"Die Tarifparteien müssen aufeinander zugehen"

Moderation: Christopher Ricke |
Im Tarifstreit zwischen GDL und Deutscher Bahn hat der SPD-Abgeordnete und ehemalige Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig an beide Seiten appelliert, sich zu einigen. Die durch das Grundgesetz geschützte Tarifautonomie stünde auf dem Spiel, sagte Bodewig.
Christopher Ricke: Heute ist Streiktag bei der Bahn. Die Lokomotivführer wollen streiken in Hamburg und Berlin bei der S-Bahn. Sie tun es regional, sie tun es nicht bundesweit im Güterverkehr, wie es ursprünglich geplant war. Da gibt es das Streikverbot des Arbeitsgerichtes Nürnberg, an das sich die Lokführer natürlich halten müssen.

Aber dieses Streikverbot könnte am Freitag - also das Verbot für den Streik im Güterverkehr bundesweit - schon wieder aufgehoben werden. In jedem Fall, so die Gewerkschaft, passiert im Güterverkehr bis Sonntag nichts. Man hat da den Nahverkehr, in dem man seine Position vortragen kann. Mein Gesprächspartner jetzt ist der frühere Bundesverkehrsminister und SPD-Politiker Kurt Bodewig. Guten Morgen, Herr Bodewig.

Kurt Bodewig: Guten Morgen, Herr Ricke.

Ricke: Jetzt haben wir 100 Stunden keinen bundesweiten Streik im Güterverkehr. Sind das 100 Stunden, in denen man halbwegs zur Ruhe kommen kann, in denen man noch einmal neu nachdenkt bei beiden Seiten?

Bodewig: Ich hoffe, dass beide Seiten neu nachdenken, um aufeinander zuzugehen. Aber das Problem ist ja, wenn etwas verschoben wird, ist es nicht aufgehoben, und es verunsichert auch die Kunden etwa im Güterverkehr der Bahn. Ich befürchte, dass dies vielleicht sogar noch dazu beiträgt, dass es eine Rückverlagerung von der Schiene auf den LKW gibt. Das wäre natürlich verhängnisvoll.

Ricke: Die Juristen streiten jetzt. Sie streiten über den Grundsatz der Tarifeinheit, also ob der Streik der Lokomotivführer für einen eigenen Tarifvertrag, so wie ihn die Ärzte und Piloten ja schon haben, überhaupt rechtswidrig ist oder nicht. Kann man diese juristische Diskussion den Gerichten überlassen, oder müsste nicht eigentlich der Gesetzgeber handeln?

Bodewig: Das Arbeitsgericht Nürnberg hat eine Entscheidung getroffen, die die Tarifautonomie, die im Grundgesetz geschützt ist, doch deutlich berührt. Ich bin einmal gespannt, wie die Verhandlung am Freitag verläuft und ob auch dann andere Gerichte, also höhere Gerichte, dies teilen oder nicht. Das ist schon eine sehr bedeutende Frage.

Aber deswegen auch mein Appell an beide Tarifpartner. Sie sollen sich einigen. Ich glaube nicht, dass wir die Tarifautonomie vor Gerichte tragen sollen, sondern es muss hier eine Einigung im Unternehmen geben. Beide Tarifparteien müssen aufeinander zugehen. Das ist der eigentliche Punkt.

Ricke: Wer beschädigt denn die Tarifautonomie? Sind das die Gerichte, oder ist das die Bahn selbst, die ja dieses Gericht angerufen hat?

Bodewig: Ich glaube, dass durch die Anrufung des Arbeitsgerichts Nürnberg auch die Situation verschärft wurde. Und das hat man dann an der Reaktion der GDL erfahren, indem sie jetzt Streiks nicht mehr ankündigen. Das macht für die Kunden der Bahn oder der Dienstleistung auf der Schiene das Leben doch schwieriger.

Deswegen glaube ich, kann man nur an die Vernunft appellieren. Das ist der eigentliche Punkt. Sie müssen doch etwa Formen wie eine Schlichtung oder Mediation akzeptieren und dann aufeinander zugehen. Das wäre auch für die deutsche Volkswirtschaft natürlich die beste Lösung.

Ricke: Jetzt haben wir heute ja die kurzfristig angekündigten Streiks im Nahverkehr in Hamburg und Berlin. Ist das aus ihrer Sicht eine gerechtfertigte Reaktion der Lokführer auf die Anrufung des Arbeitsgerichts Nürnberg und das Urteil?

Bodewig: Politik ist immer gut beraten, wenn die Politik nicht etwa für eine der beiden Seiten Partei ergreift, sondern die Politik muss beide zusammen bringen. Deswegen will ich nicht bewerten, ob dies gerechtfertigt ist oder nicht. Aber die Lokführer haben natürlich die Lücke, die entstanden ist, nun ausgefüllt. Und das zeigt eigentlich, dass ein Lösungsweg über Gerichte in der Regel nicht erfolgreich ist.

Ricke: Sie haben den Gedanken eines Schlichters, eines Vermittlers, eines Mediators formuliert. Was muss und was kann der denn leisten?

Bodewig: Ich war am Mittwoch sehr optimistisch als die GDL doch sich bereiterklärte, einen Mediator zu akzeptieren, und dachte, dass jetzt von Seiten der DB AG die Hand ausgestreckt wurde. Leider kam es dann zu dieser schon genannten Verschärfung.

Ein Schlichter müsste beide Parteien an einen Tisch holen und ausloten, gibt es Einigungsmöglichkeiten oder nicht, kann man den Tarifvertrag erhalten, aber gleichzeitig durch eine Reihe von Anhängen oder von besonderen Regelungen besondere Anliegen eines nicht gerade üppig bezahlten Berufsstandes dann berücksichtigen.

Ich glaube, ein solcher Weg muss beschritten werden. Es gibt eine ganze Reihe von guter Persönlichkeiten, die zurzeit auch genannt werden, die vielleicht dies auch leisten könnten. Das wäre dann der erste Schritt.

Ricke: Um diesen ersten Schritt zu gehen braucht man jemanden, der die Bahn gut kennt, der die Gewerkschaften gut kennt, vielleicht sogar ein Parteifreund des Verkehrsministers, vielleicht sogar sein Vorgänger. Ich will hier niemanden genau ansehen, Herr Bodewig, aber wissen Sie, wer hier helfen könnte?

Bodewig: Also man sollte keine Namen nennen. Wichtig ist, dass in jedem Fall erst mal die Bereitschaft bei beiden Seiten entsteht, sich auf so etwas einzulassen. Ich fand es auch sehr konstruktiv, dass der Personalvorstand der Bahn, Frau Suckale, ja auch gesagt hatte, notfalls könnte man auch mit zwei Schlichtern arbeiten. Wenn man sich nicht auf einen einigen kann, könnten ja beide Seiten einen Vorschlag unterbreiten und dann in einem Schlichterteam – auch das hat es in der deutschen Geschichte schon gegeben, übrigens auch sehr erfolgreich.

Ricke: Ist das wirklich sinnvoll, wenn beide Seiten einen Schlichter stellen? Braucht man nicht dann noch einen Vermittler zwischen den Schlichtern?

Bodewig: Nein, das ist in der Regel nicht der Fall, sondern sie haben dann bessere Zugänge zu der jeweiligen Seite. Aber natürlich ist es optimal, wenn es nur einen Schlichter gibt. Aber auch diese andere Lösung ist ein denkbarer Weg. Man sollte jeden Weg, der zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes – friedlich in Anführungszeichen, ich will hier nicht die Tarifrechte in irgendeiner Weise einschränken – also zu einer gemeinsamen Kompromisslösung führt, den sollte man auch beschreiten.

Ricke: Noch aber ist dieser Weg nicht beschritten, noch gibt es die Drohung mit dem Arbeitskampf Bundesweit und dem aktiven Arbeitskampf jetzt regional. Wagen Sie einen Zeithorizont, bis wann die Kuh vom Eis muss?

Bodewig: Mittwoch hätte ich einen nahen Zeithorizont gesehen, aber seit gestern sieht dies doch alles komplexer aus. Ich hoffe, dass beide Seiten Kompromissbereitschaft zeigen, dass sie sich einigen. Aber wer jetzt einen Zeitplan beschreiben würde, würde in große Gefahr laufen, dass dieser Zeitplan nicht eintritt.

Ricke: Vielen Dank, Kurt Bodewig.