Die Schrecken des Krieges und der Werbung

Von Michaela Gericke |
Die Helmut-Newton-Stiftung zeigt in Berlin zwei Meister der zeitgenössischen Fotografie, die gegensätzlicher nicht sein könnten: James Nachtwey wurde durch seine gnadenlosen Kriegsaufnahmen bekannt. David LaChapelle hingegen inszeniert kreischend bunte, surreale Bilder aus der Glamour- und Werbewelt. Zwischen beiden besteht jedoch eine untergründige Verbindung, glaubt Nachtwey.
Als June Newton bereits wusste, dass sie Bilder des unermüdlichen Kriegsfotografen James Nachtwey präsentieren würde, fragte sie David LaChapelle, den anderen, wie sie ihn nennt, "modernen Meister":

"Wouldn't it be marvellous? How about you, David? And he said: 'Great! War and peace!' So that's how it all came about - 'men, war and peace'."

Doch der Titel der Ausstellung ist trügerisch: "Men" - das sind die über 70 Porträts von - tatsächlich - diesmal Männern, die Helmut Newton in Szene gesetzt hat. Politiker wie Gerhard Schröder, Kunstsammler wie sein Freund Heinz Berggruen mit üppig umschmiegendem Pelzkragen, fast so opulent wie dessen Bilderrahmen, Mick Jagger - mit hochgeschlagenem Kragen - und alle in Schwarz Weiß.

Helmut Newtons Arbeiten stehen diesmal nicht im Mittelpunkt. Sie sind in den hinteren Räumen des Museums für Fotografie zu sehen. Im Zentrum der Ausstellung stehen die beiden anderen Fotografen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Der eine, geprägt von und erwachsen geworden mit den Bildern der Civil Rights - Bewegung in den USA, und inzwischen seit Jahren bekannt für seine gnadenlosen, atemraubenden Kriegsfotografien - überwiegend in Schwarz Weiß. Der andere für seine kaum zu überbietenden, vor Farbe kreischenden Kitschbilder: surreale Szenen aus der Mode- und Glamour-Welt. Aber es gibt durchaus eine Verbindung, sagt der Kriegsfotograf James Nachtwey, wie immer im weißen Hemd, mit schnurgeradem Scheitel und einer inneren Ruhe, als käme er gerade aus dem friedlichsten, gottbehüteten Flecken der Erde:

"Ich glaube schon, dass es eine sehr provokative Show ist und dass sie sehr viele Fragen provoziert. ich habe mich selbst gefragt, was uns beide verbindet. Und ich habe entdeckt, was unter der Oberfläche der Bilder von LaChapelle steckt: Da gibt es einige Verbindungen: Ich sehe Anspielungen auf die Gewalt, ich sehe religiöse Ikonographie, die sehr überraschend ist. Seine Bilder unterhalten zunächst einmal. Aber wir sollten genauer hinsehen: Dahinter stecken auch Inhalte wie Angst - man sieht hunderte oder tausende Menschen sterben - da wird zum Beispiel eine Frau von einem Riesen-Hamburger erschlagen."

Obwohl viele der Bilder LaChapelles aussehen wie am Computer generiert und Helmut Newton ihn für einen "Giganten der digitalen Generation" hielt, will der 43-jährige David LaChapelle das nicht auf sich sitzen lassen. Nein, am Computer sei er gar nicht besonders gut. Er inszeniere die Geschichten, um sie dann zu fotografieren. Und wenn es Stunden dauert. Um Bilder so zu gestalten, wie er die Realität empfindet.

Da steht eine blonde Schönheit in halb geöffnetem, purpurrotem Mantel - eine Madonna mit ihrem Kind im Arm - vor einer Häuserzeile, die gerade auseinander fliegt. "Das Haus am Ende der Welt" nennt David LaChapelle sein Foto, das er kurz vor dem Hurrican Katherina aufnahm. LaChapelles Mutter lebt in Florida und der Fotograf dachte vor einem Jahr an nichts anderes als an sie - und ob sie den Beinahe-Weltuntergang überleben würde. Er hingegen sollte für eine Modezeitschrift Schuhe fotografieren. Der Blick des Betrachters wird also auf endlos lange Beine gelenkt: weiß gemusterte, durchbrochene Strumpfhosen, roter Slip, rote hohe Pumps.

LaChapelle: "Mir ist sehr bewusst, was auf der Welt geschieht, mit unserer Umwelt. Mir macht das auch Angst, wie schnell das alles geht. Und ich musste diese Schuh-Story fotografieren. Für mich sah es so aus, als gäbe es für die Leute in dem Moment nichts Wichtigeres, als Schuhe zu kaufen und im Luxus zu leben. Manche Menschen sind ganz besessen davon. Ich will gar nicht urteilen. ich will nur dokumentieren mit meinen Bildern und zeigen, was sich in meinem Kopf abspielt: Meine Befürchtungen zeigen, die ich habe, bei dem, was ich erlebe."

James Nachtwey hingegen braucht nichts zu inszenieren. Afghanistan, Sudan, Ruanda, Bosnien, Irak: Er ist mit seiner Kamera an der Front. in sämtlichen Kriegen der Welt. Seine "Deeds of War", die Fakten des Krieges, sind von Bomben zerrissene Menschen, verstümmelte Frauen, tote Kinder, Leichenberge und Massengräber. James Nachtwey hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Krieg zu dokumentieren, noch immer glaubt er, dass Fotos mithelfen, Kriege zu beenden oder gar abzuschaffen.

"Ich lasse mich immer wieder inspirieren von der Humanität der Menschen, die ich an diesen grausamen Plätzen treffe. Sie kümmern sich umeinander, sie sind von einer Gnade und Würde, die ich bestimmt nicht mehr hätte, wenn ich in ihrer Situation wäre. Ich sehe das so oft und das gibt mir Hoffnung. Ich gehe an Orte, die von außen so hoffnungslos aussehen, aber die Menschen dort haben Hoffnung und wenn sie Hoffnung haben - warum sollten wir keine mehr haben?"

Men War and Peace. Die Männer Helmut Newtons, der Krieg, den James Nachtwey dokumentiert mit der Hoffnung auf Frieden. Peace - das ist nur ein scheinbarer Frieden auf den Bildern von David LaChapelle, dessen Name, die Kapelle, seiner katholischen Familie entstammt. Die Jesus-Figuren auf seinen opulenten Bildern sieht er keineswegs als Provokation:

"Ich mag keinerlei Fundamentalismus, egal in welcher Religion. Aber ich glaube, dass es einige große Propheten gibt. Und Menschen, die auf diesem Planeten gelegentlich große Botschaften überbringen. Jesus gehört für mich dazu. Er ist für mich auch eine Art Künstler. Seine Kunst war die Liebe. Unterschreiben kann ich allerdings keine bestimmte Religion. Aber ich mag die Philosophie der Erleuchtung. Das Leben ist bekanntlich ein Lernprozess und vielleicht werden wir darin eines Tages besser."