Die schönsten Frauen von Leipzig

Von Robert Brammer |
Der Filmemacher Gunter Scholz erkundet in seinem Dokumentarfilm, was aus den 20 Kandidatinnen für den Schönheitswettbewerb „Miss Leipzig“ im Mai 1989 geworden ist. Sie sind heute um die 40 und leben in der Schweiz, in Dubai, im Westen Deutschlands oder noch immer in Leipzig. Der Film ist im Panorama der Berlinale zu sehen.
" Ich finde, man sollte jede Möglichkeit nutzen, es hört sich jetzt vielleicht ein bisschen albern an, entdeckt zu werden. "

Eigentlich waren Misswahlen in der DDR verpönt. Man sah darin eine „Erniedrigung und Ausbeutung der Frau durch den Kapitalismus“. Das änderte sich erst Ende der 80er Jahre als in Ost-Berlin Schönheitswettbewerbe als Kulturabende getarnt wurden und die Siegerinnen als Preis einen Kuchen erhielten.

" Ich lebte total in einer Traumwelt. Sängerin, das war‘s irgendwie. Und irgendwie habe ich immer gehofft, dass mal ein Wunder geschieht, dass ich mal irgendwo auftreten kann, wenn‘ s nur einmal ist: So'ne große Karriere mit viel Anstrengung wollte ich eigentlich nicht. Aber wenigstens einmal im Mittelpunkt stehen, das hatte mich jetzt dazu bewogen, da mit zumachen. "

Der Filmemacher Gunter Scholz erzählt die Geschichte von jungen Frauen, die einmal „Miss Leipzig“ werden wollten. Es fanden sich ungewöhnlich viele und auch viele ungewöhnliche Kandidatinnen, von denen fast alle meinten, dass sich in ihrem Leben und ihrem oft abwechslungslosen Alltag etwas ändern sollte.

" Ich fand mich schön. Und ich hab zu der Zeit in einer Modenschautruppe gearbeitet, bei der Tante Emma. "

Der Leipziger Fotograf Gerhard Gäbler, damals noch Student, hat die Bewerberinnen porträtiert: ein Foto der Kandidatin am Arbeitsplatz, ein zweites in privater Umgebung. Entstanden sind Bilder von jungen Frauen um die 20 in typischem DDR-Interieur. Und was für das Filmprojekt heute so etwas wie ein Glücksfall ist: in Interviews, die der Fotograf auf einem Kassettenrecorder aufnahm, sprachen die potentiellen Schönheitsköniginnen damals, im Frühjahr ‚89, auch über ihren Alltag und ihre Sehnsüchte.

" Meine Lebensbedingungen zur Zeit sind ganz mies. Weil ich mir doch ein bisschen was anderes vom Leben vorgestellt hab, wie’s wirklich jetzt so ist. Ich hab keinen eigenen Wohnraum und nischten. Ich bin jetzt sechs Jahre angemeldet für Wohnraum. Und sieht auch ganz mies aus, wenn man in den Laden geht und nischt kriegt. "

18 Jahre später hat der Fotograf Gerhard Gäbler gemeinsam mit dem Filmemacher Gunter Scholz die Frauen noch einmal besucht, um von ihren extrem unterschiedlichen Lebenswegen zu erzählen.

Ines Kupfer beispielsweise lebt noch immer in Leipzig. 1989 war sie im Kraftwerk Lippendorf beschäftigt und holte nach der Wende neben der Arbeit ihr Abitur nach:

" Wir haben eigentlich immer nur verwaltet. Es war Stress pur. Sinnloser Stress. Man hat sich da gegenseitig fertig gemacht, für eine Sache, wo keiner was dran ändern konnte. So ein sozialistischer Betrieb war eigentlich nichts für junge Leute. Da kriegte man mal zwischen drin einen Anruf. Und dann kam plötzlich so ein blöder Kerl an mit einer komischen Schachtel aus dem Betriebskonsum und wollte sich mit mir verabreden. Einfach so. Das war echt furchtbar. Ich fand so was furchtbar. "

Neun Frauen erzählen über ihr Leben und von Lebensentscheidungen, die mitunter sehr banale Gründe haben konnten. Neun Porträts in 90 Minuten lassen den Film in allen Farben schillern, sind allerdings auch ein paar Lebensgeschichten zu viel. Denn einiges hätte man gern ausführlicher erzählt bekommen.

Interessant an den Aussagen der Frauen sind ihre Selbstauskünfte und ihre Haltung, weniger ihr beruflicher Alltag als Postsortiererin in der Frühschicht oder als PR-Agentin in Dubai.

" Wie war ich damals? Jung, frech, keck. Sturer Kopf, was ich heute noch teilweise habe. Tun und lassen, was ich möchte. Nicht, das mir irgend jemand sagt, du darfst das nicht machen. Wenn mir jemand was verbietet, versuchen eigen zu sagen: Ich bin meiner eigener Herr, ich mache es. "

Simone Zinguire hat zwei Kinder und arbeitet als Zimmerfrau in einem Leipziger Hotel. Verheiratet ist sie mit einem Afrikaner.

" In DDR-Zeiten war’s ein bisschen sehr schwer, muss ich dazusagen. Da wurde man schon blöd angeguckt. Das is ja von‘m Schwarzen. Wieso‘n das? Meine Kinder wurden auch angepöbelt. Du Niggerkind. Was weiß ich nicht alles. Aber meine Kinder haben gelernt, damit umzugehen. Ich habe ihnen erklärt: links rein, rechts wieder raus. Gar nicht hinhören. Ignorieren. Wenn man anfängt zu sagen: du bist selber nicht besser, guck dich mal an, gibt’s bloß Streit. "

Immer wenn die Porträts der jungen Frauen in den wunderbaren Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Gerhard Gäbler auf der Leinwand zu sehen sind, veranschaulichen diese Fotos, wie fern diese Zeit inzwischen ist. Sie geben dem Film aber auch Momente eines Innehaltens, die noch sehr viel länger hätten dauern können.

" Ich hab mich nicht wohlgefühlt auf dem Foto. Das weiß ich zu mindestens noch. Weil das war zu einer Zeit, wo eigentlich schon klar war, dass ich den Job nicht weitermache. Insofern war das für mich schon ein bisschen na unangenehmen. "

Ramona March ist heute Reiseverkehrsfrau. 1989 war sie Lehrerin und Pionierleiterin. Die Pionierleiterin verschweigt sie heute, weil sie dann immer nur in irgendwelche Schubladen gesteckt wird, die doch nie stimmen. Dass ihr Berufswunsch falsch war, wusste sie schon damals. Sie fand vieles zu vorgeschrieben, zu einengend, zu dogmatisch. Noch vor dem Ende der DDR kündigte sie.

" Ich hatte viele Gespräche mit meinem Vater. Weil das zu DDR-Zeiten nicht so einfach ist, wenn man so einen Job vor hat hinzuschmeißen, dann hat das immer einen politisch schalen Beigeschmack für das damalige System und durchaus auch Auswirkungen unter Umständen für Angehörige.“

Als die DDR unterging waren die Schönen von Leipzig 20 und jung genug, um noch einmal neu anfangen zu können. Und heute? Fast alle haben eine Arbeit, die meisten Kinder. Und auch wenn das Koordinatensystem jetzt ein anderes ist, man sieht das Leben pragmatisch und schätzt die neu hinzugewonnenen Freiheiten.

Die Rückerinnerung an die graue Wirklichkeit der DDR wird, zumindest in diesem Dokumentarfilm, zur biografischen Klammer und immunisiert ein paar Frauen, die sich einmal auf das Spiel mit dem Glanz der Schönheit eingelassen haben, vor einem nostalgisch verklärten Blick.