Die Straßen von Leipzig-Ost
„Als wir träumten“ – so heißt das Romandebüt von Clemens Meyer, das im Frühjahr erschien und in den Feuilletons gefeiert wurde. Darin erzählt Clemens Meyer von einer Gruppe von Jugendlichen kurz vor und kurz nach der Wiedervereinigung in Leipzig. Die Geschichte spielt in dem Teil der Stadt, in dem auch Meyer aufgewachsen ist.
Lesung Meyer aus „Als wir träumten“:
„Es gibt keine Nacht, in dem ich nicht von all dem träume und jede Nacht tanzen die Erinnerungen in meinem Kopf und ich quäle mich mit der Frage, warum das alles so gekommen ist.“
Sechs Jahre hat Clemens Meyer an seinem Erstling gearbeitet. Die meiste Zeit hier in dieser Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss, an einer viel befahrenen tristen Ausfallstraße. Das Haus steht leer, bis auf zwei Wohnungen, im Nachbarhaus sind Fenster zugemauert.
„Das ist meine Boxbirne hier, da kann man drauf einprügeln hier, dann brettert das so rum hier.“
Der kleine Boxsack hängt im Schlafzimmer, zwischen zwei Fenstern, er trainiert täglich. An der Wand in seinem Arbeitszimmer hängen Box-Poster. Auch in seinem Buch wird geboxt: Rico, einer der besten Freunde des Ich-Erzählers, will Profi-Boxer werden, scheitert, schlägt sich durchs Leben.
Der Blick aus Meyers Arbeitszimmer geht auf die Straße – und ins Grüne, in einen Urwald, der sich auf einer Brache breit macht, wo früher, zu DDR-Zeiten, einmal eine große Fabrikanlage stand.
„Früher war das hier ein großes Arbeiterviertel gewesen, jetzt ist es eher ein Arbeitslosenviertel.“
„Als wir träumten“ spielt hier, in Leipzig-Ost, in den Straßen und an den Orten, an denen auch Clemens Meyer seine Jugend verbrachte. Seine Mutter Kindergärtnerin, der Vater Krankenpfleger.
Lesung Meyer aus „Als wir träumten“:
„Die Original Leipziger Brauereiabfüllung war eine Art blonder Flaschengeist für uns, der uns sanft an den Haaren packte und über Mauern hob, Autos in Flugmaschinen verwandelte, uns seinen Teppich lieh, auf dem wir davonflogen und den Bullen auf die Köpfe spuckten.“
Die Jungs, von denen er auf rund 500 Seiten erzählt, könnten seine Freunde gewesen sein, sind genauso alt wie er, auch Mitte/Ende der 70er Jahre geboren. Schon zu DDR-Zeiten ecken sie an, später, nach der Wiedervereinigung, stehen sie irgendwann alle mit einem Bein im Gefängnis – oder mit zweien.
„Die Gewalt spielt im Leben der Protagonisten eine gewisse Rolle, es ist das, es ist eigentlich wie ein Motor, der sie antreibt, aber auch kaputtmacht.“
Clemens Meyer verschränkt geschickt die Zeitebenen, nur stückchenweise erfährt der Leser, was aus den Freunden wird. Mitte der 90er sind zwei tot: Mark wegen Drogen, der kleine Walter, der Autoknacker, rast an einen Baum. Rico, der Boxer werden wollte, wird am Ende wohl für länger in den Knast gehen. Ein Buch wie ein Film, eine Reportage, bewegend, lebendig, authentisch.
Die Frage, wie viel davon erlebt und wie viel Fiktion ist, ermüdet ihn inzwischen, nach dem Presserummel seit der Veröffentlichung, als sogar die „Bildzeitung“ über ihn berichtete, vermutlich auch wegen seines unkonventionellen Auftretens, seiner fotogenen Tätowierungen, den kurz geschorenen Haaren.
„Ich sag immer, wenn ich das alles so erlebt hätte, würde ich jetzt nicht hier so sitzen.“
Und er sagt, das Buch solle allein stehen, losgelöst vom Autor. Erzählt dann aber doch von sich: Schriftsteller, das wollte er schon immer werden, schon mit acht schrieb er Gedichte. Und wollte trotzdem auch immer raus auf die Straße:
„Ich wollte kein regelkonformes Leben führen, und wenn mich das irgendwo in den Knast verschlagen hätte, dann wär das auch nicht schlimm gewesen. Ich wollte meinen Weg gehen, ich wollte den Menschen kennen lernen und das ist auch heute noch das, was mich treibt, den Mensch zu verstehen, es klingt immer so pathetisch, mein Gott , es ist eben so.“
Seine Vorbilder sind Hemingway und B. Traven. Männer und Abenteurer, die nicht davor zurückschrecken, selbst dorthin zu gehen, wo es auch mal wehtun kann:
„Ich hab mit Nazis gesessen und getrunken, ich hab mit Punkern gesessen und erzählt, ich hab mit Totschlägern und Verbrechern gesessen und Karten gespielt, ich hab aber auch mit Schriftstellern und Literaten gesessen und erzählt.“
Studieren wollte er eigentlich nie, lieber auf dem Bau arbeiten, doch dann macht sein Rücken nicht mehr mit – er bewirbt sich am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und wird genommen. Arbeitet nebenher als Wachmann und Gabelstaplerfahrer, lebt von Hartz IV, schreibt an seinem großen Stoff, der ihn nicht mehr loslässt, verschickt sein Manuskript an Verlage, bekommt Absagen, feilt weiter, jeden Tag.
Lesung Meyer aus „Als wir träumten“:
„Alles war verrückt wie ein Alptraum in einer Sommernacht bei 30 Grad.“
Der Schriftsteller Sten Nadolny, den er als Dozent kennen gelernt hatte, empfiehlt sein Manuskript dem Fischer-Verlag. Clemens Meyer kann sich noch erinnern, wie dann endlich das fertige Buch bei ihm ankommt, mit der Post.
„Ich hab sogar dran gerochen, immer wieder dran gerochen, wie riecht denn so ein Buch? Drei Stück hab ich gekriegt, eines hab ich einem sehr guten Freund geschenkt, eines hab ich behalten, eines hat meine Mutter gekriegt und das war schon, das ist, das ist Wahnsinn, wenn man sechs Jahre an so was arbeitet und dann ist es plötzlich da, dann weiß man, was man geschafft hat, aber auch gleichzeitig, was man verloren hat, dass es weg ist, wenn man jeden Tag damit aufsteht und damit ins Bett geht, dann ist es weg, das war auch noch mal so eine ganze Zeit lang das berühmte Loch, eine Identitätskrise, ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich bin.“
„Es gibt keine Nacht, in dem ich nicht von all dem träume und jede Nacht tanzen die Erinnerungen in meinem Kopf und ich quäle mich mit der Frage, warum das alles so gekommen ist.“
Sechs Jahre hat Clemens Meyer an seinem Erstling gearbeitet. Die meiste Zeit hier in dieser Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss, an einer viel befahrenen tristen Ausfallstraße. Das Haus steht leer, bis auf zwei Wohnungen, im Nachbarhaus sind Fenster zugemauert.
„Das ist meine Boxbirne hier, da kann man drauf einprügeln hier, dann brettert das so rum hier.“
Der kleine Boxsack hängt im Schlafzimmer, zwischen zwei Fenstern, er trainiert täglich. An der Wand in seinem Arbeitszimmer hängen Box-Poster. Auch in seinem Buch wird geboxt: Rico, einer der besten Freunde des Ich-Erzählers, will Profi-Boxer werden, scheitert, schlägt sich durchs Leben.
Der Blick aus Meyers Arbeitszimmer geht auf die Straße – und ins Grüne, in einen Urwald, der sich auf einer Brache breit macht, wo früher, zu DDR-Zeiten, einmal eine große Fabrikanlage stand.
„Früher war das hier ein großes Arbeiterviertel gewesen, jetzt ist es eher ein Arbeitslosenviertel.“
„Als wir träumten“ spielt hier, in Leipzig-Ost, in den Straßen und an den Orten, an denen auch Clemens Meyer seine Jugend verbrachte. Seine Mutter Kindergärtnerin, der Vater Krankenpfleger.
Lesung Meyer aus „Als wir träumten“:
„Die Original Leipziger Brauereiabfüllung war eine Art blonder Flaschengeist für uns, der uns sanft an den Haaren packte und über Mauern hob, Autos in Flugmaschinen verwandelte, uns seinen Teppich lieh, auf dem wir davonflogen und den Bullen auf die Köpfe spuckten.“
Die Jungs, von denen er auf rund 500 Seiten erzählt, könnten seine Freunde gewesen sein, sind genauso alt wie er, auch Mitte/Ende der 70er Jahre geboren. Schon zu DDR-Zeiten ecken sie an, später, nach der Wiedervereinigung, stehen sie irgendwann alle mit einem Bein im Gefängnis – oder mit zweien.
„Die Gewalt spielt im Leben der Protagonisten eine gewisse Rolle, es ist das, es ist eigentlich wie ein Motor, der sie antreibt, aber auch kaputtmacht.“
Clemens Meyer verschränkt geschickt die Zeitebenen, nur stückchenweise erfährt der Leser, was aus den Freunden wird. Mitte der 90er sind zwei tot: Mark wegen Drogen, der kleine Walter, der Autoknacker, rast an einen Baum. Rico, der Boxer werden wollte, wird am Ende wohl für länger in den Knast gehen. Ein Buch wie ein Film, eine Reportage, bewegend, lebendig, authentisch.
Die Frage, wie viel davon erlebt und wie viel Fiktion ist, ermüdet ihn inzwischen, nach dem Presserummel seit der Veröffentlichung, als sogar die „Bildzeitung“ über ihn berichtete, vermutlich auch wegen seines unkonventionellen Auftretens, seiner fotogenen Tätowierungen, den kurz geschorenen Haaren.
„Ich sag immer, wenn ich das alles so erlebt hätte, würde ich jetzt nicht hier so sitzen.“
Und er sagt, das Buch solle allein stehen, losgelöst vom Autor. Erzählt dann aber doch von sich: Schriftsteller, das wollte er schon immer werden, schon mit acht schrieb er Gedichte. Und wollte trotzdem auch immer raus auf die Straße:
„Ich wollte kein regelkonformes Leben führen, und wenn mich das irgendwo in den Knast verschlagen hätte, dann wär das auch nicht schlimm gewesen. Ich wollte meinen Weg gehen, ich wollte den Menschen kennen lernen und das ist auch heute noch das, was mich treibt, den Mensch zu verstehen, es klingt immer so pathetisch, mein Gott , es ist eben so.“
Seine Vorbilder sind Hemingway und B. Traven. Männer und Abenteurer, die nicht davor zurückschrecken, selbst dorthin zu gehen, wo es auch mal wehtun kann:
„Ich hab mit Nazis gesessen und getrunken, ich hab mit Punkern gesessen und erzählt, ich hab mit Totschlägern und Verbrechern gesessen und Karten gespielt, ich hab aber auch mit Schriftstellern und Literaten gesessen und erzählt.“
Studieren wollte er eigentlich nie, lieber auf dem Bau arbeiten, doch dann macht sein Rücken nicht mehr mit – er bewirbt sich am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und wird genommen. Arbeitet nebenher als Wachmann und Gabelstaplerfahrer, lebt von Hartz IV, schreibt an seinem großen Stoff, der ihn nicht mehr loslässt, verschickt sein Manuskript an Verlage, bekommt Absagen, feilt weiter, jeden Tag.
Lesung Meyer aus „Als wir träumten“:
„Alles war verrückt wie ein Alptraum in einer Sommernacht bei 30 Grad.“
Der Schriftsteller Sten Nadolny, den er als Dozent kennen gelernt hatte, empfiehlt sein Manuskript dem Fischer-Verlag. Clemens Meyer kann sich noch erinnern, wie dann endlich das fertige Buch bei ihm ankommt, mit der Post.
„Ich hab sogar dran gerochen, immer wieder dran gerochen, wie riecht denn so ein Buch? Drei Stück hab ich gekriegt, eines hab ich einem sehr guten Freund geschenkt, eines hab ich behalten, eines hat meine Mutter gekriegt und das war schon, das ist, das ist Wahnsinn, wenn man sechs Jahre an so was arbeitet und dann ist es plötzlich da, dann weiß man, was man geschafft hat, aber auch gleichzeitig, was man verloren hat, dass es weg ist, wenn man jeden Tag damit aufsteht und damit ins Bett geht, dann ist es weg, das war auch noch mal so eine ganze Zeit lang das berühmte Loch, eine Identitätskrise, ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich bin.“