"Die Taube auf dem Dach"

Gesehen von Hannelore Heider · 08.09.2010
Noch vor der Kinopremiere 1973 fiel der Film der DDR-Zensur zum Opfer: Iris Gusner befasst sich in ihrem Film von 1990 zwar mit drei sozialistisch erwünschten Arbeitercharakteren - Helden sind diese aber keinesfalls.
Eine Baustelle in der ältesten Stadt Thüringens. Für neue Wohnhäuser sind die mittelalterlichen Gässchen zum Marktplatz in Arnstadt abgerissen worden. Eine selbstbewusste Bauleiterin (Heidemarie Wenzel) müht sich um Material und die Einhaltung des Terminplans, ein alter Haudegen von Brigadier (Günther Naumann) macht das Unmögliche möglich und ein junger Student (Andreas Gripp) will Erfahrungen in der Produktion sammeln.

Iris Gusner hat in ihrem damals ersten Spielfilm die für sozialistisch-realistische Filmkunst erwünschten Arbeitercharaktere versammelt, wie heutige Zuschauer sie vielleicht aus dem wesentlich berühmteren Werk "Spur der Steine" kennen. Trotzdem fiel auch dieser Film der Zensur noch vor der Kinopremiere zum Opfer.

Die Vorwürfe betrafen ihr für sozialistische Ideale untypisches "verzerrtes" Heldenbild. Denn der Titel des Filmes "Die Taube auf dem Dach" war durchaus kritisch gemeint. Im besten aller Fälle halten die drei Hauptfiguren mit dem Abschluss der Baustelle wieder einmal nur den Spatzen in der Hand. Ideale und Träume haben sich nicht nur in der Dreiecksgeschichte zwischen der schönen selbstbewussten Frau und den zwei um sie rivalisierenden Männern, sondern auch im Kampf um das Resultat so vieler Bemühungen nicht realisiert.

Iris Gusner erzählt keine dramatische Geschichte, der Teufel, der aus der Taube einen Spatz macht liegt im Detail, in mosaikartig zusammengesetzten, spröde und hart wirkenden Szenen aus dem realen Alltag der DDR, in der ein Student hoch hinaus und mit seiner Solidarität in die Welt will, wohin ihm keiner folgt. Oder ein unermüdlicher Kämpfer für den guten Sozialismus abends betrunken und einsam in eine Behausung auf Zeit wankt. Auch die Frau ist ihrem Lebensziel von Selbstständigkeit und einem Partner, der das mit ihr leben will, auf dieser Großbaustelle keinen Schritt näher gekommen.

Politische Statements, ausgesprochene Systemkritik sucht man in diesem "Verbotsfilm" vergebens. Das von ihr gezeichnete Heldenbild und der resignative Grundzug hätte dennoch jeder aufmerksame DDR-Kinozuschauer als solche verstanden.

Nach der Premiere des Filmes im Oktober 1990 war das Material verschwunden. Die Rekonstruktion des jetzt gezeigten Filmes erfolgte nach dem wieder aufgefundenen schwarz-weißen Dup-Negativ.

Filminfo der Defa-Stiftung

DDR 1990, Regie: Iris Gusner, Darsteller: Heidemarie Wenzel, Günther Naumann, Andreas Gripp, Christian Steyer, Lotte Loebinger, Wolfgang Greese, Herbert Köfer, 82 Minuten, o.A.