"Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek

Die Fremden sind so fremd

Die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek
Die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek © picture alliance / dpa
Von Stefan Keim · 28.03.2015
Peter Carp inszeniert "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek am Theater Oberhausen als Porträt einer lebensfremden Wohlstandsgesellschaft. Die Bürger wollen Mitgefühl für Flüchtlinge aufbringen, können es aber einfach nicht.
"Sie sind die Letzten, sind ja alle weg, alle tot. Nur die nicht. Die sind jetzt da. Was machen wir mit ihnen?" Die Dame mit der großen Brille bringt das Problem auf den Punkt. Sie kommen immer näher, dunkle Gestalten mit Kapuzenpullis, Flüchtlinge, Fremde. Am Beginn der Aufführung sieht man sie als Schatten, während ein Suchscheinwerfer über die schwarze Bühne zuckt und die Kulissen wie Umrisse eines Containers aussehen. Dann stehen sie plötzlich im bürgerlichen Wohnzimmer. Die vier gepflegt gekleideten Menschen trinken weiter Tee und reden über die Flüchtlinge, als ob sie nicht direkt vor ihnen stünden.
Theatermacher sind auf sich gestellt
Es gibt theoretische Ansätze für Mitgefühl. Doch praktisch ist es schwierig, etwas zu empfinden. Denn die Fremden sind so fremd. Regisseur Peter Carp und Dramaturg Tilman Raabke haben aus dem wuchtigen Textmassiv Elfriede Jelineks einen zentralen Aspekt heraus geschlagen, das Porträt einer kalten Wohlstandsgesellschaft. Wie immer hat die Nobelpreisträgerin ihre Gedanken fließen lassen, erzählt keine Geschichte, entwirft keine Personen. Die Theatermacher müssen sich selbst ausdenken, wie sie diese Texte auf die Bühne bringen.
Der Tod vieler Flüchtlinge in überfüllten Booten auf dem Mittelmeer war Anlass, dieses Stück zu schreiben. Der Titel erinnert an eine antike Tragödie von Aischylos. Damals galt das Gastrecht als heilig, Flüchtlinge waren "Schutzbefohlene". Am Ende der Aufführung stehen mehrere Männer vor dem Publikum, reale Flüchtlinge aus Oberhausen. Sie erzählen, wie sie ins Ruhrgebiet gekommen sind, in ihren Heimatsprachen, ein Schauspieler übersetzt.
Bescheiden und unspektakulär
80 Minuten dauert die eindrucksvolle Inszenierung. Konzentriert und mit viel Gespür für Jelineks Sprachstil zeigen die vier Schauspieler Menschen, die gar nicht zynisch sein wollen, die keine dumpfen Pegida-Anhänger sind. Aber sie haben den Kontakt zum Leben verloren. Natürlich mögen sie Ausländer, aber solche wie Anna Netrebko, die schön singen. Im Gegensatz zu den wilden, fantasieprallen Jelinek-Inszenierungen von Karin Beier oder Nicolas Stemann wirkt der Oberhausener Abend bescheidener, unspektakulärer. Aber gerade dadurch kommt Peter Carp den Inhalten des Stückes sehr nahe und zeigt, dass Jelineks Texte auch so große Wirkung entfalten.
Fazit: Ein auf 80 Minuten konzentriertes Porträt einer lebensfremden Wohlstandsgesellschaft, die zwar Mitgefühl für Flüchtlinge aufbringen möchte, es aber einfach nicht kann. Böse, bitter, mit starken Bildern und ausgezeichneten Schauspielern.

Weitere Vorstellungen am 17., 18., 22. und 24. April im  Theater Oberhausen.

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