Die Stille, die Leere und das Nichts

Von Rudolf Schmitz |
Um das Nichts in der Kunst präsentieren zu können, hat die Schirn Kunsthalle zum Beispiel einen weißen Fußboden als Schneelandschaft entworfen. Außerdem gibt es ein gerahmtes weißes Blatt Papier mit dem Titel "1000 Hours of Staring". "Nichts" ist eine überaus entspannende Ausstellung mit einer Prise Ironie.
Sie brauchen nicht lange zu rätseln, was das hier ist: Furzgeräusche des englischen Künstlers Martin Creed. Das ist derjenige, der den Turnerpreis dafür gewann, dass er einen Raum zeigte, in dem das Licht an- und ausging. Die Kunstwelt jubelte, der Betrachter fasst sich an den Kopf: Hier in der Kunsthalle Schirn anlässlich einer kleinen schwarzen Lautsprecherbox, die auf dem Boden steht und anstößig vor sich hin metaboliert.

Das Nichts, die Leere, das Ruhen der Bedeutungen – das ist natürlich ein Ausstellungsprojekt, das zwei Tage nach dem Ende der Fußballweltmeisterschaft die Abseitsfalle aufbaut. Das emotionale Loch, in dem wir versinken, der Jubelentzug, das schmerzlich vermisste Bad in der Menge gleichgerichteter Leidenschaft: Hier wird es auf unerwartete Art zum Thema. Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt:

"Es ist sicherlich eine Reaktion auf die Überfülle, dass wir hier jetzt sozusagen einen Art Rückzug präsentieren, eine ganz andere Form der Wahrnehmung, eine Wahrnehmung, die nicht auf den ersten Blick geschieht, eine Wahrnehmung, die Sie nur mit Konzentration, mit Stille, mit Schweigen exekutieren können, die dann für Sie um so mehr ein neues Sehen, einen neuen Sinneseindruck erzeugt."

Um das Nichts in der Kunst präsentieren zu können, hat die Schirn Kunsthalle eine Schneelandschaft entworfen – alles ist weiß, vom Fußboden bis zur Decke, die Temperatur ist angenehm heruntergefahren. Wo also ist die Kunst? Zunächst einmal in einem Kabinett: Da steht Nam June Paiks zur Seite gedrehter Fernseher, über den lediglich eine konstante weiße Linie läuft. "Zen for TV" heißt diese schon klassische Arbeit aus den frühen Sechzigern, die nur noch getoppt wird durch Joseph Beuys und das Schweigen: vier Filmspulen von Ingmar Bergmanns berühmten Film, vom Meister aus Deutschland in ein Zinkbad getaucht. Jetzt schweigen sie wirklich und für alle Zeiten, die Filmrollen.

Auf der Außenwand dann eine imaginäre Ausstellung: Künstlernamen in regelmäßigem Abstand, sonst nichts. Karin Sander hat die entsprechenden Künstler um ein kleines charakteristisches Tonstück gebeten, der Betrachter kann es mit einem kleinen Audiogerät abrufen:

" O-Ton Kamm "

So versteht John Armleder seine Kunst.

" O-Ton Wasser "

Und das war die Selbstinterpretation vom Maler Herbert Brandl. Heimo Zobernig beschwört einen Geist, der als maulfauler Urvater aller Konzeptkunst hier nicht fehlen darf:

" O-Ton Beschwörung "

Eine überaus entspannende Ausstellung, vor allem weil die Prise Ironie, die spätestens seit den sechziger Jahren derartige Kunststücke begleitet, jeder Bedeutungshuberei strikte Grenzen setzt. Denn was soll man von einem weißen Blatt Papier halten, gerahmt, verglast, Kunstwerk von Tom Friedman? Sein Titel erschließt uns dieses Meisterwerk: 1000 Hours of Staring. 1000 Stunden hat der Künstler angeblich auf dieses Blatt gestarrt und die Inspiration wollte einfach nicht kommen. Ein ganz schöner Aufwand, um das Nichts vor Augen zu führen...

Hollein: "Wenn dieser Künstler dieses Werk so gemacht hat, nämlich indem er auf dieses Blatt 1000 Stunden lang geschaut hat, dann ist es sicherlich einer der aufwändigsten Prozesse in der heutigen zeitgenössischen Kunst, denn zeitgenössische figurative Maler brauchen viel kürzer, um ein Bild zu malen."

Eine schöne zuschauerfeindliche Pointe bietet die Installation von Jeppe Hein. Da gibt es eine weiße Box, deren Innenraum von einem Bewegungsmelder überwacht wird. Wer neugierig hineingeht, kann sich nur noch als Störfall verstehen.

Dieser Künstler hütet das Nichts und die Leere eifersüchtig wie einen Schatz, der nur ihm gehören soll. Eine angenehme, eine witzige, eine originelle Ausstellung. Und wer sich wundert, wie viel Aufwand und wie viel Gerede nötig ist, um das Thema der Stille, der Leere und des Nichts aufzubereiten, sei getröstet: das ist nun mal unser aller Los inmitten der Kommunikationsgesellschaft. Die Schirn Kunsthalle versucht diesem Dilemma mit sakraler Atmosphäre zu begegnen. Und so beginnt man tatsächlich, sich über die eigenen Fußspuren zu ärgern, die man auf dem weißen Fußboden der Kunsthalle hinterlässt.

Service:

Die Ausstellung "Nichts" ist vom 12. Juli bis 1. Oktober 2006 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.