Die Stunde der Abgeordneten?
EU-Bürgern das Europäische Parlament nahezubringen, ist ungefähr so dankbar wie in Deutschland japanische Oberklasse-Autos zu verkaufen. Kaum einer kann wirklich etwas Schlechtes darüber sagen, aber eine gewisse Skepsis, gemischt mit Langeweile ist nicht überwindbar, und am Ende steht dann doch wieder ein neuer Mercedes, BMW oder Audi auf dem Hof.
Im Brüsseler Institutionengeflecht ist die europäische Volksvertretung die große Unbekannte. Der Rat, in dem die Regierungen glanzvolle Gipfel abhalten können, und die Kommission, in der man die feindselige Bürokratie verkörpert sieht, ziehen fast alle Aufmerksamkeit auf sich – sofern es überhaupt Aufmerksamkeit für die EU und ihre Integrationsprojekte gibt. Das Parlament ist so unbekannt, dass knapp sechs Wochen vor der Wahl gerade einmal die Hälfte der Bundesbürger überhaupt weiß, dass am 7. Juni Europawahlen stattfinden.
Diese Ignoranz ist einerseits sehr ungerecht und andererseits nur zu verständlich. Ungerecht, weil das Europäische Parlament zwar im täglichen Leben für den Bürger kaum sichtbar ist, seine nicht unbeträchtlichen Leistungen aber vor allem dem Bürger zugutekommen. Von zahllosen Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzvorschriften über schärfere Umweltauflagen in der EU bis hin zur Finanzkontrolle der EU-Organe hat das Parlament seinen Anspruch als Anwalt der Menschen in Europa oft genug auch wirklich eingelöst. Zudem ist das Parlament mittlerweile zu einem respektierten außenpolitischen Akteur geworden, dessen Urteil zum Beispiel über die Zustände in der Türkei, dessen Wahlbeobachter-Missionen in aller Welt und dessen Sacharow-Preis für Menschenrechte vor allem von denen beachtet werden, denen sie unbequem sind. Und die Arbeitslast der Abgeordneten, entgegen aller Vorurteile, ist respekteinflößend.
Berechtigt hingegen ist die Skepsis, weil das Europaparlament noch immer kein wirklich vollwertiges Legislativorgan ist. Zwar ist die Macht des Parlaments über die Jahre stark ausgeweitet worden, vor allem in der EU-Gesetzgebung. Doch noch immer fehlen elementare Parlamentsrechte, darunter das besonders wichtige Initiativrecht, also die Möglichkeit, ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu bringen und damit ein Thema auf die Agenda zu setzen. Auch der Lissabonner Vertrag würde hieran nichts Wesentliches ändern. Entscheidendes Gesetzgebungsorgan in der EU bleibt der nur indirekt legitimierte Rat. Aber auch gefühlsmäßig bleibt das EP den Bürgern fremd. Zu sehr ist er die heimischen Verhältnisse gewöhnt, die sich mit der Brüsseler Systematik kaum je vergleichen lassen. Diese Fremdheit lässt der Bürger am ehesten das Europaparlament spüren. Für die Wahl am 7. Juni wird ein neuer Negativrekord bei der Wahlbeteiligung prognostiziert.
Dennoch sollte heuer gerade derjenige wählen gehen, dem Brüssel rätselhaft und undurchschaubar vorkommt. Denn es ist das Parlament, das für seine Kämpfe mit dem Rat und der Kommission und für seinen Anspruch, langsam aber sicher zu einem vollwertigen Parlament zu werden, jede Unterstützung verdient.
Dies gilt in diesem Jahr übrigens noch mehr als sonst auch. Denn erstmals wird erwartet, dass euroskeptische Parteien in Europa genügend Stimmen erhalten, um im Parlament eine eigene Fraktion zu bilden. Für manch hartgesottenen Eurokraten mag dies ein Ärgernis sein. Aber es wäre auch ein getreuliches Abbild der Stimmung an der Basis, wo der alte Euro-Automatismus nicht mehr so populär ist wie früher. Rat und Kommission sind nicht in der Lage, diese politische Strömung in Europa so direkt aufzunehmen und so zu verstehen wie das Parlament. Es könnte eine Sternstunde des europäischen Parlamentarismus werden, die Euroskeptiker anzunehmen, ihre guten Argumente zur Stärkung Europas in die EU zu tragen und ihre schlechten Argumente als den Populismus zu entlarven, der er oft ist. Wer das will, der kann etwas dafür tun: wählen gehen am 7. Juni.
Jan Techau (geboren 1972) ist Leiter des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Von 2001 bis 2006 arbeitete er im Bundesministerium der Verteidigung. Techau studierte Politikwissenschaft in Kiel und an der Pennsylvania State University.
Diese Ignoranz ist einerseits sehr ungerecht und andererseits nur zu verständlich. Ungerecht, weil das Europäische Parlament zwar im täglichen Leben für den Bürger kaum sichtbar ist, seine nicht unbeträchtlichen Leistungen aber vor allem dem Bürger zugutekommen. Von zahllosen Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzvorschriften über schärfere Umweltauflagen in der EU bis hin zur Finanzkontrolle der EU-Organe hat das Parlament seinen Anspruch als Anwalt der Menschen in Europa oft genug auch wirklich eingelöst. Zudem ist das Parlament mittlerweile zu einem respektierten außenpolitischen Akteur geworden, dessen Urteil zum Beispiel über die Zustände in der Türkei, dessen Wahlbeobachter-Missionen in aller Welt und dessen Sacharow-Preis für Menschenrechte vor allem von denen beachtet werden, denen sie unbequem sind. Und die Arbeitslast der Abgeordneten, entgegen aller Vorurteile, ist respekteinflößend.
Berechtigt hingegen ist die Skepsis, weil das Europaparlament noch immer kein wirklich vollwertiges Legislativorgan ist. Zwar ist die Macht des Parlaments über die Jahre stark ausgeweitet worden, vor allem in der EU-Gesetzgebung. Doch noch immer fehlen elementare Parlamentsrechte, darunter das besonders wichtige Initiativrecht, also die Möglichkeit, ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu bringen und damit ein Thema auf die Agenda zu setzen. Auch der Lissabonner Vertrag würde hieran nichts Wesentliches ändern. Entscheidendes Gesetzgebungsorgan in der EU bleibt der nur indirekt legitimierte Rat. Aber auch gefühlsmäßig bleibt das EP den Bürgern fremd. Zu sehr ist er die heimischen Verhältnisse gewöhnt, die sich mit der Brüsseler Systematik kaum je vergleichen lassen. Diese Fremdheit lässt der Bürger am ehesten das Europaparlament spüren. Für die Wahl am 7. Juni wird ein neuer Negativrekord bei der Wahlbeteiligung prognostiziert.
Dennoch sollte heuer gerade derjenige wählen gehen, dem Brüssel rätselhaft und undurchschaubar vorkommt. Denn es ist das Parlament, das für seine Kämpfe mit dem Rat und der Kommission und für seinen Anspruch, langsam aber sicher zu einem vollwertigen Parlament zu werden, jede Unterstützung verdient.
Dies gilt in diesem Jahr übrigens noch mehr als sonst auch. Denn erstmals wird erwartet, dass euroskeptische Parteien in Europa genügend Stimmen erhalten, um im Parlament eine eigene Fraktion zu bilden. Für manch hartgesottenen Eurokraten mag dies ein Ärgernis sein. Aber es wäre auch ein getreuliches Abbild der Stimmung an der Basis, wo der alte Euro-Automatismus nicht mehr so populär ist wie früher. Rat und Kommission sind nicht in der Lage, diese politische Strömung in Europa so direkt aufzunehmen und so zu verstehen wie das Parlament. Es könnte eine Sternstunde des europäischen Parlamentarismus werden, die Euroskeptiker anzunehmen, ihre guten Argumente zur Stärkung Europas in die EU zu tragen und ihre schlechten Argumente als den Populismus zu entlarven, der er oft ist. Wer das will, der kann etwas dafür tun: wählen gehen am 7. Juni.
Jan Techau (geboren 1972) ist Leiter des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Von 2001 bis 2006 arbeitete er im Bundesministerium der Verteidigung. Techau studierte Politikwissenschaft in Kiel und an der Pennsylvania State University.