Meinung: Klimakrise
Mit menschlichen Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte seien die gewaltigen Umbrüche der Gegewart nicht zu vergleichen, meint Fritz Habekuß – hier müsste die Kunst ran. © picture alliance / imageBROKER / Lacz Gerard
Die Kultur bleibt auffällig stumm

Dass die UN-Klimakonferenz allein das Problem des Klimawandels lösen kann, glaubt der Wissenschaftsjournalist Fritz Habekuß nicht. Potenzial sieht er allerdings in der Kultur.
Stellt man alle Wirbeltiere auf diesem Planeten auf eine Waage, dann machen Menschen 34 Prozent des Gesamtgewichts aus. 62 Prozent sind Nutztiere. Alle Savannen-Elefanten und Breitmaulnashörner, alle Füchse und Fuchskusus, alle Siebenschläfer und Bergwald-Baumschliefer, alle Blau- und Pottwale und 6.400 andere Säugetierarten, sie kommen zusammen nur auf vier Prozent.
Fast überall begegnen wir heute nur noch uns selbst. Das ist die unheimliche Einsamkeit des Anthropozäns. Eine Ungeheuerlichkeit. Eine andere, ausgedrückt in Schlagzeilen der letzten Tage: „Die Welt sprengt erstmals die Grenze von zwei Grad mehr Erwärmung“, „Die Länder der Erde sind weit davon entfernt, ihre Klimaziele zu erreichen“, „Die Vereinten Nationen warnen vor einer ‚höllischen Welt‘ mit drei Grad mehr“.
Man kann diese Sätze sagen und spürt kaum etwas dabei. Hingegen Holocaust, Heimat, Revolution - Worte wie diese sind aufgeladen mit Emotion und Bedeutung.
Aber Ozeanversauerung oder ökologische Transformation? Sie haben kein kulturelles Gewicht. Sie sind, in gewisser Weise, bedeutungslos.
Kultureller Umbruch
Die Umbrüche unserer Gegenwart sind so gewaltig, dass wir uns schwertun, mit unserer Sprache und unseren Erzählungen Antworten darauf zu finden. Denn mit menschlichen Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte sind sie nicht zu vergleichen– hier müsste eigentlich die Kunst ran, die Literatur, der Film.
Doch die bleiben in Sachen ökologischer Krisen auffällig stumm. In Pop-Songs jedenfalls, in Romanen, Musicals oder Serien spielen die Klimakrise und der Verlust der Biodiversität kaum eine Rolle.
Wieso nicht?
Vielleicht weil das Anthropozän zuerst als wissenschaftlich-technisches Problem gesehen wird, nicht als kultureller Umbruch. Doch wenn keine Vögel mehr singen, gibt es auch keine Gedichte mehr über sie. Da lässt sich höchstens noch über die Stille schreiben. Die muss man allerdings erst einmal wahrnehmen. Dazu passt eine Studie: Sie hat vor ein paar Jahren gezeigt, dass Kinder eher das Pokèmon Pikachu erkennen können als einen Dachs.
Vielleicht auch deshalb, weil Kunst, die ihre politische Agenda zu platt vor sich herträgt, keine gute Kunst ist. Literatur, die moralisiert, ist langweilig – und führt im Zweifel zu Reaktanz, nicht zu Veränderung.
Kultur weckt Begehrlichkeiten
Der indische Schriftsteller Amitav Ghosh hat vor ein paar Jahren gefragt, wie es sein kann, dass so viele Romane ohne das Hintergrundrauschen des Klimawandels auskommen. Der Aufsatz ist ein paar Jahre alt, seitdem ist einiges passiert, Romane wie „Blue Skies“ von T.C. Boyle sind erschienen oder der 700-Seiten-Wälzer “Das Ministerium der Zukunft” von Science Fiction Autor Kim Stanley Robinson. Dennoch hält Ghoshs Analyse.
Wir Menschen brauchen Erzählungen, um uns zu vergewissern, wer wir sind – aber auch, um uns vorzustellen, wer wir sein könnten. Die Suche nach guten Zukünften kann die Wissenschaft nicht übernehmen. Literatur allerdings schon, und sie kann helfen, sie zu prägen.
Denn Kultur weckt Begehrlichkeiten. Nach dicken Autos, weiten Reisen oder großen Häusern – einige der stärksten Treiber der fossilen Wirtschaft.
James Bond fährt nicht Fahrrad
Der Roadtrip als Topos der Freiheit, die tropische Insel als Verkörperung des Paradieses: Das sind Monumente der Fossilität, gelernte Assoziationen, vermittelt seit Jahrzehnten durch unzählige Filme, Bücher und Songs. James Bond fährt eben nicht Fahrrad und rettet zusammen mit einer sexy Meeresbiologin vom Aussterben bedrohte Wale.
Geht es auch anders?
Es gibt keine unvermeidliche Zukunft, der Weg dahin ist offen: Wie viel Grad es bis zum Ende des Jahrhunderts werden, wie viele funktionierende Ökosysteme dann noch übrig sind, ist nicht nur eine Frage der Physik, sondern auch eine unserer Vorstellungskraft.
* Wir haben Teaser korrigiert, da er die Meinung des Autos nicht korrekt wiedergegeben hat.