülheimer auch nach Beendigung des Theaterprojekts behalten wollen. Das Ensemble von Roberto Ciulli gestaltete aus einigen der Erinnerungsgeschichten einen improvisierten, experimentellen Theaterabend.
Am Düsseldorfer Schauspielhaus schickt Luc Perceval zehn Ensemblemitglieder aus dem Theater in die Stadt, um einen japanischen Mitbürger kennenzulernen, und dokumentiert die Begegnungen in dem Film "Düsseldorf - mon amour". Seit mehr als fünf Jahrzehnten ist in der Stadt die größte japanische Community im Ausland gewachsen, aber Kontakte gibt es wenige. Die Japaner leben unter sich in bestimmten Stadtteilen, haben ihre eigenen Schulen, Läden und Restaurants, arbeiten in japanischen Unternehmen. Eine perfekte Ausgangslage für Luc Percevals Vorhaben, dem Fremden ganz in der Nähe zu begegnen.
Ähnlich ging auch Alvis Hermanis vor, der in der vergangen Spielzeit Kölner Schauspieler in die Haut von Mitbürgern schlüpfen und deren kleine persönliche Geschichten auf die Bühne bringen ließ.
Schon die Namen der beteiligten Regisseure belegen, dass diese Art von Stadttheater alles andere als provinziell ist. Das Theater verlässt die Einbahnstraße der Kommunikation, die lange nur von der Bühne zum Publikum lief und nicht umgekehrt. Sicher ist die Suche nach neuen Publikumsschichten, die Werbung und Bindung von Zuschauern ein Faktor, der hier mitspielt, aber wohl nur in einer Nebenrolle.
Solche lokalen Projekte belegen, dass das Theater sich erfolgreich auf die Suche nach einer neuen politischen Relevanz gemacht hat: durch die Beschäftigung mit konkreten, im wahrsten Sinne des Wortes nahe liegenden Fragen. Für sie wird Öffentlichkeit geschaffen, ein Forum eröffnet, auf dem die Debatte geführt werden kann.
Die Chance auf Veränderung ist dabei allemal größer als in den hoch polarisierten 68er Jahren, als Vorstellungen zu Diskussionen umfunktioniert wurden. Und es bewirkt sicher mehr als betroffene Ansprachen vor dem Vorhang oder Geldsammlungen im Foyer, mit denen Theaterleute eher hilflos auf globale Krisen reagieren.