Die technische Optimierung des Menschen

Paul Lukowicz im Gespräch mit Christine Watty · 28.05.2013
Smartphones sind eine weit verbreitete Mensch-Maschinen-Schnittstelle, findet Paul Lukowicz vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz: "Es erweitert unsere Fähigkeit, sich Informationen zu beschaffen." Zugleich sei ein Handy etwas sehr Persönliches, das viel Intimes preisgebe.
Christine Watty: Auf der Internetkonferenz re:publica sagte in diesem Jahr einer der Redner: "Ich bin ein Cyborg, weil ich trage eine Brille". Und damit meinte er nicht das hoch technologisierte Ding aus dem Hause Google, das in unser Sichtfeld Karten und Informationen und SMS und E-Mails einblenden können soll, nein, er meinte seine ganz normale Lesebrille. Auch ein technisch erstelltes Hilfsmittel für den Menschen.

Neben dieser kleinen Anekdote, wonach dann ja auch Gehstöcke, Kontaktlinsen und Hörgeräte als Eintrittskarten in die Cyborg-Welt gelten können, gibt es natürlich jede Menge anderes neues technisches Material, das den Menschen verbessert. "Human Enhancement" heißt der Oberbegriff für all das, und immer klarer wird: Für die Erstellung eines optimierten Menschen der Zukunft, da kommt gar keiner, schnallt uns auf eine Liege und bastelt uns ein paar Verkabelungen an den Kopf! Die Mensch-Maschinen-Schnittstellen, die sind längst gelegt und wir sind mittendrin in der Welt der technischen Verbesserung unseres Seins.

Guten Tag, Paul Lukowicz vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz!

Paul Lukowicz: Guten Tag!

Watty: Wo tragen wir sie denn sonst noch so mit uns herum, diese Mensch-Maschinen-Schnittstellen?

Lukowicz: Das Wichtigste ist natürlich unser Smartphone, und das am meisten verbreitete. Wenn man bedenkt, was es alles ermöglicht hat, wenn man sich vorstellt, noch so vor fünf oder sechs Jahren war die Idee, dass jemand mal so eben beim Warten auf den Fahrstuhl seine E-Mails checkt, die Fotos von den Dingen, die er gesehen hat und die ihn fasziniert hatten, kurz mal an die ganze Welt in Facebook postet und vielleicht nicht mehr nachguckt, was sein Gegenüber, den er gleich trifft, macht und wer er ist, das sind Dinge, die wären vor einigen Jahren noch gar nicht vorstellbar gewesen.

Watty: Aber wenn man gerade die Funktion der Mobiltelefone betrachtet, dann könnte man sagen: Na, das sind vor allem praktische Eigenschaften, die so ein Mobiltelefon mit sich bringt. Sind denn auch Mobiltelefone schon Schnittstellen, die quasi den Beginn eines immer mehr optimierten Menschen bilden können?

Lukowicz: Ich denke, schon. Denn bei der Optimierung geht es in erster Linie um praktische Dinge und in der heutigen Zeit ist die Fähigkeit, Informationen abzurufen, und natürlich der Besitz von Informationen das, was mit zu unseren wichtigsten Eigenschaften und Fähigkeiten gehört. Und ein Mobiltelefon, ein Smartphone mit einer Internetverbindung erweitert unsere Fähigkeit, sich Informationen zu beschaffen, zu jeder Zeit und jeder Situation, in einer ganz enormen Art und Weise. Es ist ein einfaches Beispiel, aber ich denke, dass es schon auch ein bisschen wegweisend ist in Richtung von dem, was kommt.

Watty: Dem was kommt, bedeutet: Ist es so, dass mit dem Beginn des digitalen Zeitalters die technische Optimierung des Menschen schneller und zugleich dann aber auch unbemerkter vor sich geht?

Lukowicz: Sie geht zum einen schneller voran, zum anderen ist es aber auch so, dass die Technik immer näher an uns heranrückt. Wenn man so an die Brille denkt oder an Werkzeuge, die der Mensch ja zuerst erfunden hat, die auch schon eine Erweiterung unserer Fähigkeiten waren, dann waren das Dinge, die nicht wirklich intim an uns nahe dran waren.

Das Handy ist etwas inzwischen jetzt schon sehr Persönliches, und wenn man an so etwas denkt wie Google Glass, das ist etwas, was ich immer bei mir habe, das in jeder Lebenssituation permanent in der Lage ist, Dinge, die ich sehe, aufzunehmen und weiterzugeben, mich mit Informationen zu versorgen und das auch ein gewisses Verständnis entwickeln sollte von dem, was ich tue, was ich brauche, was ich mag, dann ist das einfach viel, viel, viel intimer als das, was wir so auch von den klassischen Werkzeugen her kennen.

Watty: Diese technische Entwicklung geht also immer schneller, haben Sie auch gesagt. Die Sorge natürlich vor der Entwicklung eines mutierten Menschen, ist das etwas, mit dem Sie sich auch in Ihrer Arbeit auseinandersetzen müssen?

Lukowicz: Also, ich glaube, dass die Gefahr, dass wir demnächst uns zu so etwas entwickeln wie die Borg aus der "Star Trek"-Serie, die ist natürlich nicht gegeben. Auf der anderen Seite kann man schon verstehen, dass bei der hohen Geschwindigkeit der Entwicklungen viele Menschen da ein gewisses Unbehagen empfinden.

Und dieses Unbehagen ist auch in vieler Hinsicht vielleicht berechtigt. Denn wir verstehen nicht wirklich, was diese Technologien langfristig für unsere Interaktionen, für unser Leben, für unsere Privatsphäre wirklich bedeuten. Und deswegen ist es ganz wichtig für den Erfolg dieser Technik, dass wir uns eben nicht nur mit Fragen des technisch Möglichen beschäftigen, sondern uns eben die Frage stellen, was sind die Gefahren dabei, wie wirkt sich das auf unser Leben, auch auf unsere soziale Kompetenz aus!

Watty: Die Google Glass, also die Google-Brille, die ist ja schon ein sehr umstrittenes neues Produkt. Also, es gibt Sorgen davor, dass sie eine Gesichtserkennungs-API, also eine Schnittstelle für die automatische Gesichtserkennung für unser Gegenüber beinhalten könnte, und selbst wenn es nicht konkret geplant ist, wäre es natürlich ein Leichtes, das auch in der Zukunft umzusetzen. Das heißt, sind wir wirklich so weit davon entfernt, dass wir noch sagen können, ach, es wird nicht Cyborg-artige Menschen in der Zukunft geben, wenn schon über die Einführung dieser Brille, die dann doch auch unser ganzes Sichtfeld, unseren ganzen Blick auf die Welt verändern könnte, kurz bevorsteht?

Lukowicz: Ich denke, das hängt davon ab, was man jetzt unter Cyborg versteht. Und für mich ist das Wichtigste die Kontrolle und die Transparenz. Das heißt, derjenige, der die Brille trägt, aber auch derjenige, der mit ihm spricht, der ihm begegnet, muss immer sich darüber im Klaren sein, was da jetzt eigentlich passiert: Wird etwas aufgezeichnet, wird etwas erkannt, was passiert damit?

Watty: Sagt Paul Lukowicz im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über das Human Enhancement, die technische Optimierung des Menschen. Herr Lukowicz, wie sehr ist denn diese technische Entwicklung auch von Darstellungen oder Ideen vielleicht nicht unbedingt eines Cyborgs, den wir gerade schon ein bisschen ausgeschlossen haben, geprägt, aber vielleicht auch wirklich von dieser Idee der Menschmaschine?

Lukowicz: Man muss einfach sehen, es gibt Dinge, die kann der Mensch viel besser, als es Maschinen können. Und vielleicht als sie es je werden können. Andererseits gibt es Dinge, die Maschinen einfach mal besser können als Menschen. Und wenn man es schafft, den Menschen die Fähigkeit der Maschinen optimal zu erschließen durch entsprechende Benutzerschnittstellen, dann ist das etwas, was einfach sehr positiv ist.

Diese Vision der Verschmelzung ist durch verschiedene Filme und auch mal so ein bisschen die Angst vor dem intimen Eindringen der Technologie in uns, in unsere Privatsphäre so gewachsen. Aber ich glaube, wenn man das vernünftig macht, wenn man sich über solche sozialen und psychologischen Konsequenzen Gedanken macht, dann ist das etwas, was uns wirklich helfen kann.

Watty: Konkrete Beispiele dafür, wo konkret können diese Technologien menschliches Zusammenleben verbessern?

Lukowicz: Es gibt viele Beispiele. Grundsätzlich geht es einfach darum, bei so was wie Google Glass oder auch das Handy, dass wir einen besseren Zugang zu Informationen haben. Im professionellen Bereich ist es zum Beispiel etwas, was bei Sicherheitskräften, bei Einsatzkräften, bei Katastrophen einen sehr großen Einfluss haben kann.

Watty: Inwiefern?

Lukowicz: Stellen Sie sich mal vor, Sie haben jetzt irgendwo ein Erdbeben, eine Katastrophe, die Einsatzkräfte kommen von verschiedenen Seiten, Sie wissen nicht, was los ist. Wenn Sie sich jetzt mal vorstellen, dass jede dieser Einsatzkräfte so ein Google Glass anhat und seine Bilder, die Werte von Sensoren und Informationen in einen zentralen Rechner übertragen kann und gleichzeitig über eine geeignete Schnittstelle den anderen zur Verfügung stellen kann, dann ist praktisch jede dieser Einsatzkräfte in der Lage, jederzeit über das Ganze zu fliegen, zu sehen, was die anderen sehen, mit denen Informationen auszutauschen, was natürlich ganz ungeahnte Möglichkeiten eröffnet.

Wenn Sie heute daran denken, dann ist jeder praktisch für sich isoliert und sieht einen kleinen Ausschnitt um sich herum. Und so hat jeder die Möglichkeit, wie in einer Simulation, wie in einem Computerspiel über das ganze Geschehen zu fliegen. Jederzeit Informationen aus jeder Ecke sich zunutze zu machen und Informationen zu teilen.

Watty: Es scheint ja, als stünden wir also heute damit auch an einer technologischen Schwelle in die Zukunft hinein, als seien wir aber auch immer noch ganz gut darin zu diskutieren, was solche Neuerungen auch an Nachteilen oder Gefahren mit sich bringen, siehe die Diskussion zum Beispiel um Google Glass. Wir denken dann auch daran, dass wir damit dann auch ständig Daten in die Welt senden, dass wir selbst gläserne Menschen werden. Das sind im Moment noch die Diskussionen.

Wie werden diese Diskussionen denn ausgehen beziehungsweise wer bestimmt dann, wo es hingeht mit den technischen Entwicklungen? Und glauben Sie, dass wir vielleicht in Zukunft dann absehen von solchen Diskussionen und uns daran gewöhnen?

Lukowicz: Man erinnere sich an das Beispiel Freisprecheinrichtung am Handy! Wenn Sie vor zehn, vielleicht 15 Jahren über die Straße gegangen sind und irgendetwas gemurmelt hatten, dann hat man Sie vielleicht für verrückt gehalten! Heute weiß jeder, Sie sprechen in eine Freisprecheinrichtung. Das heißt, soziale Normen verändern sich und die werden sich verändern.

Auf der anderen Seite glaube ich, dass der Erfolg dieser Technologien ganz stark davon abhängt, dass diejenigen, die diese Technologien in die Welt setzen, von vornherein mit der Öffentlichkeit ehrlich sind, was die Gefahren und die Potenziale dieser Technologie sind, und eine öffentliche, offene Diskussion darüber anregen, was ist denn sinnvoll und was macht weniger Sinn.

Watty: Würden Sie aber sagen, dass dieses unbewusste Benutzen dieser Technologien, wie wir es vorhin auch schon am Beispiel des Mobiltelefons beschrieben haben, dass es diesen Schritt leichter macht, weil wir auch einfach bei vielen Dingen sie einfach benutzen, weil sie praktisch sind und gar nicht so sehr jeden technischen neuen Schritt mitgehen? Plötzlich hat das Handy eben noch mal fünf Apps mehr und funktioniert noch besser, erweitert uns noch mehr in technischer Hinsicht und wir denken gar nicht mehr so viel darüber nach?

Lukowicz: Das ist richtig. Also, wir haben schon einen sehr großen Schritt in dieser Richtung gemacht, gerade wenn man sich die jüngere Generation anguckt, für die das Handy teilweise zum Mittelpunkt ihres Lebens ist, was die ganze Organisation anbetrifft, und so sind diese Schritte einfacher.

Was wir vielleicht heute noch nicht sehen und was mir sehr wichtig ist, dass man diese Erweiterung betrachten muss inzwischen nicht nur im Hinblick auf den Einzelnen, sondern wenn Sie sich mal vorstellen, dass es heute in der Welt eine Milliarde Smartphones gibt, und alle diese Smartphones sind miteinander vernetzt. Jedes dieser Smartphones kann im Prinzip mit jedem anderen reden, kann auf die Informationen der ganzen Welt zugreifen. Es interagiert mit Menschen.

Das heißt, Sie haben da jetzt ein System, einen "Superorganismus" sozusagen, in Anführungsstrichen, geschaffen, das nicht nur die Menschen im Einzelnen erweitert und verändert, sondern unsere Gesellschaft verändert, unsere gesellschaftlichen Interaktionen, die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, fundamental verändern kann. Und ich glaube, das muss man auch sehen. Wir erweitern uns eben nicht nur als Individuen, wir erweitern uns als Gesellschaft.

Watty: Danke schön an Paul Lukowicz vom Deutschen Institut für Künstliche Intelligenz über unsere oder die schon längst existierenden Schnittstellen für immer mehr Mensch-Maschine-Intelligenz!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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