Die Seele der "ehrlichen Arbeit"

Von Anette Schneider · 24.07.2010
Im Rahmen von Ruhr 2010 hatte das Industriemuseum Oberhausen eine großartige Idee: In einem umfangreichen Projekt zeigt es über 160 Gemälde, die sich mit der Arbeitswelt der Schwerindustrie beschäftigen.
In der Malerei existieren Themenbereiche, die bundesdeutsche Kunstmuseen konsequent ignorieren: etwa die seit über 200 Jahren in Europa und den USA entstandenen Bilder zu Industriearbeit. Obwohl Industriearbeit die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft erst möglich machte, wird ihre künstlerische Verarbeitung in Museen nicht gezeigt, als spiele das Thema keine Rolle. Die Folge: Das Wissen um die Tradition des Industriebildes geht verloren.

Grund genug für das Industriemuseum Oberhausen, jetzt 200 internationale Arbeitsbilder aus den Bereichen Kohle, Eisen und Stahl zu präsentieren, die zwischen 1780 und heute entstanden.
Museumsleiter Thomas Schleper:

"Es gibt eine ganze Bandbreite von Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Perspektiven auf die Stahl- und Eisenindustrie dargestellt haben, auf den Bergbau. Es gibt Befürworter, es gibt die Ästheten, die sagen, wir entdecken eine "industrial athetic”, die industrielle Ästhetik, die von dem Rauch und der Glut lebt, die Nachtbilder liebt, die qualmende Schornsteine als ästhetische Anregung nimmt, die Industrie ist eigentlich nur Vorlage für ein tolles Bild. Und dann gibt es engagierte Künstler, schon in den 90er-Jahren, auch früher im 19. Jahrhundert, die auch klar politisch Position beziehen."

Die zweiteilige, chronologisch gegliederte Ausstellung beginnt im Behrens-Bau: Die frühesten Industriebilder entstanden in den USA und in England, und gleichen noch Landschaftsbildern mit Fabrikansichten. Im 19. Jahrhundert - angesichts industrieller Revolution, Ausbeutung und beginnender Arbeiterbewegung - entstehen dann neue Bildthemen: Viele Maler sind fasziniert von den riesigen Werkhallen, zeigen Maschinen, glühende Eisenmassen und Feuerschein - Arbeiter dienen ihnen lediglich als Beiwerk. Andere, wie Francois Bonhommé, entwerfen Sozialutopien, und zeigen ein harmonisches Miteinander von Unternehmern, Aufpassern und Arbeitern.

Wieder andere rücken die Arbeiter in's Blickfeld. Kritisch zeigen sie verheerende Arbeitsbedingungen, Schufterei und unwürdige Lebensverhältnisse. Mit wachsendem Einfluss der Arbeiterbewegung taucht in den Bildern dann ein neues, proletarisches Selbstbewusstsein auf: Es entstehen Streikbilder. Oder Cécile Douard zeigt auf großem Format eine ausruhende Bergarbeiterin, die selbstbewusst auf den Betrachter herabblickt. Und Henry Luyten malt, empört über die blutige Niederschlagung eines Streiks, ein elf Meter langes Triptychon: Links eine obdachlose Frau im Regen. In der Mitte eine Arbeiterversammlung, die einen Streik plant, rechts erschossene Arbeiter.

"Bilder - und das gehört zu dem Konzept - sind nicht einfach nur Spiegel der Wirklichkeit, die sozusagen vor oder hinter den Bildern stattfindet, sondern sie greifen ein, gehören mit zur Realität. Es sind Bilder gemalt worden, die man wie Transparente durch die Straßen tragen könnte. Es sind Bilder für Weltausstellungen gemalt worden, wo Staaten angegeben haben mit ihrer Industrie. Es sind Bilder gemalt worden auch für gewerkschaftliche Aktionen realisiert wurden. Alles das zeigt, das Kunst eigentlich nicht widerspiegelt, sondern aktiv eingreift in das Geschehen. So haben sich auch die Künstler verstanden."

Eine Tradition, die vom frühen 19. Jahrhundert bis in die DDR und die frühe Bundesrepublik reicht - doch dann unterschiedlicher nicht sein kann: Während auf den ausgestellten DDR-Bildern diskutierende und gemeinsam arbeitende Menschen um eine Gesellschaft ringen, in der der Widerspruch von Kapital und Arbeit aufgehoben ist, erzählen Bilder aus der Bundesrepublik von Rationalisierung, Vereinzelung und Arbeitslosigkeit.

Es ist beeindruckend, was Thomas Schleper an Bildern entdeckt hat, und wie eindringlich diese die Tradition des Arbeitsbildnisses vorführen. Darunter Bilder, die vor 150 Jahren entstanden, und noch heute aktuell sind, die deutlich machen, wie wenig erledigt ist von dem, was Maler schon vor Generationen kritisierten. Die jüngsten Arbeiten, die im Kesselhaus zu sehen sind, setzen diese kritische Tradition fort: Daniel Peletti etwa greift auf blutrotem Grund das Holzgerüst auf, an dem Rembrandt einst einen ausgeweideten Ochsen zeigte. Bei Paletti hängt ein ausgenommener Arbeiter.

Thomas Schleper:

"Das Thema Arbeit oder Arbeitslosigkeit ist nach wie vor akut. Und es sind eher Bilder zur Arbeitslosigkeit, die jetzt entstehen: die anklagen, dass die Industrie verschwunden ist - und das zeigen wir im Kesselhaus, das ist das Thema, das dort eine Rolle spielt. "Brandherde im Kesselhaus” heißt das Thema. Es sind Brandherde!"

Doch herrscht dort nicht nur Resignation. Robert Schneider etwa malte das Eisenwalzwerk von Menzel, nachdem es Anfang der 1990er-Jahre stillgelegt wurde. Doch ist die leere Werkshalle nicht tot. Tief im Bildraum glüht es rot. - "Brandherde” können bekanntlich jederzeit wieder aufflammen.