Die Sehnsucht und der Kuss

Von Rainer Zerbst · 10.07.2010
Seine Dimension erinnert an die Pyramiden: Der Beethovenfries erzählt auf drei Wänden den Zyklus der Menschheitsentwicklung. Er gilt als Summe des künstlerischen Schaffens von Gustav Klimt und ist in der Stadthalle Balingen zu bewundern.
Streng genommen war es "nur" eine Verherrlichung des Genies Beethoven, das sich die Künstler der Wiener Secession für ihre Ausstellung vorgenommen hatten. Im Zentrum stand die gewaltige Beethovenstatue von Max Klinger, in gewisser Weise ein Monstrum, nicht nur von der Größe her, sondern auch durch die Tatsache, dass die Statue aus den verschiedensten Materialien bestand. Um diesen zentralen Raum gruppierten sich weitere Räume, die ganz der 9. Sinfonie von Beethoven gewidmet waren. Einer davon, der größte, mit einer Wandgestaltung von Gustav Klimt, die in ihrer Dimension schon fast an ägyptische Pyramiden erinnert. 34 Meter Wand, bemalt mit einem Zyklus, der wie in einem Mythos die Menschheitsentwicklung verfolgt. Am Ende steht die Apotheose, ein Paar im Kuss vereint - aber nicht in irgendeinem, sondern dem Kuss der "ganzen Welt" , wie Schiller dichtete und Beethoven vertonte.

Die 34 Meter des Frieses hat Klimt auf drei Wände verteilt. Er beginnt mit der Sehnsucht des schwachen Menschheitsgeschlechts durch allerlei Krankheiten und Todsünden wie Wollust und Unmäßigkeit bis eben zu jenem Kuss - gestaltet mit reichlich viel Blattgold. Als Klimt und seine Kollegen dieses Projekt verwirklichten, steckte viel Ideologie dahinter, vor allem die Menschheitsvisionen eines Nietzsche oder Wagner. Jetzt, in der Balinger Stadthalle, bleibt nur Klimts Arbeit, und man kann seine subtile Gestaltung in Reinform analysieren. Dass der Fries überhaupt in dieser Kopievariante ausgestellt werden kann, verdanken wir der Tatsache, dass das Original restauriert werden musste - und parallel dazu entstand die Kopie, als Probiermaterial gewissermaßen, so Rudolf Greiner, der für das Balinger Ausstellungskonzept verantwortlich ist:

"Es wurde genau alles ausprobiert, erst mal auf diesem, ob es funktioniert und ob es genau richtig ist, und dann wurde es übertragen auf das Original. Man müsste fast fragen, wo das Original dann ist. Es ist auch sehr haltbar, es sind die gleichen Materialien."

Ergänzt wird der Fries durch Zeichnungen, und wenn der Fries als Summe von Klimts Schaffen gilt, so die Zeichnung als sein tagtägliches Arbeitsmedium.

Rudolf Greiner: "Der war mit den Zeichnungen auf der Suche nach ganz bestimmten Haltungen und Stellungen der Frauen. Er hatte ein Atelier, in dem zum Teil zehn bis zwanzig Modelle halbnackt herumliefen, den ganzen Tag machen konnten, was sie wollten, und er hat gelauert auf eine ganz bestimmte Haltung, Augenblickssituationen, um diese festhalten zu können."

So sehen wir beispielsweise, dass er für die Figur der Wollust zwei verschiedene Frauenposen ausprobierte. Auf der einen präsentiert sich die Frau frontal, auf der anderen zieht sie kokett das Bein an und schaut uns herausfordernd in die Augen. Letztere wurde dann im Fries gemalt. Leider stehen nur wenige Zeichnungen in der Aussstellung im direkten Zusammenhang mit dem Fries, man muss sie in den über 70 Zeichnungen erst herausfinden. Dafür bekommt man mit dem Fries aber zugleich auch einen Einblick in die Visionen, die jene Künstler vom Gesamtkunstwerk hatten, das sich eben nicht nur auf traditionelle Formen wie Malerei, Plastik oder Zeichnung beschränkte, sondern eben auch unter anderem auf Wandmalerei.

Rudolf Greiner: "Es gibt auch viele Leerflächen, die er nicht bemalt hat. Nun könnte man sagen, er hat keine Lust mehr gehabt, es dauerte ihm zulange, den Beethovenfries fertig zu bekommen. Aber man weiß, dass er eben derjenige war, der mit der Architektur sehr genau umgehen konnte und plötzlich die Wand selbstständig als Element gesehen hat, die wirkungsvoll ist sozusagen als Kunstwerk. Der Jugendstil ist ja oft hergegangen und hat einfach eine Wand mit einer ganz schmalen Bordüre umrahmt, und plötzlich erschien die Wand schon als Bild."

Und da ist die zweite Ausstellung eine ideale Ergänzung, die in der Balinger Zehntscheuer zu sehen ist: Zeichnungen des Architekten und Designers Josef Hofmann, der eng mit Klimt zusammenarbeitete.

Rudolf Greiner: "Er hat die gesamten Ornamente von Klimt übernommen oder umgekehrt Klimt von Hoffmann. Man kann nämlich bei den Porträts durchaus sehen, dass Klimt zum Beispiel seine Frauengestalten in Einrichtungen von Joseph Hoffmann, die Möbel, die Joseph Hoffmann gestaltet hat, gezeichnet hat."

Und auch die dritte Ausstellung mit Werken von Oswald Oberhuber greift auf das Vorbild Klimt zurück, zu sehen in der Rathausgalerie. So bietet Balingen in diesem Sommer eine umfassende Hinführung zur Kunst des Jugendstils.

Die Ausstellung "Gustav Klimt. Beethovenfries. Zeichnungen" ist bis zum 26. September in der Stadthalle Balingen zu sehen


Virtuelle Ausstellung zum Beethovenfries
Mehr zum Thema