Die Sehnsüchte der Argentinierinnen

15.08.2008
Die in Berlin lebende Argentinierin María Cecilia Barbetta entwirft in "Änderungsschneiderei Los Milagros" den Mikrokosmos eines "Vier-Frau-Kleinbetriebs" in Buenos Aires. Sie erzählt dabei von den Wünschen und Sehnsüchten junger Frauen und auch davon, wie schlecht sie zu den eher lässigen Lebenskonzepten junger Männer passen.
"Änderungsschneiderei Los Milagros" – der Titel des Romandebüts von María Cecilia Barbetta klingt recht harmlos. Doch das ist nur Tarnung. Die 1972 in Buenos Aires geborene, seit 1996 in Berlin lebende und mittlerweile auf Deutsch schreibende Argentinierin will hoch hinaus. Das sieht man ihrem Roman an, sobald man ihn zur Hand nimmt. Denn er enthält keineswegs nur Buchstaben, Wörter, Sätze. Er schmückt sich auch mit einer Menge Abbildungen, die "Stoffmuster" genannt werden und alles Mögliche darstellen: Stadtpläne, "Baupläne der Feldgliedermuster verschiedener Schmetterlingsgruppen", Lexikonartikel, Kreuzworträtsel, Busfahrkarten, Heiligenbilder, Kunstwerke, Atlanten, Partituren, Comicstrips usw. Das macht neugierig – und auch ein wenig skeptisch: Wird sich der Aufwand lohnen? Oder ist das alles nur Show?

Die junge Mariana Nalo lebt in Buenos Aires und arbeitet in der Änderungsschneiderei ihrer Tante Milagros. Der "Vier-Frau-Kleinbetrieb" schreibt - der Natur der Sache gemäß - "Kundennähe" groß. Auch allerhand andere weibliche Tugenden kommen ausführlich zum Tragen: Gründlichkeit, Einfühlsamkeit, sorgsamer Umgang mit den anvertrauten Kleidungsstücken, reger Austausch aller möglichen Gedanken und Überlegungen bis hin zur Erörterung auch noch des kleinsten Wenn und Aber, Kreativität und Einfallsreichtum. Eines Tages taucht eine junge Frau auf, offensichtlich im gleichen Alter wie Mariana Nalo und von verblüffend ähnlicher Statur. Analía Morán will heiraten und bringt das Brautkleid ihrer Mutter zur Änderung. Es ist aus einem seltenen italienischen Stoff, kostbar bestickt, der Schnitt von edler Zurückhaltung. Milagros Nalo überträgt der Nichte die verantwortungsvolle Arbeit. Und Mariana kniet sich hinein, als gelte es, das eigene Brautkleid zu schneidern mitsamt dem dazu gehörenden Lebensentwurf.

Die Umarbeitung des Brautkleids und die Beziehung der beiden spiegelbildlichen jungen Frauen ist der rote Faden, der die in alle Himmelsrichtungen ausbüxende Romanhandlung zusammenhält. "Änderungsschneiderei Los Milagros" erzählt von den Wünschen und Sehnsüchten junger Frauen und auch davon, wie schlecht sie zu den eher lässigen Lebenskonzepten junger Männer passen.

María Cecilia Barbetta ist zweifelsohne ein großes Talent. Sie nimmt für ihr eigenes Schreiben auf beeindruckende Weise Maß an den ganz Großen der phantastischen Erzähltradition, von Jules Verne, über Julio Cortázar, bis hin zu Jorge Luis Borges. Auch vor Shakespeares "Romeo und Julia" schreckt sie nicht zurück. Der eigentliche Reverenztext aber ist Lewis Carrolls "Alice im Wunderland". Von ihm dürfte sie auch die Vorliebe für Abbildungen übernommen haben. Dass Bücher "ohne Bilder und Gespräche" nutzlos sind, ist bekanntlich eine der Einsichten der zehnjährigen Alice.

Mariana Nalo hat mit 15 ihren Vater verloren, was sie zu ihrer eigenen Verblüffung nicht sehr bekümmert. Ihre Mutter aber erkennt die "männliche Leerstelle" als Katastrophe, allerdings zieht sie daraus eine fatale Konsequenz: sie besetzt den "männlichen Platz in Marianas Kosmos" einfach selbst.

Dass man mit diesem Debütroman bei allem Respekt nicht ganz froh wird, hat wohl damit zu tun, dass sich auch die Autorin eines ähnlichen Verfahrens bedient. Sie will von weiblichen Nöten berichten, aber ihr Ehrgeiz steht dem sprichwörtlich männlichen keineswegs nach. Ihr Roman ist bis an die Zähne bewaffnet mit Literaturwillen. Jedes Wort, jeder Satz, jede Figur, Szene, Idee schreit nach Aufmerksamkeit. Möglicherweise zeugt auch das vom momentanen Dilemma der Frauen: zeigen zu wollen, dass sie besser sind. Vielleicht ist es Zeit für ein bisschen Lässigkeit.

Rezensiert von Meike Feßmann

María Cecilia Barbetta: Änderungsschneiderei Los Milagros. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 332 Seiten, 19,90 €.