Die Schule als Ort der Apokalypse
Reden ist nicht seine Sache, die Kindheit war es auch nicht, und trotzdem kehrt er in seinen Bildern immer wieder zu ihr zurück. Es sind Bilder voller Schmerz und Einsamkeit. Seit ein paar Jahren verkaufen sie sich gut und Josef Bolf gilt als einer der ungewöhnlichsten tschechischen Maler der Gegenwart.
Eine Prager Fabrikhalle aus den 20er-Jahren - die Karlín-Studios. Hier soll der Maler sein Atelier haben, der vor ein paar Monaten zur "Tschechischen Künstlerpersönlichkeit des Jahres 2010" ernannt wurde. Im zweiten Stock eine Reihe von Türen mit Namen. Josef Bolf.
Ein Atelier wie in Paris um 1900. Josef Bolf selbst könnte wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität sein. Dunkler Pullover, Hemd. Hohe Stirn mit Geheimratsecken, das kurz geschnittene Haar ist für einen 40-Jährigen zu grau. Bolf lächelt zurückhaltend und serviert Tee in Gläsern, die aussehen, als wären sie für Tuschwasser bestimmt. An der hinteren Wand hängen Bilder.
Einige Gemälde der letzten Ausstellung in Berlin: Die gekachelten Räume eines Krankenhauses. Schmutzig. Menschenleere Flure. Ein abgestellter Rollstuhl älterer Bauart. Der Atombunker für die Notversorgung aus der Zeit des Kalten Krieges. Alles in Schwarz-weiß und Violett, Kratzereien in Wachsmalfarbe, hier und da verlaufende Tusche.
"Ich war ein kränkliches Kind und habe einigermaßen viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Ich bin also in ein Umfeld zurückgekehrt, in dem ich als kleiner Junge vor x-Jahren einiges erlebt habe. Es ging um eine Gegenüberstellung. Hier ist die Erinnerung, da ist die Realität heute. Und dazwischen ist ein großer, ziemlich kreativer Raum, in dem man sich recht frei bewegen kann."
Erinnern, das heißt für Josef Bolf Kindheit in der Prager Südstadt Anfang der 70er-Jahre. Kindheit in einer endlosen Plattenbausiedlung, eine Schule aus Beton, Gasmasken auf dem Gesicht und Plastiktüten über den Händen - Schutzübungen für den atomaren Ernstfall in einem kommunistischen Land.
"Die haben uns das so in die Köpfe gehämmert, ihre Ideologie. Der Feind war wichtig für sie. Und er war grausam. Wenn ich darüber nachdenke, dann war da auch so eine Wut - auf die Schule, auf die Eltern. Dass sie mich da hineingezogen haben, obwohl sie wussten, dass das alles gelogen war."
Bolfs Figuren sind Kinder, manche haben Tiergesichter, hantieren mit Pistolen. Wie Zombies stehen sie in einer Landschaft aus Beton, in einer heruntergekommenen Turnhalle, einsam in einer dunklen Unterführung. Ihre Augen und Hände bluten. Manchmal in Strömen. Verletzung überall, aber schreien ist sinnlos. Eine verlorene Welt voll dreckiger Sterilität.
Josef Bolf ist ein Meister der Depression, des Schmerzes, der Apokalypse. Und: Immer wieder ist es die Schulzeit, in die er dabei zurückkehrt:
"Ich war eigentlich das Kind, das man immer mit dem Nachnamen gerufen hat." (Lachen)
Josef Bolf zieht sich zurück. Er zeichnet. Seine Eltern – der Vater Elektriker, die Mutter Schneiderin - kaufen ihm eine zehnbändige Geschichte der Kunst. Es sind die Gemälde der Gotik und der Frührenaissance, in die der Junge immer wieder versinkt.
"Gerade weil ich nicht religiös erzogen worden bin, habe ich auch nicht ganz verstanden, was sich auf den Bildern abspielt. Die Mythologie, die ziemlich gewaltsamen Szenen, das hat mich immer angezogen und fasziniert. Ich denke dann die unbekannte Mythologie zu Ende, suche nach Antworten."
Bolf sucht nach Worten. Zeichnen fiel ihm schon immer leichter:
"Die ganze Zeit haben mir alle immer bestätigt, dass ich Talent habe, so lange, bis ich das wohl geglaubt habe." (Lachen)
Ein Jahr nach der Wende schafft er die Aufnahmeprüfung an der Prager Akademie für bildende Kunst. Zum ersten Mal hat er Menschen um sich, die sich auch mit Kunst befassen. Es folgen Stipendien in Stockholm und Stuttgart.
Doch als Josef Bolf 1998 seinen Abschluss macht, erlebt die Kunstszene in Tschechien ihre erste Ernüchterung nach der Samtenen Revolution. Wie man von Kunst lebt, das hatte man ihnen an der Akademie nicht beigebracht. Bolf malt Kulissen für amerikanische Filmproduktionen in Prag. Um in seiner Welt zu bleiben, zeichnet er jeden Abend bis zu zwanzig Porträts. Bis er nicht mehr kann. Ein ganzes Jahr flieht er in die virtuelle Welt des Computerspiels "Wolfenstein".
"Ich kontrolliere mich jetzt mehr, und es liegt mir mehr daran, wie meine Arbeiten aufgenommen werden. Aber lange habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt. (lacht) Das war anstrengend, das soziale Funktionieren und die Psyche. - Das genügt. Hier reden wir nicht weiter drüber." (lacht)
Der Durchbruch kam vor ein paar Jahren, als ein Sammler aus Brünn sein Talent entdeckt. Heute hängen Bolfs Bilder in der tschechischen Nationalgalerie und sind zurzeit noch in der Ausstellung "After the Fall" in New York zu sehen. Kunst, das ist für Josef Bolf die einzige wirkliche Freiheit, die er kennt.
"Wenn ich nicht eine seltsame, exhibitionistische Störung hätte, die sich danach sehnt, Dinge zu teilen, die ich nicht verstehe, dann würde ich das vielleicht nicht machen."
Aber wäre ein anderer Beruf für Josef Bolf überhaupt denkbar?
"Vielleicht wäre ich Taucher geworden."
Ein Atelier wie in Paris um 1900. Josef Bolf selbst könnte wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität sein. Dunkler Pullover, Hemd. Hohe Stirn mit Geheimratsecken, das kurz geschnittene Haar ist für einen 40-Jährigen zu grau. Bolf lächelt zurückhaltend und serviert Tee in Gläsern, die aussehen, als wären sie für Tuschwasser bestimmt. An der hinteren Wand hängen Bilder.
Einige Gemälde der letzten Ausstellung in Berlin: Die gekachelten Räume eines Krankenhauses. Schmutzig. Menschenleere Flure. Ein abgestellter Rollstuhl älterer Bauart. Der Atombunker für die Notversorgung aus der Zeit des Kalten Krieges. Alles in Schwarz-weiß und Violett, Kratzereien in Wachsmalfarbe, hier und da verlaufende Tusche.
"Ich war ein kränkliches Kind und habe einigermaßen viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Ich bin also in ein Umfeld zurückgekehrt, in dem ich als kleiner Junge vor x-Jahren einiges erlebt habe. Es ging um eine Gegenüberstellung. Hier ist die Erinnerung, da ist die Realität heute. Und dazwischen ist ein großer, ziemlich kreativer Raum, in dem man sich recht frei bewegen kann."
Erinnern, das heißt für Josef Bolf Kindheit in der Prager Südstadt Anfang der 70er-Jahre. Kindheit in einer endlosen Plattenbausiedlung, eine Schule aus Beton, Gasmasken auf dem Gesicht und Plastiktüten über den Händen - Schutzübungen für den atomaren Ernstfall in einem kommunistischen Land.
"Die haben uns das so in die Köpfe gehämmert, ihre Ideologie. Der Feind war wichtig für sie. Und er war grausam. Wenn ich darüber nachdenke, dann war da auch so eine Wut - auf die Schule, auf die Eltern. Dass sie mich da hineingezogen haben, obwohl sie wussten, dass das alles gelogen war."
Bolfs Figuren sind Kinder, manche haben Tiergesichter, hantieren mit Pistolen. Wie Zombies stehen sie in einer Landschaft aus Beton, in einer heruntergekommenen Turnhalle, einsam in einer dunklen Unterführung. Ihre Augen und Hände bluten. Manchmal in Strömen. Verletzung überall, aber schreien ist sinnlos. Eine verlorene Welt voll dreckiger Sterilität.
Josef Bolf ist ein Meister der Depression, des Schmerzes, der Apokalypse. Und: Immer wieder ist es die Schulzeit, in die er dabei zurückkehrt:
"Ich war eigentlich das Kind, das man immer mit dem Nachnamen gerufen hat." (Lachen)
Josef Bolf zieht sich zurück. Er zeichnet. Seine Eltern – der Vater Elektriker, die Mutter Schneiderin - kaufen ihm eine zehnbändige Geschichte der Kunst. Es sind die Gemälde der Gotik und der Frührenaissance, in die der Junge immer wieder versinkt.
"Gerade weil ich nicht religiös erzogen worden bin, habe ich auch nicht ganz verstanden, was sich auf den Bildern abspielt. Die Mythologie, die ziemlich gewaltsamen Szenen, das hat mich immer angezogen und fasziniert. Ich denke dann die unbekannte Mythologie zu Ende, suche nach Antworten."
Bolf sucht nach Worten. Zeichnen fiel ihm schon immer leichter:
"Die ganze Zeit haben mir alle immer bestätigt, dass ich Talent habe, so lange, bis ich das wohl geglaubt habe." (Lachen)
Ein Jahr nach der Wende schafft er die Aufnahmeprüfung an der Prager Akademie für bildende Kunst. Zum ersten Mal hat er Menschen um sich, die sich auch mit Kunst befassen. Es folgen Stipendien in Stockholm und Stuttgart.
Doch als Josef Bolf 1998 seinen Abschluss macht, erlebt die Kunstszene in Tschechien ihre erste Ernüchterung nach der Samtenen Revolution. Wie man von Kunst lebt, das hatte man ihnen an der Akademie nicht beigebracht. Bolf malt Kulissen für amerikanische Filmproduktionen in Prag. Um in seiner Welt zu bleiben, zeichnet er jeden Abend bis zu zwanzig Porträts. Bis er nicht mehr kann. Ein ganzes Jahr flieht er in die virtuelle Welt des Computerspiels "Wolfenstein".
"Ich kontrolliere mich jetzt mehr, und es liegt mir mehr daran, wie meine Arbeiten aufgenommen werden. Aber lange habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt. (lacht) Das war anstrengend, das soziale Funktionieren und die Psyche. - Das genügt. Hier reden wir nicht weiter drüber." (lacht)
Der Durchbruch kam vor ein paar Jahren, als ein Sammler aus Brünn sein Talent entdeckt. Heute hängen Bolfs Bilder in der tschechischen Nationalgalerie und sind zurzeit noch in der Ausstellung "After the Fall" in New York zu sehen. Kunst, das ist für Josef Bolf die einzige wirkliche Freiheit, die er kennt.
"Wenn ich nicht eine seltsame, exhibitionistische Störung hätte, die sich danach sehnt, Dinge zu teilen, die ich nicht verstehe, dann würde ich das vielleicht nicht machen."
Aber wäre ein anderer Beruf für Josef Bolf überhaupt denkbar?
"Vielleicht wäre ich Taucher geworden."

Josef Bolf in seinem Atelier in Prag© Jiri Thyn / courtesy of hunt kastner, Prague