Die Seele spricht Koreanisch

Von Rebecca Roth |
Christen mit Migrationshintergrund nimmt man oft nicht wahr, weil sie Migrationskirchen besuchen. Und so wird sonntags in Deutschland nicht nur auf Koreanisch, Serbisch und Englisch gebetet.
Berlin, Sonntagmorgen um elf im Stadtteil Borsigwalde. Obwohl gerade einmal sieben Personen anwesend sind, wird bereits auf Hochtouren gebetet. Der Pastor stellt noch Stühle auf, Kinder trappeln durch den Gemeindesaal. In seiner Schlichtheit erinnert er mehr eine Gartenlaube als an eine Kirche. An der vorderen Wand hängt ein Holzkreuz und daneben zwei bestickte Fahnen. "Einheit in Christus in einer Vielfalt von Kulturen" steht darauf. Es ist das Motto der Gemeinde Akebulan – Global(e) Mission e.V., einer internationalen Pfingstgemeinde. Die meisten Mitglieder kommen aus afrikanischen Ländern. Nach und nach füllt sich hier der Gottesdienstraum.

In Stuttgart dagegen hat der Gottesdienst der koreanischen Nambugemeinde punkt halb zwölf begonnen. Das muss er auch, da der Gottesdienst hier quasi "im Schichtwechsel" stattfindet Um zehn feiern die Deutschen, um halb zwölf die Koreaner. Die Kirchenbänke in der evangelischen Friedenskirche, einem modernen Sakralbau aus Beton, sind voll besetzt, europäische Gesichter sind fast keine auszumachen. Kirchenlieder, Predigt und Chorgesang - alles ist auf Koreanisch.

Das musikalische Niveau ist hoch, zahlreiche Gemeindeglieder studieren an der nahegelegenen Musikhochschule Stuttgart. Auch Hanna Kim, eine fröhliche Mittdreißigerin, ist Musikerin. Sie arbeitet für die Stadtkirche Stuttgart-Bad Cannstatt:

"Ich bin Kantorin. Deswegen gehe ich natürlich jeden Sonntag in einen deutschen Gottesdienst. Aber sobald der um ist, komme ich hierher. Ich gehe also jeden Sonntag zweimal in den Gottesdienst."

In den deutschen Gottesdienst, um zu arbeiten - in den koreanischen für sich selbst:

"Wir sind ja Ausländer – und wenn wir hierher zur Kirche kommen, ist das so, als ob wir in die Heimat kommen. Wir treffen hier Freunde. Und weil die Muttersprache die Seelensprache ist, ist es auch so, dass uns die Predigt auf Koreanisch auch wirklich anspricht."

Egal wie lange schon in Deutschland - die Seele spricht Koreanisch. Und deswegen reist ein großer Teil der koreanischen Nambugemeinde extra für den Gottesdienst aus umliegenden Städten an.

Auch die serbisch-orthodoxe Kirche in Hannover hat ein großes Einzugsgebiet. Ihre Mitglieder kommen aus Soltau, Nienburg, Magdeburg oder, wie Dragana, aus Seelze. Zur Kirche fährt die junge Mutter 45 Minuten:

"Mach ich gerne, wegen meiner Tochter. Freut mich, dass meine Tochter vergisst nie Muttersprache. Das ist mir sehr, sehr wichtig. Die deutsche Sprache ist auch sehr wichtig, Muss man ehrlich sein, weil wir leben in Deutschland. Aber Muttersprache darf sie auch nicht vergessen. Ist schön, dass sie beide lernt."

Ihre Tochter Vanessa ist sieben. Auch sie kommt gerne in die Kirche. Was ihr am besten gefällt?

"Tanzen, und Singen und Schreiben."

In kleinen Gruppen lernen die Kinder samstagnachmittags Serbisch, Volkstanz und die orthodoxe Kirchenliturgie.

Zur Vesper mit Pater Milan haben sich 50, vielleicht auch 60 Kinder eingefunden. Die Kapelle ist bis unter die Kuppel mit Ikonen und kyrillischer Schrift bemalt. Die Luft ist erfüllt vom schweren Duft des Weihrauchs. Das byzantinische Kirchengebäude mitten in einem Neubaugebiet von Hannover fällt bereits von Weitem auf. Das war Absicht, erklärt Pater Milan Peijic, ein väterlich wirkender Mann Ende 50:

"Wir haben bewusst eine traditionelle Bau gewählt damals, damit man uns erkennt, sofort, aha, das ist eine orthodoxe Kirche."

Mitte der 90er haben die Gemeindemitglieder ihre Kirche mit sehr viel Eigenarbeit erbaut. Davor waren sie jahrelang auf Räume angewiesen, die ihnen die evangelische oder katholische Kirche in Hannover zur Verfügung gestellt hatten. Ein umständliches Hin und Her, erinnert sich Pater Milan:

"Es war nicht einfach immer mit Hausmeister zurechtzukommen. Mit Zeiten, wann diese Räume frei sind, mit immer wieder Problemen. Man musste immer alles mitnehmen. Wir waren nur als Gast da und solange wie man nur als Gast ist, gibt es keine Sicherheit für die Menschen hier. Als Gastarbeiter zusätzlich bezeichnet, fühlte man sich sowieso als vorübergehend hier."

Heute ist für die meisten der ca. 700 Familien, die zur Gemeinde gehören, klar: Sie wollen nicht zurück in die Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Sie werden in Deutschland bleiben:

"Bindung an die Gemeinde ist etwas, was erst möglich war, als wir dieses Kirchenzentrum gebaut hatten. Da haben die Menschen erstmal realisiert, aha, hier habe ich für meine Kinder eine Zukunft. Sie können ihre Identität aufrechterhalten, sie können weiter orthodoxen Glauben ausüben. Sie haben hier eine Perspektive."

13 Uhr: In Berlin-Borsigwalde neigt sich der Gottesdienst seinem Ende zu. Es ist voll geworden in der kleinen Kirche.

Zum Segensgruß umarmt hier jeder jeden: Anzugträger, Mütter mit Babys, junge Männer in Hip-Hop-Outfits. Die Atmosphäre ist herzlich und familiär, das ist es, was alle hier schätzen.

Alice Maud Haveland-Kruma: "Wenn ich hier bin, dann fühle ich mich zuhause. Die Leute hier sind wirklich wunderbar. Wir leben wie eine Familie zusammen. Und wenn wir hier beten und singen, dann habe ich das Gefühl, mit Gott in Verbindung zu stehen. Ja, und hier kümmern sich die Leute sehr liebevoll umeinander."

Genau das hatte Peter Arthur, der Pastor der Gemeinde Akebulan – Global(e) Mission, in seiner ersten Zeit hier vermisst. Als er Anfang der 90er Jahre aus Ghana nach Deutschland kam, suchte er Anschluss bei hiesigen Christen. Doch in seiner evangelischen Kirchengemeinde fand er nicht, was er sich erhofft hatte:

"Wenn man Christ ist, hat in Hinterkopf, wenn man nach Deutschland kommt, man kommt in ein Land, wo Christentum richtig gelebt wird. Aber ich war diesen Gemeinde und keiner traut sich, mit mir zu reden. Ich konnte auch nicht viel Deutsch. Und in allen diesen Jahren habe ich immer und immer versucht. Das ist schwer. Die Deutschen tun sich schwer, den Migranten Anerkennung zu geben. Oder in ihre Mitte eine Chance zu geben als eine christliche Bruder oder Schwester zu leben."

Gemeinsam mit seiner deutschen Frau Stefanie besucht Peter Arthur regelmäßig Flüchtlinge im nahegelegenen Asylbewohnerheim Hennigsdorf.

Stefanie Arthur: "Das ist eine Aufgabe, die wir uns gestellt haben, diesen Menschen zu helfen in ihrem Leben in Deutschland. Auch, dass sie hier ankommen können, und ihnen zu helfen bei Schwierigkeiten mit den Behörden, dass sie nach Möglichkeit hier Fuß fassen können."

Peter Arthur ist mittlerweile bestens vernetzt. In Borsigwalde, in interkulturellen ökumenischen Foren aber auch im Rat der Afrikanischen Christen in Berlin und Brandenburg. Die afrikanischen Pastoren, die er trifft, haben ähnliche Erfahrungen in deutschen Kirchengemeinden gemacht wie er. Sie wurden kaum wahrgenommen mit ihren Kompetenzen und ihrer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Außer bei interkulturellen Gottesdiensten – aber auch da beauftragte man sie eher mit der musikalischen Gestaltung als mit der Predigt. Diese Erfahrungen seien einer der Gründe dafür, warum sich viele Migranten selbst organisierten und eigene Kirchen gründeten, sagt Arthur.

Ähnlich sieht das die Diakoniewissenschaftlerin Bianca Dümling. Sie hat zu Migrationskirchen, interkultureller Ökumene und Integration in Deutschland geforscht.

"Für Migranten ist das Leben in Deutschland nicht unbedingt einfach aufgrund von Alltagsrassismus, Diskriminierung, die sie überall erleben. Sprachschwierigkeiten. Und wenn sie das auch in der Gemeinde erleben, ziehen sie sich eher zurück, weil der Glaube für sie etwas ganz Persönliches ist und sie dafür auch einen Schutzraum brauchen."

Mittags um halb eins in Stuttgart: Der Gottesdienst ist zu Ende. An die 150 Kinder und Erwachsene strömen in den Gemeindesaal. Hier sind bereits Tische in langen Reihen aufgebaut, Löffel und Essstäbchen aus Metall werden verteilt. Der Duft von koreanischem Essen liegt in der Luft.

Nicht nur in der koreanischen Gemeinde in Stuttgart - auch in Borsigwalde und Hannover wird gemeinsam gegessen und Tee und Kuchen gereicht. Pater Milan Peijic:

"Das ist für uns die Liturgie nach der Liturgie. Praktisch eine verlängerte Gottesdienst, wo wir die Liebe untereinander pflegen durch Essen und Trinken. Auch durch dieses gemeinsam - auch wenn es nur für ein paar Stunden ist - leben."

Lange hatte die koreanische Gemeinde in Stuttgart nach Räumlichkeiten gesucht mit ausreichend Platz für das gemeinsame Mittagessen und die Kinderbetreuung. Vor vier Jahren konnte sie in die Friedenskirche einziehen. Und dann folgte im Mai 2010 ein ungewöhnlicher Schritt: Die koreanische Gemeinde trat der evangelischen Friedenskirchengemeinde bei. Ein Schritt hin zu mehr Stabilität und finanzieller Sicherheit. Wie die koreanische Gemeinde zu der Entscheidung kam, erklärt der Vorstand Jin-Su Lee:

"Ich bin halber Schwab, weil ich seit 22 Jahre hier wohne. Als Schwabe, als Deutscher sollte man hier in die deutsche Gemeinde integrieren. Integrieren heißt, nicht eigene Kultur, eigene Religionsarten aufgeben, sondern zusammen machen. Und dann möchte ich auch, dass unsere Gemeinde ein Anlass geben, dass diese Friedenskirche Motivation hat zu wachsen. Friedenskirche ist ja von meiner Ansicht her, nicht ganz lebendig, weil wenig Leute kommen."

Auch wenn von seinen 2000 Kirchenmitgliedern sonntags vielleicht nur 30 den Gottesdienst besuchen - dass seine deutsche Gemeinde nicht lebendig sein soll, dass will Pfarrer Dieter Bofingern im Gespräch mit der koreanischen Gemeindeleitung nun doch nicht auf sich sitzen lassen. Auch wenn er den engagierten Frömmigkeitsstil der Koreaner durchaus respektiert:

"Lebendigkeit, ja da müssen wir noch mal drüber reden. Das Wichtigste ist ja, dass uns der Glaube an den Christus verbindet – als koreanische, als deutsche Christen, als liberale, als evangelikale Christen, dass das uns zusammenbringt. Und da hoffe ich, dass wir da in Zukunft Wege finden, dass wir da auch ein Miteinander finden, so für die - was weiß ich - nächsten oder übernächsten Generationen."

Damit vielleicht schon in dieser Generation mehr Miteinander stattfindet, bedarf es allerdings weiterer gemeinsamer Schritte. Und das fällt vielen Gemeinden schwer, beobachtet Diakoniewissenschaftlerin Bianca Dümling. Besonders, wenn die Migrationskirchen der Pfingstbewegung nahe stehen:

"Sie feiern Gottesdienste, die drei Stunden gehen, sie beten laut, sie weinen und zeigen Emotionen und in der deutschen evangelischen Kirche wird einfach der Gottesdienst anders gefeiert. Und diese andere Form verunsichert und durch diese Unsicherheit entstehen eben Konflikte oder die stehen zwischen einer Begegnung."

Selbst wenn es Berührungsängste gibt, bewegt man sich vielerorts aufeinander zu. In Stuttgart findet einmal im Jahr ein gemeinsamer Gottesdienst und ein Essen mit Deutschen und Koreanern statt. Auch ein gemeinsames Chor-Konzert ist geplant. Und auch in Hannover und Berlin suchen die Migrationsgemeinden ebenfalls den Kontakt zu den alteingesessenen Christen – ausgrenzen will sich hier niemand. Das betont auch Pastor Peter Arthur von der Gemeinde Akebulan – Global(e) Mission:

"Die Parallelgesellschaft kann man haben, wenn man will, kann man auch verhindern, wenn man will. Wir sehen uns als Brückenbauer."