Die Shuttle-Story

Von Dirk Lorenzen · 03.07.2011
Am kommenden Freitag ist es so weit: Dann startet die US-Raumfähre Atlantis ins All. Der 135. Flug eines Space Shuttle wird zugleich der letzte Einsatz einer Raumfähre sein.
Fünf dieser Shuttle hat die NASA ins All fliegen lassen: Die Columbia, Challenger, Endeavour, Discovery und eben die Atlantis. Zwei Raumfähren, die Columbia und die Challenger, sind verunglückt. Die anderen drei sind demnächst in Museen zu sehen.

Nasa-Kommentator: "”Space shuttle Discovery is now on its final approach to the Kennedy Space Center, just thirty seconds to go ...""

Es war der Anfang vom Ende der Shuttle-Ära, als die Raumfähre Discovery im März dieses Jahres zum letzten Mal das Kennedy Space Center angesteuert hat.

"Discovery’s gear is down and locked ..."

Der Kommentator der US-Weltraumbehörde NASA bemühte sich um eine sachliche Schilderung des Landeanflugs, etwa beim Ausklappen des Fahrwerks.

"main gear touch down ... the parachute is being deployed ..."

Die Räder setzten auf und der Bremsfallschirm öffnete sich. Und als das Bugrad den Boden berührt hatte, konnte auch der NASA-Kommentator eine gewisse Rührung nicht verbergen.

"nose gear touch down ... and the end of a historic journey and to the ship that has led the way time and time again we say fare well Discovery."

Es sei das Ende einer historischen Reise. Dem Raumschiff, das der NASA immer und immer wieder den Weg gewiesen habe, sage man nun ‘Mach’s gut, Discovery!’ Vielen NASA-Mitarbeitern standen beim Anblick der ausrollenden Raumfähre Tränen in den Augen.

"And Houston, Discovery for the final time, wheels stopped."

Die Räder stehen still, so lautete der letzte Funkspruch aus dem Cockpit der Discovery. Es war das Ende einer Dienstfahrt – und das erste Ausmustern einer der verbliebenen Raumfähren. In drei Jahrzehnten sind die Shuttle 135 mal ins All geflogen. Sie haben viel erreicht – und dennoch die hoch gesteckten Erwartungen weit verfehlt.

Der Beginn

Nachricht:
"5. Januar 1972. US-Präsident Richard Nixon verkündet die Entwicklung eines neuen wieder verwendbaren Raumfahrtsystems. Der Space Shuttle ist nicht für Flüge zum Mond oder gar zum Mars geeignet, sondern dient allein für Reisen in die Erdumlaufbahn."

Das Apollo-Programm der bemannten Mondflüge und Planungen für mögliche Marsmissionen wurden kurzerhand gestoppt. Die NASA begann mit einer völlig neuen Entwicklung - ein Bruch, den im Blick zurück viele für einen Kardinalfehler im amerikanischen Raumfahrtprogramm halten. Bei den Anhörungen zum Shuttle-Programm im US-Kongress war neben Wernher von Braun auch der Raumfahrtstratege Klaus Heiss beteiligt.

"Das war wirklich eine Tragödie. Damals hat man Probleme gesehen, finanzielle, Vietnam-Krieg oder Mond und dann später vielleicht weiter hinaus. Ich glaube, es war eine grundsätzlich falsche Entscheidung. Ich war im Shuttle-System sehr stark involviert, auch Konfiguration ausgewählt und so weiter. Seither ist viel, viel daneben gegangen. Man hat nicht fortgesetzt was kann ich machen am Mond und was kann ich darüber hinaus machen."

Der Space Shuttle, der Weltraumpendler, sollte wieder verwendbar sein und so die Kosten für Raumflüge drastisch senken: Der Start erfolgte senkrecht wie bei einer normalen Rakete, die Landung hingegen wie ein Flugzeug. Die Raumfähren sollten unter anderem Skylab versorgen – die Weltraumstation, die die NASA aus Resten der Mondraketen gebaut hatte. Skylab kreiste ab 1973 um die Erde, doch ein Shuttle hat diese Station nie angeflogen.

Der erste Rückschlag

Nachricht:
"11. Juli 1979. Das amerikanische Weltraumlabor Skylab ist heute Abend in die Atmosphäre eingetreten und größtenteils über dem Indischen Ozean verglüht. Einige Trümmer sind in die Wüste Australiens gestürzt. Ursprünglich hatte eine US-Raumfähre das Raumlabor auf eine höhere Umlaufbahn hieven und so vor dem Absturz bewahren sollen."

Die Entwicklung der Raumfähren hatte länger gedauert als erwartet. Plötzlich waren die Weltraumpendler ohne Ziel im All. Immerhin gelang am 12. April 1981 der Jungfernflug der Raumfähre Columbia - genau 20 Jahre nachdem Juri Gagarin als erster Mensch in den Weltraum gereist war. Zwei Tage später klappte auch die Rückkehr zur Erde. Weitere Raumfähren nahmen den Dienst auf und die Reisen ins All wurden fast zur Routine.

"twenty-five ... system activated ... fifteen ... t minus ten, nine, eight, seven, six, five, four ... Jetzt, man sieht den Dampf hoch kommen ... three, two ...... one and lift-off ..."

"Jetzt sieht man das Ganze hochkommen. Wahnsinn. Zack. Da geht er hoch. Aber man hört noch nichts. Man sieht es nur groß aufsteigen Jetzt kommt der Schall an. Es dreht sich leicht zur Seite weg. Es geht nach hinten weg, jetzt in der Rücklage. Man kann kaum in den Feuerstrahl gucken. So hell ist das Ganze ...""

Selbst fünf Kilometer von der Startrampe in Cape Canaveral entfernt bebt der Boden: So klingt es, wenn sich ein Shuttle durch die Atmosphäre stemmt. 1984 flog so auch das in Deutschland gebaute Spacelab zum ersten Mal ins All – ein Forschungslabor, das im Frachtraum des Shuttle untergebracht war. Ernst Messerschmid war einer der Wissenschaftsastronauten an Bord der Raumfähre Challenger.

"Am Anfang in den ersten zweieinhalb Minuten kommt der Hauptschub durch die Feststoffraketen. Und dieser Abbrand ist relativ unregelmäßig und es gibt dann nicht nur Beschleunigung in der Richtung nach oben, sondern auch seitlich. Das hat mich an meine Schülerzeit erinnert: Da bin ich immer mit der Stuttgarter Straßenbahn, deren Schienen damals nicht so gut verlegt waren, durch die Stadt gekurvt und das waren eben auch diese seitlichen Schläge, die ich da wahr nahm.

Nach zweieinhalb Minuten werden die Feststoffbooster abgesprengt und dann geht es, um auch wieder im Bild zu sprechen, wie auf einer Nähmaschine weiter. Ein hoher säuselnder Ton, aber einer relativ ruhige Beschleunigung, allerdings mit einem großen Schub, bis zu 3g."

Gut acht Minuten nach dem Start ist der Shuttle in der Umlaufbahn. Dort oben kann eine Raumfähre höchstens vierzehn Tage lang bleiben. Danach sind die Vorräte an Energie, Wasser und Luft erschöpft. Die Shuttle-Flüge dienten oft nicht wissenschaftlichen Zwecken, sondern es ging schlicht um das Aussetzen von Satelliten oder – sehr selten – deren Reparatur im All. Etliche Missionen erfolgten im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums.

Die Katastrophe

Am Morgen des 28. Januar 1986 herrschten am Kennedy-Weltraumzentrum in Florida frostige Temperaturen. Die NASA entschied sich dennoch, die Raumfähre Challenger zu starten. An Bord befand sich mit Christa McAuliffe eine Lehrerin, die aus dem All Unterricht erteilen und so den Kindern die Faszination des Weltraums vermitteln sollte. Harro Zimmer berichtet live für RIAS Berlin:

"Die Challenger steigt hier klar auf, wir sehen in Weitwinkelaufnahmen das Abtrennen der großen Triebwerke ... in einer gewaltigen Explosion ... sind die Triebwerke hier beiseite geflogen ... wir müssen mal eine Sekunde beobachten was passiert, ... es sieht sehr seltsam aus ... lassen sie mich auf den Bildschirm schauen, es gab so etwas wie eine Detonation eines der beiden Triebwerke ... aber noch ... ist hier nichts ... Negatives ... ich muss mal hören ... Es ist hier ein Problem aufgetreten, wir sollten mal eine Sekunde dran bleiben ... "

73 Sekunden nach dem Start hatte plötzlich eine gewaltige Rauchwolke die Raumfähre eingehüllt. Danach fielen nur noch Trümmer vom Himmel herab. Der geschockte NASA-Kommentator sprach zunächst nur von einer ‘offensichtlich größeren Fehlfunktion’.

"”we have the report from the flight dynamics officer that the vehicle is exploded""

Harro Zimmer: " ... die Challenger ist explodiert, die Challenger ist explodiert, und wir wissen nicht, ... das Notrettungssystem hat versagt ... wir stehen vermutlich ... vor der größten Katastrophe ... der bemannten Raumfahrt."

Mit einem Schlag hatte sich die Verwundbarkeit des Systems gezeigt und die Starts wurden ausgesetzt. Jetzt war für jedermann ersichtlich, dass der Shuttle zu kompliziert, zu fehleranfällig und vor allem viel zu teuer war.

Statt etwa zehn Millionen Dollar pro Flug, wie einige einst sehr euphorisch gehofft hatten, kostete ein Flug mehrere hundert Millionen Dollar. Die Wiederverwendbarkeit erwies sich als teurer Etikettenschwindel. Mangels Alternative nahm die NASA zweieinhalb Jahre nach der Challenger-Katastrophe die Flüge wieder auf.

Der Triumph

In den folgenden knapp fünfzehn Jahren war der Shuttle ein zuverlässiges Arbeitspferd, das Forschungssatelliten ins All brachte und schließlich sogar die russische MIR-Station und später die Internationale Raumstation ISS ansteuerte.

Ohne den Shuttle wäre das Hubble-Weltraumteleskop längst Geschichte. Hubble hat die Erforschung des Weltraums so stark geprägt wie kein Teleskop zuvor. Fünfmal haben Astronauten das legendäre Observatorium in der Umlaufbahn repariert und technisch überholt.

Kein anderes bemanntes Raumschiff hätte solche Missionen durchführen können. Etwa fünfmal im Jahr startete in jener Zeit eine Raumfähre ins All. Doch die Flugroutine wurde wieder jäh unterbrochen.

Die Tragödie

Funkverkehr Mission Control-Columbia, Nasa-Sprecher, George W. Bush:
"And Columbia, Houston. We see you tire pressure messages, and we do not copy your last."
"Roger, abo ..."
"This is mission control Houston. A space shuttle contingency has been declared."
"At nine o’clock this morning, mission control in Houston lost contact with their space shuttle Columbia. There are no survivors."

Nachricht:
1. Februar 2003. Die US-Raumfähre Columbia ist beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander gebrochen und mit sieben Astronauten an Bord verglüht. Die Shuttle-Flüge werden bis auf weiteres ausgesetzt.

Ausgerechnet als der Ausbau der Internationalen Raumstation in vollem Gange war, fielen die Raumfähren erneut aus. Viele Module der ISS blieben erst einmal am Boden – im All herrschte Notbetrieb, zwei Menschen hielten die Stellung auf der Raumstation. Im Januar 2004, knapp ein Jahr nach dem Columbia-Unglück, verkündete US-Präsident George W. Bush das Ende der Shuttle-Ära:

"In 2010, the Space Shuttle – after nearly 30 years of duty – will be retired from service."

Im Jahr 2010, nach fast 30 Dienstjahren, wollte Bush den Shuttle in den Ruhestand schicken. Dass der Präsident nicht das sofortige Ende der Flüge verfügte, hatte einen simplen Grund.

"Our goal is to complete the International Space Station by 2010. We will finish what we have started, we will meet our obligations to our 15 international partners on this project."

Am Boden wartete zu viel Material, das ohne den Shuttle nie zur Raumstation gelangt wäre. Die NASA erfüllte ihre Zusagen an die Partner in aller Welt und brachte unter anderem Europas Raumlabor Columbus zur ISS. Die letzten Reste, die noch zur Raumstation müssen, hat man nun in den Laderaum der Atlantis gepackt. Etwas später als von Bush verkündet steht in wenigen Tagen der letzte Flug einer Raumfähre bevor.

Die Bilanz ist zwiespältig. Der Shuttle hat vierzehn Menschen in den Tod gerissen, vielen anderen aber erst die Reise ins All ermöglicht. Jetzt, da die Raumstation endlich eine Forschungsplattform ist, gibt es großen Bedarf für einen Space Shuttle – doch Endeavour & Co. sind nun ausgemusterte Oldtimer. Die Shuttle-Armada, eine tragische Heldin der Raumfahrtgeschichte!