"Die Szenen müssen realistisch, nicht spektakulär sein"
Der Physikprofessor Metin Tolan hat seine Leidenschaft für James Bond zum Beruf gemacht: In seinen Vorlesungen untersucht er mit seinen Studenten, ob die spektakulären Stunts von 007 physikalisch möglich sind. Deshalb sei der letzte Bond-Film auch in seinem Sinne, weil man dort zurückgekehrt sei zur Arbeit mit Stuntmen und weg von der Computersimulation.
Joachim Scholl: Er springt Flugzeugen hinterher, überschlägt sich mit Autos, fällt metertief vom Dach, überlebt alles und bricht sich nicht mal einen Knochen, James Bond. Die spektakulären Stunts gehören zu den Filmen wie der berühmte Martini, den Mister Bond ja auch stets geschüttelt und nicht gerührt bestellt. Und genau so heißt ein Buch, das jetzt aus seriöser wissenschaftlicher Sicht all die filmischen Unglaubwürdigkeiten physikalisch überprüft, "James Bond und die Physik". In einem Studio in Dortmund begrüße ich jetzt Metin Tolan. Er ist dort Professor für experimentelle Physik. Willkommen im "Radiofeuilleton", Herr Tolan!
Metin Tolan: Hallo!
Scholl: 21 James-Bond-Filme gibt es inzwischen. Und in jedem Film überlebt James Bond die gefährlichsten Situationen. Seit wann wäre er denn nach geltendem physikalischen Gesetz eigentlich tot?
Tolan: Wir rechnen eigentlich in unserem Buch immer aus, dass er überlebt, allerdings unter ganz speziellen Bedingungen. Und diese Bedingungen sind dann vielleicht an mancher Stelle etwas kurios, aber sie könnten trotzdem der Fall sein.
Scholl: Es wird in Bond-Filmen regelmäßig spektakulär gefallen. James Bond fliegt ständig halsbrecherisch durch die Luft. Einer der berühmtesten Szenen gibt es im Film "Golden Eye".
Tolan: Ja.
Scholl: Da rast Bond auf einem Motorrad einem unbemannten Propeller-Flugzeug hinterher. Das stürzt in einen Abgrund, Bond einfach hinterher samt der Huddel. Alles fällt und stürzt, aber Bond holt die Maschine im freien Fall ein, kraxelt rein, zieht sie hoch und das, haben Sie herausgefunden, Metin Tolan, würde rein physikalisch gehen?
Tolan: Erst mal handelt es sich bei der Szene, um das vielleicht noch mal zu bemerken, um meine Lieblingsszene. Diese Szene hat mich überhaupt dazu gebracht, Bond und Physik zusammenzubringen. Natürlich, ich würde jetzt erst mal den Zuhörern sagen, bitte nicht nachmachen! Aber rein prinzipiell könnte es funktionieren, wenn James Bond extrem windschnittig ist. Er muss halt windschnittiger sein, als ein fallendes Flugzeug. Er muss genau genommen um fast 20 Mal windschnittiger sein als ein fallendes Flugzeug. Das ist schwierig, weil ein Flugzeug selber auch schon sehr windschnittig ist, aber nicht auszuschließen.
Scholl: Das heißt, er würde diesem Flugzeug hinterherfallen und dann bricht er sich aber auch nichts, wenn er auf dieses Flugzeug knallt?
Tolan: Da kommen wir dann schon zu den kleineren Problemen. Das große Problem ist erstmal, das Flugzeug einzuholen. Übrigens, er muss auch die Geschwindigkeit des Flugzeuges, während es die Klippe runterfällt, vorher sehr genau geschätzt haben, er muss das im Prinzip im Kopf, während er auf dem Motorrad sitzt, alles durchgerechnet haben. Da sehen Sie mal, dass er auch intellektuell wirklich auf höchstem Niveau sich befindet.
Und dann ist es so, er kann die Maschine erreichen, aber würde leider, und das ist jetzt das Problem, wir kriegen den eigentlich nur relativ seitlich in diese Maschine rein. Das heißt, er kann nicht, wie man es im Film sieht, so nebenher schweben und dann locker einsteigen. Bei uns ist es so, dass er mit einer Relativgeschwindigkeit von 85 Stundenkilometern minimal einsteigen könnte. Das heißt genau genommen, er knallt da mit 85 Stundenkilometern rein und muss noch irgendwelche Miniairbags in seinem Anzug haben, sonst kann er das nicht überleben.
Scholl: Und Sie sagen, das geht? Ich meine, so eine haarsträubende Szene könnte rein physikalisch gelingen. Aber zum Beispiel so ein banaler Sprung aus fünf Meter Höhe, da sagen Sie, nein, das knackt jede normale Kniescheibe?
Tolan: Ein Sprung aus fünf Meter Höhe ist natürlich auch wieder was ganz anderes. Beim Aufprall, da wirken ganz einfache physikalische Gesetze, nämlich die Geschwindigkeit ändert sich auf sehr kurzer Zeit. Dann wirkt immer eine große Kraft und dagegen können sie gar nichts machen. Sie prallen nun mal auf.
Die Stuntman machen natürlich dagegen was. Die springen dann in irgendwelche Kartons rein, um den Aufprall etwas allmählicher zu gestalten. Aber James Bond? Wenn Sie nun mal auf einen harten Boden prallen, dann prallen Sie da drauf und dann können Sie nichts machen. Es sei denn, auch hier haben sie wieder irgendwelche versteckten Airbags zufälligerweise in Ihrer Hose.
Scholl: Sie betreiben solche filmische Feldforschung schon länger als erklärter Bond-Fan, Herr Tolan, sehr zur Freude Ihrer Studenten, die Ihre Vorlesungen dann immer stürmen. Wenn Sie auf die Entwicklung der Bond-Filme mal blicken, ein jeder muss ja den anderen übertreffen an Waghalsigkeit. Man ist ja auch immer gespannt, was bringen sie denn im nächsten. Werden die Actionszenen eigentlich nicht immer unrealistischer?
Tolan: Ich glaube, James Bond sollte nicht mehr den Anspruch haben, immer noch mehr Actionszenen zu liefern. Das hatte er in den 60ern. Da war es der einzige Film, der solche Actionszenen hatte. Heute ist James Bond ja nicht mehr alleine mit Actionszenen. Deswegen habe ich heute einen anderen Anspruch. Heute habe ich eigentlich nur den Anspruch, sie müssen realistisch sein. Man muss sie wirklich mit Stuntman machen und eben nicht mit irgendwelchen Computern.
Und von daher haben mir zum Beispiel auch einige Sachen nicht gefallen. Zum Beispiel hat mir 2002 bei dem Film "Stirb an einem anderen Tag" das unsichtbare Auto wirklich nicht gefallen, weil ich finde, das ist irgendwie Science-Fiction, wenn das Auto unsichtbar ist, das nächste Mal ist James Bond unsichtbar und dann können wir plötzlich alles erlauben.
Ich habe nur den Anspruch, die Szene muss nicht möglichst, sagen wir mal, spektakulär sein, sie muss möglichst realistisch sein. Und da war jetzt der letzte Bond eigentlich wieder gut. Da konnte man sehen, das waren wieder richtige Stuntmen. Und da kann man da auch immer schön was dazu sagen.
Scholl: Der Physiker Metin Tolan, Mitautor des Buches "Geschüttelt, nicht gerührt - James Bond und die Physik" hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Tolan, Sie haben dieses Buch mit Ihrem Kollegen Joachim Stolze zusammen konzipiert und dann mit einer ganzen Reihe Ihrer Studenten gewissermaßen gemeinsam geschrieben. Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?
Tolan: Ja, die Arbeit muss man sich schön und mühsam zugleich vorstellen. Schön deswegen, weil das natürlich immer Spaß macht, in so einer großen Runde eine Sache wirklich zusammen zu gestalten. Wir haben ein Seminar an der Universität gemacht, das hieß "Wir schreiben ein Buch über die Physik von James Bond". Da hatten dann 40 Studenten sich gemeldet, 41 sogar. Da sehen Sie, das war schon mal ein großer Erfolg. Der Kollege Stolze, mit dem habe ich auch schon zusammen Vorlesungen gehalten. Wir haben die Themen ausgegeben, das alles betreut und die Studierenden waren am Ende auch angehalten, Texte abzuliefern, weil wir gesagt haben, vielleicht schaffen wir da ja schon so die Grundlage zum Buch.
Scholl: Und die haben das sozusagen dann experimentell, die verschiedenen Stunts aus den Filmen, überprüft?
Tolan: Experimentell und theoretisch. Experimentell auch, zum Beispiel die Sache, bei der sich der Angreifer, den James Bond angreift, im Auge einer Dame spiegelt, aus dem Film "Goldfinger". Das haben wirklich zwei Studenten zu Hause nachgespielt und wirklich gezeigt, dass das möglich ist, dass man sich so im Auge spiegeln kann. Das fand ich wirklich mit besonders viel Einsatz. Übrigens sieht man die Fotos dann auch im Buch von den Studenten. Da sehen Sie mal, was unsere Studenten heute alles leisten können. Das Problem war natürlich, nachher alle diese 20 Texte zusammenzubringen zu einem homogenen Buch.
Scholl: Es gibt auch in jedem Kapitel einen "Anhang für Besserwisser". Da werden die genauen Berechnungen und Formeln vorgestellt. Da wird es schon ein richtiges Physikbuch?
Tolan: Ja, das würde ich so nicht sagen. Ich würde es mal so sagen: Ohne Formeln wird alles vorher beschrieben, die Details für Besserwisser sind möglicherweise für Lehrer gedacht, die jetzt auch mal ein Beispiel in der Schule bringen möchten, was vielleicht nun nicht einfach nur so einfach ist und sich das nicht vollständig neu erarbeiten wollen.
Scholl: Na, das sind Innovationen für den Physikunterricht an Schulen. Kommen wir mal zu einem Heiligtum jetzt, Metin Tolan, dem Martini nämlich, auf den ja auch der Titel des Buches anspielt. Dieser Frage geschüttelt, nicht gerührt, haben Sie sogar mal eine Extravorlesung gewidmet. Warum trinkt denn James Bond seinen Drink partout geschüttelt?
Tolan: Ja, es ist hier jetzt so, die Sache, die ich mir dazu ausgedacht habe, ich sage bewusst, die habe ich mir dazu ausgedacht, basiert darauf, dass es was Interessantes sein soll. James Bond würde es nicht tun, wenn es irgendwas Banales ist. Ich möchte aber auch vorneweg sagen, das muss man mit einem gewissen Augenzwinkern sehen. Ob das wirklich die Begründung ist, überlasse ich Ihren Hörern.
Er macht es deswegen: James Bond, die These ist immer, der ist ja immer in Eile, der kann ja so einen Wodka-Martini nie genießen und den voll austrinken. Und durch das Schütteln des Wodka-Martini schafft er es, die Geschmacksmoleküle, die etwas größer sind als die Alkoholmoleküle, an der Oberfläche anzureichern. Das ist der sogenannte Paranusseffekt, den Sie immer haben, wenn Sie ein Gemisch aus großen und kleinen Teilchen schütteln. Dann gehen die großen Teilchen nach oben. Und da er nur einen Schluck abtrinken kann, weil er dann immer gleich weiter muss, soll dieser Schluck wenigstens optimal schmecken. Das ist der Grund, warum er das tut. Er ist aus meiner Sicht ein so großer Genießer, dass er auf eine so Kleinigkeit Wert legt.
Scholl: Nun widersprechen Ihnen aber, werter Prof. Tolan, die Ernährungsdrinkexperten des Deutschlandradios. Unser Kollege Holger Hettinger, der ist gewissermaßen ein promovierter Martini-Experte und er sagt, beim Schütteln kommt eine Emulsion zustande, und deren molekulare Struktur ändere sich dann eben nicht.
Tolan: Ja, das ist aber eine völlig unspektakuläre Erklärung, die deswegen nicht stimmen kann.
Scholl: Aha. Aber dann sind die Moleküle doch gar nicht oben?
Tolan: Nein. Das mit der Emulsion glaube ich erst mal nicht. Eine Emulsion kriegen Sie nicht so schnell, weil eine Emulsion, würde mich mal interessieren, zwischen was das eigentlich der Fall ist. Eine Emulsion besteht ja aus vielen kleinen Tröpfchen. Und das ist schon nicht so. Wodka und Martini mischen sich eins zu eins. Eine Emulsion kommt nicht zustande, wenn wir auf das fachliche Niveau heben wollen. Meine Erklärung haben Sie ja mitbekommen, ist ja mehr auf das Spaßniveau gehoben worden.
Ich sage Ihnen, wenn Sie wirklich inhaltliche Erklärungen haben wollen, ich könnte mir vorstellen, durch das Schütteln wird der Wodka-Martini einfach kälter, weil er mehr mit dem Eis in Kontakt kommt. James Bond trinkt nämlich den Wodka-Martini eisgekühlt, aber ohne Eis.
Scholl: Außerdem sagt unser Fachmann, ein geschüttelter Martini sei für jeden Kenner ein Grauen, weil er nämlich dann trüb sei und damit äußerlich eher unappetitlich wirke.
Tolan: Klasse! Dem würde ich mich wieder anschließen.
Scholl: Ich meine, an diesem Mythos des Martinis wird jetzt ein wenig gekratzt. Im letzten Film in Gestalt von Daniel Craig, der sagt auf die Frage, geschüttelt oder gerührt, Mister Bond, sagt er, das hat mich noch nie interessiert.
Tolan: Nein, "Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?", sagt er genau genommen.
Scholl: Uh, da sind Sie besser informiert, ja.
Tolan: Schauen Sie mal, es ist so. Hier muss man ja auch wieder die Chronologie beachten. Es ist zwar der 21. Film gewesen, der letzte Film, aber es soll chronologisch ja der erste sein. Die Figur James Bond wird erst entwickelt. Das heißt, im Verlaufe der Zeit bildet sich dieser Genussmensch erst heraus.
Scholl: Aha. Das wird also noch weitergehen. Und Sie sind vermutlich auch hoch gespannt auf das neueste Werk, "Ein Quantum Trost" heißt das auch noch ausgerechnet, physikalisch Quantum. Ab 6. November in den Kinos.
Tolan: Ich werde sogar schon am 5. November den Film in der Vorpremiere sehen und eine Stunde vorher im Kino meinen Vortrag dazu halten.
Scholl: Das sind die Privilegien von großen Forschern. Der wissenschaftliche Streit wird aber vielleicht auch weitergehen in Sachen Martini. Das werden wir noch verfolgen. Jetzt erst einmal danke schön, Metin Tolan, für das Gespräch!
Tolan: Bitte, bitte.
Scholl: Und das Buch "Geschüttelt, nicht gerührt - James Bond und die Physik" ist im Piper Verlag erschienen, 300 Seiten, zum Preis von 16,90 Euro.
Metin Tolan: Hallo!
Scholl: 21 James-Bond-Filme gibt es inzwischen. Und in jedem Film überlebt James Bond die gefährlichsten Situationen. Seit wann wäre er denn nach geltendem physikalischen Gesetz eigentlich tot?
Tolan: Wir rechnen eigentlich in unserem Buch immer aus, dass er überlebt, allerdings unter ganz speziellen Bedingungen. Und diese Bedingungen sind dann vielleicht an mancher Stelle etwas kurios, aber sie könnten trotzdem der Fall sein.
Scholl: Es wird in Bond-Filmen regelmäßig spektakulär gefallen. James Bond fliegt ständig halsbrecherisch durch die Luft. Einer der berühmtesten Szenen gibt es im Film "Golden Eye".
Tolan: Ja.
Scholl: Da rast Bond auf einem Motorrad einem unbemannten Propeller-Flugzeug hinterher. Das stürzt in einen Abgrund, Bond einfach hinterher samt der Huddel. Alles fällt und stürzt, aber Bond holt die Maschine im freien Fall ein, kraxelt rein, zieht sie hoch und das, haben Sie herausgefunden, Metin Tolan, würde rein physikalisch gehen?
Tolan: Erst mal handelt es sich bei der Szene, um das vielleicht noch mal zu bemerken, um meine Lieblingsszene. Diese Szene hat mich überhaupt dazu gebracht, Bond und Physik zusammenzubringen. Natürlich, ich würde jetzt erst mal den Zuhörern sagen, bitte nicht nachmachen! Aber rein prinzipiell könnte es funktionieren, wenn James Bond extrem windschnittig ist. Er muss halt windschnittiger sein, als ein fallendes Flugzeug. Er muss genau genommen um fast 20 Mal windschnittiger sein als ein fallendes Flugzeug. Das ist schwierig, weil ein Flugzeug selber auch schon sehr windschnittig ist, aber nicht auszuschließen.
Scholl: Das heißt, er würde diesem Flugzeug hinterherfallen und dann bricht er sich aber auch nichts, wenn er auf dieses Flugzeug knallt?
Tolan: Da kommen wir dann schon zu den kleineren Problemen. Das große Problem ist erstmal, das Flugzeug einzuholen. Übrigens, er muss auch die Geschwindigkeit des Flugzeuges, während es die Klippe runterfällt, vorher sehr genau geschätzt haben, er muss das im Prinzip im Kopf, während er auf dem Motorrad sitzt, alles durchgerechnet haben. Da sehen Sie mal, dass er auch intellektuell wirklich auf höchstem Niveau sich befindet.
Und dann ist es so, er kann die Maschine erreichen, aber würde leider, und das ist jetzt das Problem, wir kriegen den eigentlich nur relativ seitlich in diese Maschine rein. Das heißt, er kann nicht, wie man es im Film sieht, so nebenher schweben und dann locker einsteigen. Bei uns ist es so, dass er mit einer Relativgeschwindigkeit von 85 Stundenkilometern minimal einsteigen könnte. Das heißt genau genommen, er knallt da mit 85 Stundenkilometern rein und muss noch irgendwelche Miniairbags in seinem Anzug haben, sonst kann er das nicht überleben.
Scholl: Und Sie sagen, das geht? Ich meine, so eine haarsträubende Szene könnte rein physikalisch gelingen. Aber zum Beispiel so ein banaler Sprung aus fünf Meter Höhe, da sagen Sie, nein, das knackt jede normale Kniescheibe?
Tolan: Ein Sprung aus fünf Meter Höhe ist natürlich auch wieder was ganz anderes. Beim Aufprall, da wirken ganz einfache physikalische Gesetze, nämlich die Geschwindigkeit ändert sich auf sehr kurzer Zeit. Dann wirkt immer eine große Kraft und dagegen können sie gar nichts machen. Sie prallen nun mal auf.
Die Stuntman machen natürlich dagegen was. Die springen dann in irgendwelche Kartons rein, um den Aufprall etwas allmählicher zu gestalten. Aber James Bond? Wenn Sie nun mal auf einen harten Boden prallen, dann prallen Sie da drauf und dann können Sie nichts machen. Es sei denn, auch hier haben sie wieder irgendwelche versteckten Airbags zufälligerweise in Ihrer Hose.
Scholl: Sie betreiben solche filmische Feldforschung schon länger als erklärter Bond-Fan, Herr Tolan, sehr zur Freude Ihrer Studenten, die Ihre Vorlesungen dann immer stürmen. Wenn Sie auf die Entwicklung der Bond-Filme mal blicken, ein jeder muss ja den anderen übertreffen an Waghalsigkeit. Man ist ja auch immer gespannt, was bringen sie denn im nächsten. Werden die Actionszenen eigentlich nicht immer unrealistischer?
Tolan: Ich glaube, James Bond sollte nicht mehr den Anspruch haben, immer noch mehr Actionszenen zu liefern. Das hatte er in den 60ern. Da war es der einzige Film, der solche Actionszenen hatte. Heute ist James Bond ja nicht mehr alleine mit Actionszenen. Deswegen habe ich heute einen anderen Anspruch. Heute habe ich eigentlich nur den Anspruch, sie müssen realistisch sein. Man muss sie wirklich mit Stuntman machen und eben nicht mit irgendwelchen Computern.
Und von daher haben mir zum Beispiel auch einige Sachen nicht gefallen. Zum Beispiel hat mir 2002 bei dem Film "Stirb an einem anderen Tag" das unsichtbare Auto wirklich nicht gefallen, weil ich finde, das ist irgendwie Science-Fiction, wenn das Auto unsichtbar ist, das nächste Mal ist James Bond unsichtbar und dann können wir plötzlich alles erlauben.
Ich habe nur den Anspruch, die Szene muss nicht möglichst, sagen wir mal, spektakulär sein, sie muss möglichst realistisch sein. Und da war jetzt der letzte Bond eigentlich wieder gut. Da konnte man sehen, das waren wieder richtige Stuntmen. Und da kann man da auch immer schön was dazu sagen.
Scholl: Der Physiker Metin Tolan, Mitautor des Buches "Geschüttelt, nicht gerührt - James Bond und die Physik" hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Tolan, Sie haben dieses Buch mit Ihrem Kollegen Joachim Stolze zusammen konzipiert und dann mit einer ganzen Reihe Ihrer Studenten gewissermaßen gemeinsam geschrieben. Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?
Tolan: Ja, die Arbeit muss man sich schön und mühsam zugleich vorstellen. Schön deswegen, weil das natürlich immer Spaß macht, in so einer großen Runde eine Sache wirklich zusammen zu gestalten. Wir haben ein Seminar an der Universität gemacht, das hieß "Wir schreiben ein Buch über die Physik von James Bond". Da hatten dann 40 Studenten sich gemeldet, 41 sogar. Da sehen Sie, das war schon mal ein großer Erfolg. Der Kollege Stolze, mit dem habe ich auch schon zusammen Vorlesungen gehalten. Wir haben die Themen ausgegeben, das alles betreut und die Studierenden waren am Ende auch angehalten, Texte abzuliefern, weil wir gesagt haben, vielleicht schaffen wir da ja schon so die Grundlage zum Buch.
Scholl: Und die haben das sozusagen dann experimentell, die verschiedenen Stunts aus den Filmen, überprüft?
Tolan: Experimentell und theoretisch. Experimentell auch, zum Beispiel die Sache, bei der sich der Angreifer, den James Bond angreift, im Auge einer Dame spiegelt, aus dem Film "Goldfinger". Das haben wirklich zwei Studenten zu Hause nachgespielt und wirklich gezeigt, dass das möglich ist, dass man sich so im Auge spiegeln kann. Das fand ich wirklich mit besonders viel Einsatz. Übrigens sieht man die Fotos dann auch im Buch von den Studenten. Da sehen Sie mal, was unsere Studenten heute alles leisten können. Das Problem war natürlich, nachher alle diese 20 Texte zusammenzubringen zu einem homogenen Buch.
Scholl: Es gibt auch in jedem Kapitel einen "Anhang für Besserwisser". Da werden die genauen Berechnungen und Formeln vorgestellt. Da wird es schon ein richtiges Physikbuch?
Tolan: Ja, das würde ich so nicht sagen. Ich würde es mal so sagen: Ohne Formeln wird alles vorher beschrieben, die Details für Besserwisser sind möglicherweise für Lehrer gedacht, die jetzt auch mal ein Beispiel in der Schule bringen möchten, was vielleicht nun nicht einfach nur so einfach ist und sich das nicht vollständig neu erarbeiten wollen.
Scholl: Na, das sind Innovationen für den Physikunterricht an Schulen. Kommen wir mal zu einem Heiligtum jetzt, Metin Tolan, dem Martini nämlich, auf den ja auch der Titel des Buches anspielt. Dieser Frage geschüttelt, nicht gerührt, haben Sie sogar mal eine Extravorlesung gewidmet. Warum trinkt denn James Bond seinen Drink partout geschüttelt?
Tolan: Ja, es ist hier jetzt so, die Sache, die ich mir dazu ausgedacht habe, ich sage bewusst, die habe ich mir dazu ausgedacht, basiert darauf, dass es was Interessantes sein soll. James Bond würde es nicht tun, wenn es irgendwas Banales ist. Ich möchte aber auch vorneweg sagen, das muss man mit einem gewissen Augenzwinkern sehen. Ob das wirklich die Begründung ist, überlasse ich Ihren Hörern.
Er macht es deswegen: James Bond, die These ist immer, der ist ja immer in Eile, der kann ja so einen Wodka-Martini nie genießen und den voll austrinken. Und durch das Schütteln des Wodka-Martini schafft er es, die Geschmacksmoleküle, die etwas größer sind als die Alkoholmoleküle, an der Oberfläche anzureichern. Das ist der sogenannte Paranusseffekt, den Sie immer haben, wenn Sie ein Gemisch aus großen und kleinen Teilchen schütteln. Dann gehen die großen Teilchen nach oben. Und da er nur einen Schluck abtrinken kann, weil er dann immer gleich weiter muss, soll dieser Schluck wenigstens optimal schmecken. Das ist der Grund, warum er das tut. Er ist aus meiner Sicht ein so großer Genießer, dass er auf eine so Kleinigkeit Wert legt.
Scholl: Nun widersprechen Ihnen aber, werter Prof. Tolan, die Ernährungsdrinkexperten des Deutschlandradios. Unser Kollege Holger Hettinger, der ist gewissermaßen ein promovierter Martini-Experte und er sagt, beim Schütteln kommt eine Emulsion zustande, und deren molekulare Struktur ändere sich dann eben nicht.
Tolan: Ja, das ist aber eine völlig unspektakuläre Erklärung, die deswegen nicht stimmen kann.
Scholl: Aha. Aber dann sind die Moleküle doch gar nicht oben?
Tolan: Nein. Das mit der Emulsion glaube ich erst mal nicht. Eine Emulsion kriegen Sie nicht so schnell, weil eine Emulsion, würde mich mal interessieren, zwischen was das eigentlich der Fall ist. Eine Emulsion besteht ja aus vielen kleinen Tröpfchen. Und das ist schon nicht so. Wodka und Martini mischen sich eins zu eins. Eine Emulsion kommt nicht zustande, wenn wir auf das fachliche Niveau heben wollen. Meine Erklärung haben Sie ja mitbekommen, ist ja mehr auf das Spaßniveau gehoben worden.
Ich sage Ihnen, wenn Sie wirklich inhaltliche Erklärungen haben wollen, ich könnte mir vorstellen, durch das Schütteln wird der Wodka-Martini einfach kälter, weil er mehr mit dem Eis in Kontakt kommt. James Bond trinkt nämlich den Wodka-Martini eisgekühlt, aber ohne Eis.
Scholl: Außerdem sagt unser Fachmann, ein geschüttelter Martini sei für jeden Kenner ein Grauen, weil er nämlich dann trüb sei und damit äußerlich eher unappetitlich wirke.
Tolan: Klasse! Dem würde ich mich wieder anschließen.
Scholl: Ich meine, an diesem Mythos des Martinis wird jetzt ein wenig gekratzt. Im letzten Film in Gestalt von Daniel Craig, der sagt auf die Frage, geschüttelt oder gerührt, Mister Bond, sagt er, das hat mich noch nie interessiert.
Tolan: Nein, "Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?", sagt er genau genommen.
Scholl: Uh, da sind Sie besser informiert, ja.
Tolan: Schauen Sie mal, es ist so. Hier muss man ja auch wieder die Chronologie beachten. Es ist zwar der 21. Film gewesen, der letzte Film, aber es soll chronologisch ja der erste sein. Die Figur James Bond wird erst entwickelt. Das heißt, im Verlaufe der Zeit bildet sich dieser Genussmensch erst heraus.
Scholl: Aha. Das wird also noch weitergehen. Und Sie sind vermutlich auch hoch gespannt auf das neueste Werk, "Ein Quantum Trost" heißt das auch noch ausgerechnet, physikalisch Quantum. Ab 6. November in den Kinos.
Tolan: Ich werde sogar schon am 5. November den Film in der Vorpremiere sehen und eine Stunde vorher im Kino meinen Vortrag dazu halten.
Scholl: Das sind die Privilegien von großen Forschern. Der wissenschaftliche Streit wird aber vielleicht auch weitergehen in Sachen Martini. Das werden wir noch verfolgen. Jetzt erst einmal danke schön, Metin Tolan, für das Gespräch!
Tolan: Bitte, bitte.
Scholl: Und das Buch "Geschüttelt, nicht gerührt - James Bond und die Physik" ist im Piper Verlag erschienen, 300 Seiten, zum Preis von 16,90 Euro.