Die Schrecken der Nacht

Hexensabbat und Dämonen

Hexen-Darstellung, entstanden um 1880
Hexen-Darstellung, entstanden um 1880 © imago / ThexHolbarnx / Archive Leemage
Von Gerd Brendel · 15.05.2017
"Herr Jesu Christ. Es will nun Abend werden. Lass doch Dein Licht auslöschen nicht bei uns all hier auf Erden", heißt es in einem Kirchenlied aus dem 16. Jahrhundert. Früher barg die Nacht genug dunklen Raum für monströse Hexenfantasien – heute bleibt es dank Straßenlaternen auch nachts hell.
300 Stufen, ohne Fahrstuhl. Dafür liegt den Melzers ihre Heimatstadt Annaberg-Buchholz zu Füßen. Seit fast 20 Jahren lebt und arbeitet das Ehepaar hier oben im Turm der St. Annenkirche. Die Berufsbezeichnung ist so alt wie die 500 Jahre alte Kirche. Die Melzers sind Türmer.
"Die meiste Zeit als Türmer nimmt für mich das Läuten in Anspruch, das ist so 400 Mal im Jahr, dann den Turm sauber halten, das teilen wir uns. Die Türmer vergangener Zeiten zogen an Seilen. Die heutigen bringen die Glocken mit einem Knopfdruck in Bewegung.
"Im Mittelalter bis 1939 war es so, dass der Türmer die Wache über die Stadt hatte, er musste also alle 15 Minuten aus den Fenstern seiner Wohnung schauen, ob ihm irgendwas auffällt: Feuer, Rauch, einbrechende Feinde, ganz früher noch. Und wenn er was bemerkt hatte, musste er mit der Heuerglocke, der Bergbauglocke, stürmen, eben Sturm läuten."

"Die Nacht war gefährlich, bedrohlich, beängstigend"

Selbst wenn sie wollten, könnten die Melzers diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen: "Weil es einfach zu hell ist, die Stadt wird nicht dunkel und dadurch sehen wir nichts." - Die Nacht ist hell geworden. Für die Menschen des 16. Jahrhunderts unvorstellbar.
"Die Nacht zu Luthers Zeit war gefährlich, bedrohlich, beängstigend. Viele Sachen, die heute selbstverständlich sind, waren damals nicht erklärbar. Der Blitzeinschlag in die Kirche, ein Pfeifen im Haus."
In Rothenburg ob der Tauber, wo es auch heute nachts fast noch so aussieht wie im 16. Jahrhundert, ist Markus Wirte als Direktor des Kriminalmuseums quasi zuständig für die Nachtseiten des Mittelalter und der frühen Neuzeit. Wir stehen in der aktuellen Ausstellung: "Mit dem Schwert oder festem Glauben - Luther und die Hexen".
"Luther glaubte wie alle Menschen der damaligen Zeit an schwarze Magie, an Zauberer an Hexen, die nachts ihr Unwesen trieben." Sie können Ungewitter und Donner erregen, die Früchte verderben, Vieh töten - so heißt es in einer seiner Predigten.
"Die Vorstellung der Hexe als Frau, die mit dem Teufel ein Bündnis eingeht, Schadenszauber, der auf dem Besen durch die Nacht reitet, diese Teilvorstellungen verschmolzen erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einem Superverbrechen der Hexerei."
Bußprediger wie Geiler von Kayersberg ängstigten um 1500 ihre Zuhörer mit Geschichten von der "Milchhexe", die das Vieh keine Milch mehr geben ließ. Künstler wie Albrecht Dürer lieferten das Bildmaterial. Wer nachts allein unterwegs war, machte sich verdächtig und lief Gefahr, auf einem der vielen Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Zehntausende meist weist weibliche Opfer forderte die Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert.

Vampire und Werwölfe im Film und auf der Bühne

Heute sind nicht nur in Annaberg-Buchholz die Nacht längst taghell geworden. Der Schrecken ist in den Untergrund gezogen, wird in dunklen Kellern erzeugt, wie im Monstercabinet der Künstlergruppe Dead Chickens, die sich hier 20 Stufen tief unter dem Hackeschen Markt in Berlin-Mitte ihr eigenes Bestiarium aus Ungeheuern, Dämonen und Monstern zusammengelötet hat. Ich bin mit dem Film- und Theaterregisseur Jörg Buttgereit verabredet, seine Horrorfilme sind Kult und gerade hat er ein Stück über Zombies für das Schauspiel Essen inszeniert. Die Nachtgestalten leben heute vor allem im Kino weiter. Filme wie "Scream" oder "Halloween", Serien über Teenager-Vampire - für Buttgereit Geschichten über die Angst, erwachsen zu werden:
"Das sind Filme über die Pubertät, in denen die Penetration nicht mit Geschlechtsteilen vor sich geht, denn dann wären wir beim Pornofilm, sondern mit Macheten und Messern. Die Ängste in der Pubertät sind ja vielseitig. Man bekommt Haare an komischen Stellen, fühlt sich wie ein Werwolf und schon hat man das nächste Monster auf dem Tisch." - Als Abbild unserer eigenen Ängste.
"Wenn wir uns Monster ausdenken, dann machen wir das, um etwas zu bebildern, um Sinnbilder zu erschaffen, für etwas, was zu groß für uns ist, um etwas greifbar für uns zu machen."
Die Nacht ist nicht mehr so schwarz wie in der Lutherzeit. Aber so wie die Menschen damals in den monströsen Hexenfantasien des 16. Jahrhunderts, so begegnen wir in den Filmungeheuern, Vampiren und Werwölfen unseren eigenen Nachtseiten.

Anlässlich des Kirchentags (vom 24. bis 28. Mai 2017 in Berlin und Wittenberg) senden wir auch in den kommenden drei Tagen Reportagen über die Reformationszeit, in unserer Sendung "Studio 9" gegen 7:50 Uhr. Auch die Sendung "Zeitfragen", ab 19:07 Uhr, beschäftigt sich mit dem Thema. Gebünbdelt werden alle Beiträge hier.

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