Die Schock-Künstlerin
Durch die „Young British Art“-Welle wurde die aus London stammende Sarah Lucas in den 90ern bekannt. Mit ihren provozierenden Installationen, die zum Beispiel Nahrungsmittel und Matratzen zu sexuell anspielungsreichen Stillleben vereinen, zählt sie zu den bekanntesten Künstlerinnen ihrer Generation.
Es ist die wohl berühmteste Matratze der jüngsten Kunstgeschichte: Auf ihr liegen zwei Orangen, die so unschuldig gar nicht sind – denn gleich hinter ihnen erhebt sich eine Gurke steil in die Höhe. Und neben dem erigierten Gemüse kleben zwei Melonen. Ein leerer Eimer liegt beziehungsreich auf dieser Matratze, und dass dieselbe auch noch fleckig ist, verschärft die Aussage erheblich. Mit solchen Installationen möchte die durch die BritArt-Hysterie in die Höhe katapultierte Sarah Lucas ein Publikum schocken, das in Kunsthallen auf eine eher sublime Verarbeitung des Eros eingestellt ist.
Auch eine Matratze mit zwei Spiegeleiern hat Lucas in ihrem Bestand und eine weitere mit einer Herrenunterhose, in der zwei Schinkenkeulen stecken. Bei den gezeigten Fotos kann von zarter Anspielung eben so wenig die Rede
sein: wenn zum Beispiel ein junger Mann posiert, wie ihn die Natur geschaffen hat – mit einer ins Auge springenden Ausnahme: zwischen seinen Oberschenkeln hält er eine Milchpulle in verschiedenen Stellungen, darunter fallen zwei runde Kekse auf. Gibt es da eine kritische Dimension in ihrer Arbeit? Oder will Sarah Lucas eben vor allem irritieren?
" Es hat Sie wohl irritiert? Deshalb fragen Sie so! Ich möchte das Publikum ein wenig kitzeln, will es anrühren. Aber sehe meine Aufgabe nicht unbedingt darin, das sexuelle Verhalten der Frauen und die Macht der Männer zu kritisieren. Es ist mir aber wichtig, ein kritisches Umfeld, eine Art Raum zu schaffen, in dem man über dieses Thema nachdenken kann. "
Eine Wanne mit Eigelb fällt unter den Objekten auf, ein Penis aus Pappmaché und zwei Brüste ganz aus Zigaretten gebastelt, in einen BH gestopft und über eine Stuhllehne gestülpt. Eine Kippe ist zwischen die Beine einer Torsofigur gesteckt, ein Stummel also prangt ausgerechnet dort, wo sich Altmeister der Bildhauerei eher in die vorsichtige Stilisierung zurückzogen. Mit Zigaretten arbeitet Sarah Lucas häufig wie überhaupt die armen, schnell zugänglichen Materialien in ihrem plakativen Werk dominieren: Tische, Glühbirnen, Bierflaschen.
Auch Kloschüsseln gehören zu ihrem Fundus und britische Boulevardzeitungen: mit den schwarzroten Spektakelseiten sind die Innenwände eines dunklen Raums tapeziert, in dem es merkwürdig riecht und der Besucher von dem blutrünstigen Medienmüll geradezu bedrängt wird. Da gibt es also einige Facetten mehr bei Sarah Lucas zu entdecken. Yilmaz Dziewior, der Leiter des Hamburger Kunstvereins, über die Schockkünstlerin:
" Was auf den ersten Blick schockierend wirkt, ist auf den zweiten Blick anrührend, es bewegt uns emotional. Ich finde die Arbeiten von Sarah Lucas beeindruckend, weil die Künstlerin mit ganz einfachen Mitteln Fragen zu Liebe und Sexualität, Leben und Tod stellt, zu Themen, die uns alle angehen. Und sie schafft es auf einzigartige Weise, denn ihre Arbeiten haben einen stark bildhaften Charakter.“
Ja, auch Vergänglichkeit und Tod sind thematischer Bestandteil ihres Werks, das so an den Rändern einen fast schon klassischen Zug bekommt. Von einem Foto lächelt uns Lucas bestimmt entgegen und stellt mit den Betrachtern eine Art Einverständnis her im Wissen um die menschliche Existenz: denn zwischen den Turnschuhen der Künstlerin liegt ein Totenschädel. Aber nicht die melancholische Vanitas-Geste herrscht in ihrem Foto-Oeuvre vor, sondern die grelle Pose: Hier hängt der Lucas eine Zigarette schief im Mundwinkel, dort zeigt sie sich mit Spiegeleiern in Brusthöhe oder sie hat sich zwei Bierdosen zwischen die Beine geklemmt. Welche Rolle spielt die Fotografie im Kontext ihrer Arbeit?
" Die Fotos sind für die Wände bestimmt, dort hängen sie, das ist ihre Rolle. Diese Porträts haben ihre eigene starke Ausstrahlung. Ich kann aber nicht sagen, ob sie in meinem Werk wichtiger sind als die Installationen. "
Der ganz große Schock will sich bei den Fotos und Installationen vielleicht nicht mehr einstellen – schließlich wird das Werk dieser frechen Künstlerin hier schon inventarisiert und kunsthistorisch zugeordnet. Und in der großen Hamburger Halle wirken diese „armen“ Objekte fast schon etwas verloren. Aber die meisten sind originell, wobei das mögliche Erschrecken über die eindeutige Symbolik schnell ins Lachen umkippen kann. Sarah Lucas hat zweifelsohne Humor, auch wenn er reichlich schroff ist.
Das Problem bei dieser schlichten Kunst besteht eher in dem millionenschweren Rummel, der vor allem in den neunziger Jahren von Medien, Sammlern und Galeristen um die fleckigen Matratzen entfacht wurde. „Sensation“ schrie man, stellte auf Ausstellungstourneen ganze Künstlerscharen vor, präsentierte zerlegte Kühe und aus Blut gegossene Skulpturen.
Lucas sagt, diese Zugehörigkeit zum Label „BritArt“ störe sie ein wenig, aber zu viele Gedanken möchte sie daran nicht verschwenden. Einträglich, das ahnen wir, war diese Vereinnahmung durch den Markt allemal. Also keine Kunst von Dauer, sondern eine Zeitgeist-Erscheinung, die Ausgeburt eines aufgeheizten Trends?
Yilmaz Dziewior: " Ich habe nichts gegen „trendig“, wenn Sie darunter eine Fähigkeit verstehen, einen bestimmten Zeitgeist zu reflektieren. Das ist eine Qualität der künstlerischen Arbeit. Bei Sarah Lucas besteht diese Zeitgeistigkeit, so dass wir uns hier und heute davon angesprochen fühlen – aber es geht weit darüber hinaus.“
In Hamburg besteht die Chance, diese Kunst noch einmal mit nüchternem Blick zu begutachten. Ohne den spekulativen Rummel. Wir erleben eine Frau, die mit sexueller Symbolik, mit Rollenklischees und eigenem Verlangen auf unerschrockene Weise spielt. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings: ohne den Hype vergangener Jahre wären wir dieser Künstlerin vielleicht nie begegnet.
Service:
Die Ausstellung „Sarah Lucas“ ist vom 16. Juli bis 9. Oktober 2005 im Hamburger Kunstverein zu sehen.
Auch eine Matratze mit zwei Spiegeleiern hat Lucas in ihrem Bestand und eine weitere mit einer Herrenunterhose, in der zwei Schinkenkeulen stecken. Bei den gezeigten Fotos kann von zarter Anspielung eben so wenig die Rede
sein: wenn zum Beispiel ein junger Mann posiert, wie ihn die Natur geschaffen hat – mit einer ins Auge springenden Ausnahme: zwischen seinen Oberschenkeln hält er eine Milchpulle in verschiedenen Stellungen, darunter fallen zwei runde Kekse auf. Gibt es da eine kritische Dimension in ihrer Arbeit? Oder will Sarah Lucas eben vor allem irritieren?
" Es hat Sie wohl irritiert? Deshalb fragen Sie so! Ich möchte das Publikum ein wenig kitzeln, will es anrühren. Aber sehe meine Aufgabe nicht unbedingt darin, das sexuelle Verhalten der Frauen und die Macht der Männer zu kritisieren. Es ist mir aber wichtig, ein kritisches Umfeld, eine Art Raum zu schaffen, in dem man über dieses Thema nachdenken kann. "
Eine Wanne mit Eigelb fällt unter den Objekten auf, ein Penis aus Pappmaché und zwei Brüste ganz aus Zigaretten gebastelt, in einen BH gestopft und über eine Stuhllehne gestülpt. Eine Kippe ist zwischen die Beine einer Torsofigur gesteckt, ein Stummel also prangt ausgerechnet dort, wo sich Altmeister der Bildhauerei eher in die vorsichtige Stilisierung zurückzogen. Mit Zigaretten arbeitet Sarah Lucas häufig wie überhaupt die armen, schnell zugänglichen Materialien in ihrem plakativen Werk dominieren: Tische, Glühbirnen, Bierflaschen.
Auch Kloschüsseln gehören zu ihrem Fundus und britische Boulevardzeitungen: mit den schwarzroten Spektakelseiten sind die Innenwände eines dunklen Raums tapeziert, in dem es merkwürdig riecht und der Besucher von dem blutrünstigen Medienmüll geradezu bedrängt wird. Da gibt es also einige Facetten mehr bei Sarah Lucas zu entdecken. Yilmaz Dziewior, der Leiter des Hamburger Kunstvereins, über die Schockkünstlerin:
" Was auf den ersten Blick schockierend wirkt, ist auf den zweiten Blick anrührend, es bewegt uns emotional. Ich finde die Arbeiten von Sarah Lucas beeindruckend, weil die Künstlerin mit ganz einfachen Mitteln Fragen zu Liebe und Sexualität, Leben und Tod stellt, zu Themen, die uns alle angehen. Und sie schafft es auf einzigartige Weise, denn ihre Arbeiten haben einen stark bildhaften Charakter.“
Ja, auch Vergänglichkeit und Tod sind thematischer Bestandteil ihres Werks, das so an den Rändern einen fast schon klassischen Zug bekommt. Von einem Foto lächelt uns Lucas bestimmt entgegen und stellt mit den Betrachtern eine Art Einverständnis her im Wissen um die menschliche Existenz: denn zwischen den Turnschuhen der Künstlerin liegt ein Totenschädel. Aber nicht die melancholische Vanitas-Geste herrscht in ihrem Foto-Oeuvre vor, sondern die grelle Pose: Hier hängt der Lucas eine Zigarette schief im Mundwinkel, dort zeigt sie sich mit Spiegeleiern in Brusthöhe oder sie hat sich zwei Bierdosen zwischen die Beine geklemmt. Welche Rolle spielt die Fotografie im Kontext ihrer Arbeit?
" Die Fotos sind für die Wände bestimmt, dort hängen sie, das ist ihre Rolle. Diese Porträts haben ihre eigene starke Ausstrahlung. Ich kann aber nicht sagen, ob sie in meinem Werk wichtiger sind als die Installationen. "
Der ganz große Schock will sich bei den Fotos und Installationen vielleicht nicht mehr einstellen – schließlich wird das Werk dieser frechen Künstlerin hier schon inventarisiert und kunsthistorisch zugeordnet. Und in der großen Hamburger Halle wirken diese „armen“ Objekte fast schon etwas verloren. Aber die meisten sind originell, wobei das mögliche Erschrecken über die eindeutige Symbolik schnell ins Lachen umkippen kann. Sarah Lucas hat zweifelsohne Humor, auch wenn er reichlich schroff ist.
Das Problem bei dieser schlichten Kunst besteht eher in dem millionenschweren Rummel, der vor allem in den neunziger Jahren von Medien, Sammlern und Galeristen um die fleckigen Matratzen entfacht wurde. „Sensation“ schrie man, stellte auf Ausstellungstourneen ganze Künstlerscharen vor, präsentierte zerlegte Kühe und aus Blut gegossene Skulpturen.
Lucas sagt, diese Zugehörigkeit zum Label „BritArt“ störe sie ein wenig, aber zu viele Gedanken möchte sie daran nicht verschwenden. Einträglich, das ahnen wir, war diese Vereinnahmung durch den Markt allemal. Also keine Kunst von Dauer, sondern eine Zeitgeist-Erscheinung, die Ausgeburt eines aufgeheizten Trends?
Yilmaz Dziewior: " Ich habe nichts gegen „trendig“, wenn Sie darunter eine Fähigkeit verstehen, einen bestimmten Zeitgeist zu reflektieren. Das ist eine Qualität der künstlerischen Arbeit. Bei Sarah Lucas besteht diese Zeitgeistigkeit, so dass wir uns hier und heute davon angesprochen fühlen – aber es geht weit darüber hinaus.“
In Hamburg besteht die Chance, diese Kunst noch einmal mit nüchternem Blick zu begutachten. Ohne den spekulativen Rummel. Wir erleben eine Frau, die mit sexueller Symbolik, mit Rollenklischees und eigenem Verlangen auf unerschrockene Weise spielt. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings: ohne den Hype vergangener Jahre wären wir dieser Künstlerin vielleicht nie begegnet.
Service:
Die Ausstellung „Sarah Lucas“ ist vom 16. Juli bis 9. Oktober 2005 im Hamburger Kunstverein zu sehen.