Die synchronisierte Stadt

Wien und der Umgang mit der Zeit

Am ältesten Platz in Wien, dem Hohen Markt, ist die Ankeruhr mit ihren historischen Figuren zu sehen.
Am ältesten Platz in Wien, dem Hohen Markt, ist die Ankeruhr mit ihren historischen Figuren zu sehen. © dpa / picture alliance / Waltraud Grubitzsch
Von Karla Engelhard · 04.08.2015
Seit der Industrialisierung wurde Zeit plötzlich Geld, und öffentliche Uhren bestimmten zunehmend den Rhythmus der österreichischen Hauptstadt. Wien hat enorm viele Uhren als "Stadtmöbel" - und die geben nicht nur die Zeit an, sie bestimmen auch den Takt der Stadt.
Die Glocken und Uhren vom Stephansdom gaben in Wien jahrhundertelang den Takt vor. Erst ab Mitte des 19.Jahrhunderts eroberten öffentliche Uhren die Stadt, sie wurden zum "Stadtmöbel", losgelöst von Kirchtürmen, Schlössern oder Rathäusern. Der Stadthistoriker Peter Payer nennt Ursachen dafür:
"Das Bürgertum denkt und handelt zunehmend, historisch gesehen in Kategorien von Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Berechenbarkeit und die zweite wesentliche Komponente war die Ökonomie. Das es natürlich darum gegangen ist die vielfältigen Warenströme, Güter-, Personenabläufe in der Stadt zu koordinieren. Das ist möglich mit Hilfe der Uhr, mit Hilfe einer Synchronisierung, mit Hilfe der Uhrzeit und einer Genauigkeit in der Abstimmung aller möglichen Zeitabläufe."
Wobei Uhren mit den unterschiedlichsten Antriebsmechanismen entwickelt wurden: Von den mechanischen Turmuhren, über pneumatische und autodynamische bis zur elektrischen Würfeluhr. Erst mit der Elektrizität kam die Pünktlichkeit, die Ortszeit blieb:
"Es gibt eine Uhr in Simmering draußen, also im 11. Wiener Gemeindebezirk, die zeigt die Ortszeiten an, von Wien, von New York, Tokio und von Simmering. Und in Simmering ist die Zeit um eine Minute unterschiedlich als zu Wien Zentrum, aufgrund des Sonnenstandes."
Mehr als 200 öffentlichen Uhren hat Wien derzeit und damit pro Kopf mehr als Berlin, darunter die legendäre Ankeruhr am Gebäude der ehemals gleichnamigen Versicherung und die Würfeluhren an Straßen und Plätzen.
Schnell kann daraus ein Diktat der Zeit werden
Ein Würfel mit vier Ziffernblättern auf einem Mast, wie auf dem Wiener Karmelitermarkt gehören für zum Inventar der Stadt.
" Die Uhr ist wichtig, ja. Es ist so wie gut Luftbekommen, wenn sie da ist...", meint die serbische Gemüseverkäuferin, ihre Nachbarin vom Geflügelgrill meint:
"Das ist schon Tradition, das wir eine alte Uhr haben, das gehört sich ganz einfach, wenn das weg ist, ist irgendwie ganz leer."
Der Stadthistoriker Peter Payer wohnt in der Nähe vom Karmelitermarkt mit seiner Würfeluhr. In einem Kaffee in Sichtweite der Uhr kommt er ins Philosophieren:
"Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Taktung unseres Lebens. Das ist ja das Eigentliche. Die Großstadt wird getaktet, sie erhält einen Rhythmus, sie erhält künstliche Einheiten nach denen sie funktioniert."
Schnell kann daraus ein Diktat der Zeit werden, auch in der ansonsten eher langsamen Stadt Wien und den meist gemütlichen Wienern:
Umfrage: "Die Zeit geht uns allen aus, immer wieder. Obwohl ich gern wüsste wohin sie ausgeht, irgendwohin muss sie ja hingehen...Ich bin lieber eine halbe Stunde früher, als eine halbe Stunde zu spät. Ich weiß was Warten bedeutet und das ist ein unangenehmer Zustand... Es hat einmal jemand gesagt, die Zeit ist der Trick Gottes, um zu verhindert, dass alles zu gleichen Zeit geschieht, sonst hätten wir ein riesen Durcheinander ....."
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