Die Stimme des Kreml

Von Thomas Franke |
"Govorit Moskwa" - "Hier spricht Moskau". So wurden im Krieg die Mitteilungen Stalins oder 1961 der Raumflug Jurij Gagarins eingeleitet. Und auch heute noch kündigt sich so der Kreml an. Seit 1968 gehört die Stimme dazu Jewgenij Choroschewzew. Thomas Franke hat ihn getroffen.
"Es spricht Moskau. Sehen Sie die Siegesparade auf dem Roten Platz"."

11.000 Soldaten stehen vor dem Kreml. Sie warten auf den Beginn der Militärparade. Um Punkt zehn ist es soweit.

""Massenvorstellungen sind ein anderes Genre als im Radio, wo der Hörer vor dem Apparat sitzt und dir zuhört. Da kann man auch vertraulich sprechen. Bei so einer Parade dagegen marschieren 11.000 Soldaten und rufen Bravo. Deshalb sage ich Po krasnoj ploschadi... tatata, tatata taratata...
Man muss die Leute animieren."

Jewgenij Choroschewzew kündigt die Truppenparade auch heute noch genau so an, wie sein Vorgänger Jurij Lewitan:

Archiv-Ton: "Levitan, Kennung Moskau ... Achtung, hier spricht Moskau. Eine Erklärung der sowjetischen Regierung."

"”Ot sovetskogo informbjuro...
In der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember sind die sowjetischen Truppen in schweren Kämpfen zurückgewichen von den gestellten... usw, da hat er mitgefühlt. Und als der Sieg kam, hat er gesagt: Vosmogo maja tysjacha...""

Archiv-Ton vom 8. Mai 45: "Vosmogo maja tysjatscha ... Am 8. Mai 1945 wurde in Berlin von den Vertretern des Oberkommandos die Akte der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterschrieben. Ewiger Ruhm den Helden, die im Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind. Es lebe die siegreiche Rote Armee und die Flotte. Marschal der Sowjetunion, Stalin."

Choroschewzew ist eigentlich Radioregisseur. Als junger Regisseur wagte er es, im Studio den großen Levitan, die Stimme der Stalinzeit, zu korrigieren. Levitan hörte Choroschewzew, wusste, das ist der Nachfolger.

"Das war Zufall. Wir haben damals die Losungen der KPdSU für die Demonstrationen am ersten Mai aufgezeichnet:
Da zdravstvuet pervoe maja, den mezhdunarodnoj solidarnosti trudjashichsja v borbe protiv imperializma, za mir, demokratiu i sozialism, urra!
Und der ganze Platz antwortete uns. Und er meinte dann: Du korrigierst mich die ganze Zeit, lies doch mal selbst. Ich war einverstanden. Ich war jung und kühn.
Ich ging ins Studio, zeichnete einen Teil dieser Losungen auf und als ich raus kam, meinte er: Von jetzt an werde ich bis ans Ende meines Lebens alle Demonstrationen auf dem Roten Platz nur mit dir sprechen. So kam es."

Das war in den 60ern. Seit 1968 ist Choroschewzew der Zeremonienmeister des Kreml. Er hat Breschnew präsentiert, Andropow, Tschernenko, Gorbatschow, Jelzin, Putin und Medwedew. Zum Interview erscheint er in Jogginghose und T-Shirt und setzt sich umgekehrt auf den Stuhl, die Lehne nach vorn. So sei es bequemer.

"Wir halten uns immer an die Traditionen. Wie Josef Wissarionowitsch Stalin mal gesagt hat: 'Wir haben es nicht geschaffen, also ist es auch nicht an uns, es abzuschaffen.' Dieses damalige Glühen des sowjetischen Klangs unterscheidet sich wenig von dem, was jetzt passiert. Da spielt die Politik keine Rolle, sondern es geht um das Ereignis, das da passiert. Eine Auszeichnung, eine Aushändigung von Urkunden."

Erst in diesem Frühjahr wieder. Präsident Putin hat den Orden Held der Arbeit wieder eingeführt. Choroschewzew ist dann dabei.

"Ich werde nächstes Jahr 70. Ich versuche, mich zu halten. Wenn man sich gehen lässt, ist das ja das Ende."

Er sei unpolitisch, sagt Choroschewzew, genau wie sein Beruf. Doch Putin sei ihm der Liebste von allen. Derzeit sucht Choroschewzew einen Nachfolger. Damit der Kreml auch in Zukunft klingt wie der Kreml.

"Die Stimme muss man wie jedes Musikinstrument stimmen. Auf unterschiedliche Weise. Mit Stimmübungen: mimimimi... Zweitens, damit die Stimmbänder und der Nasenrachenraum immer in Ordnung sind, trinke ich seit vielen Jahren kaltes Wasser. So kriegt man niemals einen Schnupfen. Denn das wäre ja schlimm: Govorit Moskwa zum Beispiel."
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