Die Täter beim Namen nennen

Von Jacqueline Boysen |
Wer in der DDR Stasi-Mitarbeiter war, wird heute nicht gerne daran erinnert oder gar mit Namen in der Presse zitiert. Immer öfter klagen Menschen, die früher andere ohne Bedenken unterdrückten, gegen Journalisten und Medien, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen. Für ihre früheren Opfer klingt das wie der reine Hohn. Dass viele Gerichte den Tätern Recht geben, empört Juristen und Historiker.
Hans Joachim Otto "Strafrechtliches Unrecht mag verjähren. Moralisches Unrecht, moralische Schuld darf nie verjähren."

Der Jurist und FDP-Bundestagsabgeordnete Hans Joachim Otto ist als einziger hochrangiger Vertreter der Politik auf das Podium von Viadrina und Freier Universität geladen: Für ihn ist eindeutig: Die Täter haben ein Gesicht - so lautete auch der Titel der Konferenz, die sich dem Interessenkonflikt zwischen der Aufarbeitung der Geschichte und dem Persönlichkeitsschutz der einstigen DDR-Funktionäre und ihrer inoffiziellen Helfer widmete.

"Es ist äußert ärgerlich, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter heutzutage diejenigen verklagen, die ihre Namen nennen. Einstige Opfer, Zeitungen, Verlage, Ausstellungsmacher werden von den einstigen SED-Funktionären und Stasi-Leuten - sehen sich einem zunehmenden juristischen Druck ausgesetzt. Das darf wirklich nicht sein. Es gibt kein Recht auf Vergessen, wie der 'Spiegel' 2008 titelte."

Selbstverständlich genießen Verantwortliche der Diktatur heute den grundgesetzlich verankerten Schutz ihrer Persönlichkeit, die Gesellschaft aber hat auch ein Recht auf Information. Gegen dieses aber wenden sich immer Funktionsträger aus dem Machtapparat der SED - Menschen, die anderen einst die ihre Würde genommen haben und heute weder Scham noch Reue empfinden

"Die Opfer haben ein Anrecht auf Transparenz. Sie haben ein Anrecht darauf zu erfahren, was ist geschehen mit ihnen. Und die gesamte Gesellschaft hat eine Verantwortung aus diesen Erkenntnissen die notwendigen Schlüsse zu ziehen, damit dieses demokratische Deutschland gefestigt wird und dass wir auch in Zukunft ohne Schnüffelbehörden in Rechtsstaat leben können."

In jüngster Zeit haben Gerichte in Deutschland vermehrt Urteile zugunsten der Täter von einst gesprochen, Urteile, die bei Historikern und Juristen Irritationen und Wut hervorrufen - vor allem aber die Opfer kränken. Schlagzeilenträchtig war der Fall eines einstigen Inoffiziellen Mitarbeiters der Staatssicherheit, der seine Spitzelaktivitäten durchaus nicht leugnet.

Als Lebensgefährte der Schauspielerin Iris Berben sonnt er sich im Lichte der Öffentlichkeit - dass dieses nun jedoch auch die dunklen Seiten seiner Vergangenheit erhellt, das war ihm nicht recht - und die Gerichte gaben ihm recht. Er beansprucht ein Recht auf "Resozialisierung" - absurd, so der Jurist Johannnes Weberling.

"In den hier zur Debatte stehenden Sachverhalten geht es aber nicht um Resozialisierungsaspekte der Kläger, respektive der Täter, da die Täter keine verurteilten Straftäter sind, die ihre Strafe abgesessen und dementsprechend Anspruch darauf haben, wieder als normale Mitglieder in der Gesellschaft leben zu können."

Weberling ist Verfasser eines Kommentars zum Stasi-Unterlagengesetz, das seit fast 20 Jahren die Einsicht in die Hinterlassenschaften der Staatssicherheit für Journalisten, für die Bürger unseres Landes und für die Wissenschaft regelt. Er wundert sich darüber, dass viele Gerichte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht heranziehen, in dem die höchsten Richter des Landes ausdrücklich das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an einer Liste mit den bürgerlichen Namen von einstigen Zuträgern des Geheimdienstes bestätigt haben.
"So stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner IM-Listen-Entscheidung unmissverständlich fest, dass es nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte sei, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung zu ziehen. Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Unterstellung einer inoffiziellen Mitarbeit beim MfS in gleicher Weise zu einem Entzug sozialer Anerkennung oder zu einer Abstempelung führt, wie für die Behauptung, eine Person habe ihre eigenen Kinder sexuell missbraucht."

Keinesfalls gehe es um einen Vergleich der Diktaturen, wohl aber um die Frage, wie die Gesellschaft mit Mitläufern und Tätern von einst umgeht, wie Gerichte und Öffentlichkeit sich der Auseinandersetzung stellen: Jochen Staadt, Autor zahlreicher Studien über den Machtapparat der SED, beobachtete einen Wandel:

"Also wir haben in der Öffentlichkeit meines Erachtens eine Verschiebung, dass die Frage der Mitgliedschaft in der NSDAP selbstverständlich als publizistische, als wissenschaftliche, als auch boulevardeske Erscheinung unumstritten ist. Dass aber die Frage einer Verantwortung für die SED in Position als Funktionär der SED für die Staatssicherheit oder als Systemträger auf der Ebene auch des einfachen Spitzels, dass hier die Gerichte vollkommen andere Gewichtung setzen."

Wenn der Politikwissenschaftler Jochen Staadt dafür plädiert, handelnde Personen als Ganzes in allen ihren Facetten, auch den dunkelsten, der Öffentlichkeit vorzustellen, so beruft er sich auf Hannah Arendt, die das allgemeine Vergessen in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft

"Hannah Arendt sah einen erschreckenden Aspekt deutscher Realitätsflucht bei ihrem ersten Besuch nach dem Kriege in Deutschland darin, dass die Beteiligten an der Geschichte mit Haltungen und Tatsachen so umgehen, als handle es sich um bloße Meinungen. Man konnte eben mal dieser Meinung sein in der Zeit des Nationalsozialismus und nun war man ganz anderer und man sprach in allgemeinen Meinungen über das, was geschehen war. Sie führte dies auf die Nachwirkung der totalitären Propaganda zurück."

War die Gesellschaft nach 1945 mit Straftätern konfrontiert, so sind die Träger der zweiten deutschen Diktatur strafrechtlich nicht zu belangen, ihre Vergehen nicht justiziabel - umso mehr Grund, sich mit ihnen in der Presse, in Publikationen, und Ausstellungen auseinanderzusetzen- nötigenfalls auch vor Gericht:

"Sie werden sehen, dass wir alle angesichts der krassen Kenntnislücken, nicht zuletzt bei den Richtern, dazu beitragen müssen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, auch hinsichtlich des Wegsehens der Justiz."
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