Die Tankstelle als Kunstwerk

Von Kathrin Messerschmidt |
Im Dorf Bonaduz im Schweizerischen Kanton Graubünden haben Künstler eine alte verlassene Tankstelle zum Kunstobjekt umfunktioniert: In meterhohen Buchstaben prangt das Wort "Prestige" auf dem Dach, im Winter soll das ehemalige Kioskhäuschen aus Schnee und Eis nachgebaut werden. Das zu erwartende Abschmelzen wird dann zum Happening.
Schneebedeckte Berge, weiß; Kuhweiden mit blühendem Löwenzahn, gelb. Ein weites Tal des Hinterrheins im Schweizerischen Kanton Graubünden. Ortsausgang des Dorfes Bonaduz, die Landstrasse nach Rhäzüns. Beidseits der Strasse die Reste einer alten Tankstelle: betonierter Boden, Stahlträger, Stahldach. Auf einem der Dächer in meterhohen Buchstaben das Wort "Prestige". Ein Auto mit deutschem Kennzeichen.

Deutsche Touristin: "Das sieht mir ganz aus wie 'ne stillgelegte Tankstelle, weiß ich auch nicht. Mir ist das halt aufgefallen, mit der Überschrift da, "Prestige", aber mehr ist hier jetzt auch nicht rauszufinden. "

"Prestige", so hieß der Öltanker, der im Jahr 2002 vor der galizischen Küste havarierte. So heißt auch die Installation des Zürcher Künstlers Erik Dettwiler. Was hat die Atlantikküste mit den Schweizer Bergen zu tun?

Rolf Kohler besitzt die Bar neben der Tankstelle. Er hat gerade die meterhohen Leuchtbuchstaben des Wortes "Oil" von dem Tankstellendach auf der gegenüber liegenden Strassenseite abmontiert. und bereitet die Tankstelle für die nächste Aktion vor.

Rolf Kohler: " Wir brauchen auch fossile Brennstoffe, Öl oder Benzin, und immerhin fahren die Öltanker für uns alle, für alle, die fossile Brennstoffe verbrennen, darum denke ich, geht das auch uns in den Bergen was an, hat das sicher auch einen Zusammenhang mit uns."

Ortswechel: Schlieren, Industrieviertel der Bankenstadt Zürich. Die Einflugschneise des Zürcher Flughafens verläuft direkt über dem Atelier von Chantal Romani und Matthias Rüegg. Sie hatten die Idee zu "Tanken Tanken Tanken".

Matthias Rüegg: "Ich kannte diesen Ort, diese Tankstelle von meiner früheren Arbeit her. Wir haben das beide mal angeschaut und waren sehr schnell fasziniert von der Idee, dort ein größeres Projekt zu starten. Diese Tankstelle ist eigentlich Skulptur in bestem Sinne, finde ich, ist eine ungewollte skulpturale Äußerung."

Chantal Romani: "Ich denke, was vor allem für die Tankstelle dort gesprochen hat, ist die Geschichte auch, die war ja früher auf der Hauptstrecke Nord/Süd, durch die Eröffnung der Autobahn wurde sie nutzlos oder hinfällig, sie konnte nicht überleben, sie wurde stillgelegt."

Damit verloren auch die Dörfer an der Landstrasse ihre wichtigste Lebensader. Hartnäckig haben Romani und Rüegg das Tankstellengelände der Gemeinde abgetrotzt. Das dauerte ein ganzes Jahr.

Matthias Rüegg: "Die Reaktionen waren derart ernüchternd von der Gemeinde: Es interessiert nicht, Kunst brauchen wir nicht, wir haben kein Geld, das wir euch geben könnten."
Chantal Romani: "Dann hatten wir so eine Lobby gegründet mit ortsansässigen Kunstinteressierten, die haben für uns gesprochen. Und dann ging es dann soweit, dass über das Projekt dann in einer Gemeindeversammlung basisdemokratisch per Handerheben abgestimmt wurde."

Für ihr erstes Projekt mit dem Titel "Take Away" haben Rüegg & Romani vor einem Jahr auf dem Gelände der alten Tankstelle mit dem Pressluftbohrer die Kioskhäuschen abgetragen. Wegnehmen, entfernen, vereinfachen, reduzieren aufs Wesentliche – darum ging es ihnen. Übrig geblieben sind die Spuren der Grundmauern am Boden – und die Dächer auf den Stahlpfeilern.

Drei bis vier weitere "Interventionen", wie die Künstler die einzelnen Projekte bezeichnen, sollen bis 2006 dort stattfinden, bevor die Tankstelle endgültig abgerissen wird.

Chantal Romani: "Das Konzept war von Anfang an so aufgebaut, dass wir andere Künstler und Künstlerinnen einladen wollen."

Matthias Rüegg: "Der Ort ist so interessant und so vielseitig, es steckt so viel an Themen drin, dass wir das Gefühl hatten, wir möchten das teilen mit Leuten, die uns interessieren."

Die Zürcher Künstler Heidi Baggenstos & Andreas Rudolf und das Graubündner Künsterduo Lukas Bardill & Gabriela Gerber planen jetzt schon die Winterprojekte Tanken IV und V.

Heidi Baggenstos: "Unsere Idee ist jetzt, dass wir das Ganze wieder aufbauen, also jetzt dieses Kioskhäuschen, aber diesmal aus Eis, also aus Schnee und Eis, und uns gefällt eigentlich dieser Prozess, der dann entsteht, also dieses Wegschmelzen."

Lukas Bardill: "Wir haben jetzt mal einen Arbeitstitel gesetzt, der heißt "Heizen", wir tanken jetzt nicht, wir heizen. Und wir möchten diesen Innenraum, der durch die Pfähle beschrieben wird, worauf das Dach ruht, die möchten wir mit Holz dann füllen. Wir können uns vorstellen, dass wir so wie einen kleinen Kanonenofen, also wo man Holz verfeuern kann, also den auch hinstellen, dass wir den auch betreiben werden, also an zwei oder drei Daten, dass man sich dort trifft, beim Heizen, und natürlich vorher auch beim Holzhacken."

Die Künstler und Künstlerinnen sind alle so um die 30. Sie waren noch Kinder, als die Autobahn gebaut und die Tankstelle in Rhäzüns stillgelegt wurde. Das war 1983.

"Tanken Tanken Tanken" ist ein Ort, an dem eine Generation ihren Weg sucht - zwischen Bewegung und Stillstand, Erstarren und Schmelzen, zwischen Umweltkatastrophe und Fortschritt.