Die Schöne und der Krieg

28.08.2012
Ihre Waffe war der Bleistift. Mit ihm ist sie freiwillig in viele Kriege gezogen. Martha Gellhorn, amerikanische Journalistin, war dabei: im Spanischen Bürgerkrieg, bei der Befreiung Dachaus, während der Kriege in Vietnam und Nicaragua.
Sie ist auf dem dritten Lazarettschiff, das im Juni 1944 mit der riesigen Invasionsflotte von England über den Kanal setzt, und hofft, dass es durchkommt. Das Schiff ist "so weiß, dass es wehtat", und hat "nicht einmal eine Pistole an Bord". D-Day am Omaha Beach. Die Invasion der Normandie hat begonnen. Der Anfang vom Ende des zweiten Weltkriegs. Und sie will dabei sein. Sie muss.

Martha Gellhorn hat sich da längst einen Namen gemacht. Die Frau kann schreiben wie wenige. Die 1908 geborene Tochter einer liberalen deutsch-jüdisch-stämmigen Familie aus St. Louis, Missouri, weiß mit 22, dass sie schreiben und die Welt mit eigenen Augen sehen will, und geht 1930 nach Paris. 1934 beobachtet sie in Berlin früher als die meisten Kollegen, was sich in Deutschland zusammenbraut. 1937 berichtet sie für ein amerikanisches Wochenmagazin aus dem spanischen Bürgerkrieg. Es ist ihr erster Krieg, und sie verliert ihre erste Illusion: treuherzigen Pazifismus. Es ist das 20. Jahrhundert, das Jahrhundert der Gewalt und der Weltkriege. Aus der Auslandskorrespondentin wird eine, nein: die Kriegsreporterin. Fast 50 Jahre lang covert sie Kriege in aller Welt und verliert ihre zweite Illusion: dass wahrhaftiger Journalismus viel bewirkt.

Trotzdem nennt sie sich spöttisch "Kriegsgewinnlerin". "Ich kam immer mit heiler Haut davon und wurde dafür bezahlt, meine Zeit mit großartigen Menschen zu verbringen." Die Menschen sind Soldaten, aber nicht nur. Sie begleitet britische Jagdbomber beim Nachteinsatz, ist in den Schlachten um Monte Cassino und die Ardennen und schließlich bei der Befreiung von Dachau dabei. Ihr Dabeisein ist wörtlich gemeint. Auf jenem Lazarettschiff am Omaha Beach zum Beispiel tut sie Dienst, schleppt Tragen mit, schneidet Verwundeten Kleider vom Leib, hält ihnen die Zigarette an die Lippen, lernt ihre Gesichter und Geschichten kennen.

Sie hat das Gespür der Schriftstellerin für Unscheinbares, das andere nicht mitkriegen, und einen scharfen Blick für alles von Kriegslärm und -geschrei überdröhnte Zivile, das jeweilige Hinterland eingeschlossen. Sie ist in einem Maß embedded, manchmal sogar wörtlich, das heutige Medientheoretiker mit Naserümpfen quittieren. Für sie sind "Distanz" und "Objektivität" leere Hülsen, ihr eigener Stil ist das krasse Gegenprogramm: so radikal subjektiv wie akribisch informiert, getränkt mit klugem Witz, tiefer Sympathie und unbändigem Zorn. Sie ist schonungslos, auch sich selbst gegenüber, und bewegt sich so selbstbewusst wie empathisch als - obendrein schöne - Frau auch unter Soldaten, die zu ihrer Zeit alle Männer sind.

So berichtet sie aus Finnland, China, Java, Vietnam, Israel, Zentralamerika, von kleineren und großen, grausamen bewaffneten Auseinandersetzungen. So zeichnet sie nach und nach das Gesicht des Krieges. Und auch wenn sich seit 1988, als die Sammlung im Original erschien, wieder ein paar Gesichtszüge verändert haben - Martha Gellhorns Reportagen kommen gerade zum richtigen Zeitpunkt zumindest für Deutschland. Denn dieses Land ist wieder im Krieg und hat so gefährlich wenig Ahnung vom Krieg.

Besprochen von Pieke Biermann

Martha Gellhorn: Das Gesicht des Krieges
Reportagen 1937-1987

Deutsch von Hans-Ulrich Möhring
Dörlemann Verlag, Zürich 2012
576 Seiten, geb., 24,90 EUR