"Die Steuereinnahmen werden sich sehr ungünstig entwickeln"

Peter Bofinger im Gespräch mit Gabi Wuttke · 14.05.2009
Der Volkswirtschaftler Peter Bofinger hält Panikszenarien angesichts der derzeitigen negativen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland für übertrieben. Für Steuersenkungen gebe es aktuell keinen Spielraum, sagte Bofinger.
Gabi Wuttke: Man will seinen Augen und Ohren nicht trauen: 320 Milliarden Euro. 320 Milliarden Euro weniger Steuern als noch im November errechnet. Details für die nächsten viere Jahre werden die Steuerschätzer heute auf den Tisch legen. Sind wir noch zu retten? Ja, meint der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. In seinem neuen Buch über einen starken Staat erklärt der Volkswirtschaftler, dazu brauche man allerdings finanzielle Ressourcen. Guten Morgen, Herr Professor Bofinger.

Peter Bofinger: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Woher soll der deutsche Staat noch Geld nehmen und nicht stehlen?

Bofinger: Wir haben jetzt sicher eine schwierige Zeit. Die Steuereinnahmen werden sich sehr ungünstig entwickeln, aber da ist es ja wichtig, dass man zunächst mal versucht, die Basis zu stabilisieren. Und aus meiner Sicht heißt das, es gibt überhaupt keinen Spielraum für Steuersenkungen. Wir müssen versuchen, die Ressourcen, die der Staat hat, zu sichern, damit er auch in den nächsten Jahren seine Aufgaben wahrnehmen kann.

Wuttke: Sie fordern in Ihrem Buch ja ein rationaleres Verhältnis zur Staatsverschuldung. Was stellen Sie sich darunter vor?

Bofinger: Ich glaube, wir sollten erkennen, dass die Entwicklung, die wir im Augenblick erleben, zwar ein Problem ist, dass der Schuldenstand bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt steigt, von etwa 65 Prozent im Jahr 2008 auf wahrscheinlich 80 Prozent Ende des Jahres 2010, dass es aber auch keine Katastrophe ist. Das heißt, der deutsche Staat ist weit davon entfernt, ein Krisenfall zu sein. Wir liegen damit deutlich unter den Werten von Ländern wie beispielsweise Japan, die bei 170 Prozent sind, oder Belgien, die bei 100 Prozent sind. Aber der deutsche Staat hat auch breite Schultern, und das ist ja auch gut so, dass wir uns drauf verlassen können, dass die Belastungen, die nun mal zwangsläufig aus der Finanzwirtschaft kommen, dass die unseren Staat nicht aus der Kurve werfen, dass wir also sicher sein können, dass der Wert unserer Ersparnisse, unserer Lebensversicherungen gesichert ist.

Wuttke: Ich finde Sie unglaublich optimistisch. Haben Sie Peer Steinbrück das alles schon gesagt und ihn dazu gebracht, sich ruhig zurückzulehnen?

Bofinger: Nein, es ist sicher falsch, in der Situation sich zurückzulehnen, aber auf der anderen Seite, glaube ich, ist es falsch, was im Augenblick jetzt ja die Runde macht, dass die Menschen Angst haben vor einer Währungsreform, dass sie Angst haben vor der Inflation. Das sind einfach panikartige Szenarien, für die es überhaupt keine ökonomische Rechtfertigung gibt.

Wuttke: Was aber sollte denn die Politik tun? Tut sie Ausreichendes, um die Balance zwischen Markt und Staat wiederherzustellen?

Bofinger: Also die Politik hat sicher gut reagiert in der Krise, sie hat vielleicht etwas spät teilweise und manchmal auch etwas widerwillig reagiert. Die Frage ist, wie es weitergeht, wenn die Krise vorbei ist, ob man dann wieder in alte Muster zurückfällt. Und wenn ich jetzt eben erlebe, dass Steuersenkungen wieder ganz im Vordergrund stehen, dann wäre das eben ein Beleg dafür, dass die Politik eben nicht gelernt hat, dass wir eine bessere Balance zwischen Markt und Staat in den nächsten Jahren brauchen.

Wuttke: Wenn man sich anguckt, was in den letzten Monaten seit der Lehman-Pleite passiert ist, dann müssen wir feststellen, dass wenn es irgendwo Gewinne gibt, dann werden sie weiter privatisiert und die Verluste werden auch weiter sozialisiert?

Bofinger: Na ja, so ganz kann man es, glaube ich, auch nicht sehen, denn wenn Sie mal überlegen, wie viel Vermögen die Menschen verloren haben, die jetzt Bankaktien gehalten haben, und im Extremfall, wenn sie Lehman-Aktien gehalten haben, sind die gar nichts mehr wert. Das heißt, es ist schon so, dass die Eigentümer von Banken ganz massiv Vermögen verloren haben. Geschützt wurden die Kreditgeber von Banken.

Und da meine ich, ist es auch gut, dass man sie geschützt hat, denn das sind ja oft Institutionen, die wiederum dann als Lebensversicherung, als Sparkassen, als Volksbanken die Spareinlagen einer breiten Bevölkerung halten. Und da wäre es ausgesprochen problematisch gewesen, wenn man hier sich ähnlich verhalten hätte, wie man das ja bei Lehman gemacht hat. Und ich glaube, das war einfach der falsche Weg.

Wuttke: Ich möchte trotzdem noch mal irgendwie für den Normalmenschen sprechen. Ich habe immer das Gefühl, ich habe ja in den letzten Monaten einige Gespräche zu dieser Finanz- und Wirtschaftskrise geführt, wir reden auch über die armen Aktionäre und die Banken, die ja durchaus auch dazugelernt haben. Was ist mit den Menschen, die um ihre Arbeitsplätze bangen müssen? Was ist mit den Menschen, die niemals in einem Maße über Spareinlagen verfügt haben, dass sie sagen könnten, na gut, ist nicht schön gewesen, aber muss ich jetzt abschreiben? Wo befindet sich sozusagen die Basis der Gesellschaft in all diesen Überlegungen?

Bofinger: Es geht natürlich mittelfristig darum, wie wirkt sich dieses marktwirtschaftliche System aus in Bezug auf die Menschen. Und meine Diagnose ist, dass eben die durchschnittlichen Arbeitnehmer und auch gerade vielleicht die, die etwas schwächer gestellt sind, in diesem Jahrzehnt ganz eindeutig auf der Schattenseite der Entwicklung gestanden haben und dass das auch sich sehr negativ ausgewirkt hat auf die Zustimmung vieler Menschen zur Demokratie und zur Marktwirtschaft. Und deswegen bin ich überzeugt, und das ist eine der zentralen Aussagen meines Buches, dass wir in dieser Hinsicht versuchen müssen, das nächste Jahrzehnt besser zu gestalten dahingehend, dass wir wieder Wirtschaftsprozesse bekommen, dass wir die Wirtschaftsprozesse so kanalisieren, dass wir einen Wohlstand für alle erreichen, so wie das Ludwig Erhard vorschwebte und so, wie er das auch realisieren konnte.

Wuttke: Das wird die Bundeskanzlerin zu hören freuen und auch Frank-Walter Steinmeier. Aber Sie fordern ja eben auch, dazu müsse die Politik mehr Transparenz zeigen.

Bofinger: Na ja, eine wichtige Änderung, die wir brauchen, ist, dass wir wieder mehr Zustimmung der Bürger zu diesem Staat benötigen. Wir haben ja im letzten Jahrzehnt doch eine ganz erhebliche Entfremdung erlebt – die Bürger sehen den Staat als Monster, der ihr Geld verschwendet –, und ich glaube, es wäre sehr wichtig, dass der Staat den Bürgern in einer Art und Weise, die sie auch nachvollziehen können, Rechenschaft ablegt, was er eigentlich mit dem Geld macht, das er von ihm bekommt.

Und ich glaube, die Menschen würden sehen, dass ein Großteil des Geldes, das beim Staat landet, wieder zurückkommt an Menschen, und zwar an Menschen, die das meistens auch benötigen, weil sie arm sind, weil sie krank sind, oder eben auch an junge Menschen, die damit eine Ausbildung und ihre Zukunft finanziert bekommen.

Wuttke: Ich sehe quasi, wie man auf Ihren Vorschlag reagiert: Man macht eine Kommission, eine Unterkommission, und in zwei Legislaturperioden könnten wir ernsthaft drüber reden.

Bofinger: Also, als Ökonom muss man immer etwas frustrationstolerant sein, man muss immer wieder neu und frisch mit Vorschlägen versuchen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dann muss man einfach mal sehen, was passiert.

Wuttke: Peter Bofinger, Volkswirtschaftler und einer von fünf Wirtschaftsweisen im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herr Bofinger, vielen Dank und viel Erfolg!

Bofinger: Ja, vielen Dank!