"Die Stimmung ist bedrückt"
Angesichts der drohenden Staatspleite hält der Deutsch-Grieche Christian Elissavitis Lilge quasi alle Menschen von der Krise im Heimatland seiner Mutter betroffen. Es gebe ein "sehr starkes Gefühl von Angst und Machtlosigkeit", sagt Elissavitis Lilge.
Nana Brink: Heute wird es in Griechenland wieder neue Streiks geben, während man auf EU-Ebene an einer Lösung bastelt, um die drohende Pleite im Juli abzuwenden. Diesmal sind es nicht nur die Gewerkschaften oder links gerichtete Gruppen, die zum Generalstreik rufen, sondern eine über das Internet organisierte Bewegung namens "empörte Bürger", und empört geben sich derweil auch viele Bürger in Deutschland, die um ihre Steuergelder fürchten.
Bei uns im Studio ist jetzt einer, der in beiden Welten sozusagen zu Hause ist, also sowohl in Griechenland wie auch in Deutschland. Es ist der Möbeltischler und Designer Christian Elissavitis Lilge. Seine Mutter ist Griechin, und er selbst ist erst vor Kurzem von einem langen Aufenthalt aus Griechenland zurückgekehrt. Einen schönen guten Morgen!
Christian Elissavitis Lilge: Schönen guten Morgen.
Brink: Wie ist denn die Stimmung in Griechenland?
Lilge: Die Stimmung ist bedrückt. Es gibt sehr viel internen Stress, also Stress, der sich sozusagen durch alle Schichten zieht, sowohl auf der ländlichen Ebene als auch in den Großstädten. Es gibt auch ein sehr starkes Gefühl von Angst und Machtlosigkeit. Die Leute sind sehr aufgeregt, in Aufruhr und wissen nicht wirklich, was passiert.
Brink: Haben Sie das in Ihrem persönlichen Bereich auch ganz hautnah erlebt?
Lilge: Ja. Es betrifft zum Beispiel meine Eltern, weil beide sind Rentner, und das ist sozusagen auch das Erste, was gekürzt wurde: die Renten. Insofern wird es auch da diskutiert, dass der Staat jetzt versucht, möglichst Geld flüssig zu machen, und eben das, wo er auch die Kontrolle drüber hat, und dazu gehören eben tatsächlich die Renten.
Brink: Es gehen ja jetzt ganz viele Leute auf die Straße, also nicht mehr nur die von Gewerkschaften oder linken Gruppierungen. Gehen wirklich sozusagen quer durch die Gesellschaft die Menschen auf die Straße? Ist dieser Punkt erreicht?
Lilge: Ja. Während die letzten Jahrzehnte Griechenland sehr stark parteipolitisch geprägt war, dass die Parteien Demonstrationen organisierten und dass es sozusagen aus den Parteien heraus Bewegungen gab, mal für die Regierung, mal gegen die Regierenden, mal die Opposition gegen die regierende hin und her, also es war vor allen Dingen parteipolitisch geprägt, ist es jetzt so, dass alle auf die Straße gehen und dass vor allen Dingen, ganz wichtig, es geht jetzt nicht mehr um Parteipolitik. Die Linken, die Rechten, alle Fraktionen sind auf der Straße. Und es ist auch ganz wichtig für die Organisationen, die sich vorwiegend in Thessaloniki und auch am Syntagma-Platz, also vor dem Athener Parlament versammeln, dass diese Organisationen nicht parteipolitisch gesteuert sind.
Brink: Was macht denn diese Wut aus?
Lilge: Die Wut kommt, weil es alle betrifft. Früher war es so, da war klar, dass die Partei, die gerade an der Regierung ist, ihre Naheliegenden versorgt. Die PASOK-Angehörigen, das sind die Sozialisten, die haben in der Zeit ihre Leute versorgt, dann war die Nea Demokratia wieder an der Macht, die hat dann ihre Leute versorgt. Es gab so eine Mentalität, na ja, halten wir mal vier Jahre die Füße still, danach sind wir wieder dran. Alle versorgten sich gegenseitig ein bisschen.
Jetzt ist es so, dass es nicht mehr nur die Leute betrifft, die organisiert sind oder nicht, sondern es betrifft alle. Man kann nicht mehr die Schuld einem in die Schuhe schieben. Fakt ist, dass die letzte Regierung der Nea Demokratia "das Geld aus den Augen verloren hat" und eine große Schuld an dieser Krise trifft. Dann richtet sich jetzt die Aggression gegen PASOK, also gegen den Ministerpräsidenten Papandreou, weil er jetzt die Sparmaßnahmen anordnet. Es richtet sich auch gegen die kommunistischen Fraktionen, die existieren, die immer anti sind und dagegen. Also im Moment kann man die Dynamik nicht mehr einer Partei zuordnen, sondern jetzt ist das Volk auf der Straße.
Brink: Wie erleben Sie denn als Deutsch-Grieche diese Krise?
Lilge: Mich macht es betroffen. Mich macht betroffen, dass ich auf der einen Seite das griechische Volk sehr gut verstehen kann mit den Sorgen. Auf der anderen Seite, wenn ich nach Deutschland komme, habe ich das Gefühl, dass man eine ganz andere Sicht auf die Probleme hat. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass man für die Situation jetzt Verständnis entwickelt und nicht nur auf der Suche nach der Schuld ist oder dem Schuldigen.
Brink: Was meinen Sie mit Verständnis? Verständnis für die Situation der Griechen?
Lilge: Was ich damit meine ist, dass ich das Gefühl habe, dass es zwei Seiten der Betrachtung gibt. Von hier aus wird auf das Geld geguckt und der Bürger, also das Volk wird außer Acht gelassen. Tatsächlich ist es so, dass die Griechen jetzt in Griechenland sehr starke Probleme haben, und dabei werden sensible Ebenen berührt und missachtet. Also ich plädiere für mehr Verständnis für die Sorgen der Bürger, als so sehr für die Sorge um das Geld. Nicht jeder Grieche sitzt nur am Strand und genießt die Sonne.
Brink: Aber es ist ja unstrittig, dass viele Dinge auch schief laufen in Griechenland. Was läuft denn Ihrer Meinung nach schief?
Lilge: Was schon immer schief gelaufen ist: Es gibt sozusagen kein Staatsbewusstsein. Es gibt zwar einen Patriotismus, aber es gibt nicht die Unterstützung des Staates als praktisch notwendiges Organ. Die Griechen selbst als Kultur wurden über die letzten Jahrtausende immer wieder vom Staat beschissen. Die Bevölkerung misstraut dem Staat, und so gibt es kein Staatsbewusstsein in der Bevölkerung aufgrund der Geschichte, und das ist sehr schwierig. Jetzt misstraut das Volk auch dem Staat.
Brink: Der Deutsch-Grieche Christian Elissavitis Lilge, Möbeltischler und Designer in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.
Bei uns im Studio ist jetzt einer, der in beiden Welten sozusagen zu Hause ist, also sowohl in Griechenland wie auch in Deutschland. Es ist der Möbeltischler und Designer Christian Elissavitis Lilge. Seine Mutter ist Griechin, und er selbst ist erst vor Kurzem von einem langen Aufenthalt aus Griechenland zurückgekehrt. Einen schönen guten Morgen!
Christian Elissavitis Lilge: Schönen guten Morgen.
Brink: Wie ist denn die Stimmung in Griechenland?
Lilge: Die Stimmung ist bedrückt. Es gibt sehr viel internen Stress, also Stress, der sich sozusagen durch alle Schichten zieht, sowohl auf der ländlichen Ebene als auch in den Großstädten. Es gibt auch ein sehr starkes Gefühl von Angst und Machtlosigkeit. Die Leute sind sehr aufgeregt, in Aufruhr und wissen nicht wirklich, was passiert.
Brink: Haben Sie das in Ihrem persönlichen Bereich auch ganz hautnah erlebt?
Lilge: Ja. Es betrifft zum Beispiel meine Eltern, weil beide sind Rentner, und das ist sozusagen auch das Erste, was gekürzt wurde: die Renten. Insofern wird es auch da diskutiert, dass der Staat jetzt versucht, möglichst Geld flüssig zu machen, und eben das, wo er auch die Kontrolle drüber hat, und dazu gehören eben tatsächlich die Renten.
Brink: Es gehen ja jetzt ganz viele Leute auf die Straße, also nicht mehr nur die von Gewerkschaften oder linken Gruppierungen. Gehen wirklich sozusagen quer durch die Gesellschaft die Menschen auf die Straße? Ist dieser Punkt erreicht?
Lilge: Ja. Während die letzten Jahrzehnte Griechenland sehr stark parteipolitisch geprägt war, dass die Parteien Demonstrationen organisierten und dass es sozusagen aus den Parteien heraus Bewegungen gab, mal für die Regierung, mal gegen die Regierenden, mal die Opposition gegen die regierende hin und her, also es war vor allen Dingen parteipolitisch geprägt, ist es jetzt so, dass alle auf die Straße gehen und dass vor allen Dingen, ganz wichtig, es geht jetzt nicht mehr um Parteipolitik. Die Linken, die Rechten, alle Fraktionen sind auf der Straße. Und es ist auch ganz wichtig für die Organisationen, die sich vorwiegend in Thessaloniki und auch am Syntagma-Platz, also vor dem Athener Parlament versammeln, dass diese Organisationen nicht parteipolitisch gesteuert sind.
Brink: Was macht denn diese Wut aus?
Lilge: Die Wut kommt, weil es alle betrifft. Früher war es so, da war klar, dass die Partei, die gerade an der Regierung ist, ihre Naheliegenden versorgt. Die PASOK-Angehörigen, das sind die Sozialisten, die haben in der Zeit ihre Leute versorgt, dann war die Nea Demokratia wieder an der Macht, die hat dann ihre Leute versorgt. Es gab so eine Mentalität, na ja, halten wir mal vier Jahre die Füße still, danach sind wir wieder dran. Alle versorgten sich gegenseitig ein bisschen.
Jetzt ist es so, dass es nicht mehr nur die Leute betrifft, die organisiert sind oder nicht, sondern es betrifft alle. Man kann nicht mehr die Schuld einem in die Schuhe schieben. Fakt ist, dass die letzte Regierung der Nea Demokratia "das Geld aus den Augen verloren hat" und eine große Schuld an dieser Krise trifft. Dann richtet sich jetzt die Aggression gegen PASOK, also gegen den Ministerpräsidenten Papandreou, weil er jetzt die Sparmaßnahmen anordnet. Es richtet sich auch gegen die kommunistischen Fraktionen, die existieren, die immer anti sind und dagegen. Also im Moment kann man die Dynamik nicht mehr einer Partei zuordnen, sondern jetzt ist das Volk auf der Straße.
Brink: Wie erleben Sie denn als Deutsch-Grieche diese Krise?
Lilge: Mich macht es betroffen. Mich macht betroffen, dass ich auf der einen Seite das griechische Volk sehr gut verstehen kann mit den Sorgen. Auf der anderen Seite, wenn ich nach Deutschland komme, habe ich das Gefühl, dass man eine ganz andere Sicht auf die Probleme hat. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass man für die Situation jetzt Verständnis entwickelt und nicht nur auf der Suche nach der Schuld ist oder dem Schuldigen.
Brink: Was meinen Sie mit Verständnis? Verständnis für die Situation der Griechen?
Lilge: Was ich damit meine ist, dass ich das Gefühl habe, dass es zwei Seiten der Betrachtung gibt. Von hier aus wird auf das Geld geguckt und der Bürger, also das Volk wird außer Acht gelassen. Tatsächlich ist es so, dass die Griechen jetzt in Griechenland sehr starke Probleme haben, und dabei werden sensible Ebenen berührt und missachtet. Also ich plädiere für mehr Verständnis für die Sorgen der Bürger, als so sehr für die Sorge um das Geld. Nicht jeder Grieche sitzt nur am Strand und genießt die Sonne.
Brink: Aber es ist ja unstrittig, dass viele Dinge auch schief laufen in Griechenland. Was läuft denn Ihrer Meinung nach schief?
Lilge: Was schon immer schief gelaufen ist: Es gibt sozusagen kein Staatsbewusstsein. Es gibt zwar einen Patriotismus, aber es gibt nicht die Unterstützung des Staates als praktisch notwendiges Organ. Die Griechen selbst als Kultur wurden über die letzten Jahrtausende immer wieder vom Staat beschissen. Die Bevölkerung misstraut dem Staat, und so gibt es kein Staatsbewusstsein in der Bevölkerung aufgrund der Geschichte, und das ist sehr schwierig. Jetzt misstraut das Volk auch dem Staat.
Brink: Der Deutsch-Grieche Christian Elissavitis Lilge, Möbeltischler und Designer in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.