"Die Suche nach der Vorherbestimmung"

Von Gregor Ziolkowski · 08.03.2005
Boris Strugatzkis Roman "Die Suche nach der Vorherbestimmung" ist eine historisch-phantastische Satire mit philosophischem Anspruch. Mit viel Sinn für Rhythmus und spannungsvoll erzählt, gehört er zum Besten, was die russische Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Ein Jahrhundertroman über die Blockade Leningrads, die Verfolgung der russischen Intelligenzia und Errettungsphantasien.
Es gibt diese sehr russische (aber auch anderswo anzutreffende) Sehnsucht nach einer "starken Hand", nach jenem messianischen Wesen, das die "Zeit der Wirren" auflösen und eine erkennbare Ordnung fügen möge, sei diese auch hart und ungerecht. Das setzt eine vorgedachte Ordnung ebenso voraus wie jenes Wesen, das seine Bestimmung erkennt und annimmt. Eine Illusion gewiss, nicht anders als die des Philosophen Baruch Spinoza (1632-1677), der da meinte, das Gefüge aus Göttlichem und Natürlichem, aus universalem Weltenplan und menschlichen Affekten erfasst und daraus eine Ethik gefiltert zu haben, die mit höchster Präzision – "nach geometrischer Methode" – die letzten Fragen klarstelle. Die Verwegenheit dieser Konstruktion hatte schon Leibniz im Auge, als er anmerkte, Spinozas Beweise seien "eher bestechend als überzeugend".

Boris Strugatzki mag an Leibniz´ Einwand gedacht haben, als er Spinozas Ethik als Folie für einen modernen russischen Jahrhundertroman wählte. Ließe sich nicht genau dies – "eher bestechend als überzeugend" – über die kommunistische Utopie sagen? Spielte die nicht genauso verwegen mit der Entschlüsselung von universalen (wenn auch nicht göttlichen) Gesetzmäßigkeiten und daraus abgeleiteten historischen Rollen und Berufungen?

Alles fängt (wie immer) ganz harmlos an: Da stellt der fast 40-jährige Mathematiker Stas Krasnogorow fest, dass er eigentlich längst tot sein müsste. Dass er als Kleinkind dem Ertrinken knapp entronnen ist, als Junge wundersam die Leningrader Blockade überlebte, als Student im vereisten Ladogasee oder in der wilden Natur dem Tod von der Schippe springen konnte und immer so weiter. Welche Kraft bewahrte ihn jeweils vor dem Schlimmsten? Der Glaube an Wunder schließt sich für den Naturwissenschaftler ebenso aus wie die logische Erklärung von Zufällen als Aufeinanderfolge wenig wahrscheinlicher Ereignisse. Aus solchen Daseinsrätseln entspringt die Literatur: Stas Krasnogorow ruft sich diese – und andere – Episoden in Form eines Romans in Erinnerung. Der Roman wird zwar nicht publiziert, bringt ihm aber Anerkennung in der dissidentischen Intelligenzija-Szene ein. Hier, wo man das Korrumpierte und Entkräftete des einstigen utopischen Entwurfs längst erfasst hat, ist man dankbar für ein Denken in Alternativen, seien es philosophische oder politische. Vor allem die letzteren führen aber früher oder später zum KGB.

Stas Krasnogorow allerdings stellt erstaunt fest, dass der Geheimdienst sich keineswegs für seine politischen Ansichten, sondern für ganz andere Aspekte der Macht interessiert: Unerklärliche Todesfälle, deren einziger gemeinsamer Nenner die Nähe der betroffenen Personen zu Stas zu sein scheint, bringen einen Mitarbeiter der "Abteilung für paranormale Erscheinungen" auf die Idee, der Mathematiker könne übernatürliche Kräfte mobilisieren, die man nutzen sollte. Der mag sich wehren, weil er, einerseits, nichts ahnt von solchen Fähigkeiten und, andererseits, feste ethische Prinzipien hat, die einen solchen Missbrauch nicht vorsehen, ganz wie sich das für einen russischen Intelligenzler gehört. Aber getreu der marxistischen Losung, wonach eine Idee zur materiellen Gewalt wird, sobald sie die Massen ergreift, bleibt dem Mathematiker letztlich keine andere Wahl, als die ihm zugedachte Rolle anzunehmen. Vor dem Hintergrund der zerfallenden alten Macht wird er zum "Meister", zum erfolgreichen Guru, der vermeintlich Rettung verheißt, weil er ein hohes Ethos verkündet und weil gelegentlich Menschen aus seiner Umgebung zu Tode kommen. Mitten im wilden russischen Kapitalismus macht er Karriere als Geschäftsmann und Politiker, der es bis zur Präsidentschaftskandidatur bringt und selbst an seine Mission und seine Fähigkeiten zu glauben beginnt.

Eine apokalyptische Szene voller Klone, monströser Apparate und außer Kontrolle geratener Untergebener verschlingt den Helden schließlich, die Konstruktion seines Daseins, die Jagd nach der Vorherbestimmung erweist sich als "eher bestechend als überzeugend".

Boris Strugatzkis Roman ist eine historisch-phantastische Satire mit philosophischem Anspruch. Mit viel Sinn für Rhythmus und spannungsvoll erzählt, gehört er zum Besten, was die russische Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Boris Strugatzki: Die Suche nach der Vorherbestimmung oder Der siebenundzwanzigste Lehrsatz der Ethik. Roman. Aus dem Russischen von Erik Simon. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005. 435 Seiten, 21,50 Euro