Die Schnittmenge von fiktivem und erlebtem Leben

Von Kim Kindermann |
Für ihren Roman "Der Körper meines Bruders" erhält Léda Forgó in diesem Jahr den Chamisso-Förderpreis. Darin erzählt sie die skurrile, wie auch tiefsinnige Mutter-Tochter-Geschichte von Magda und Borka Pataki. Das sei alles erfunden, sagt Léda Forgó über ihre Romanheldinnen. Doch je näher man die Autorin kennen lernt, um so mehr wirkt Borka wie das Alter ego der 35-jährigen Ungarin, die auch von ihrer Mutter allein großgezogen wurde.
Léda Forgó: "Das ist die Situation zweier Frauen, die sehr nahe sind, aber das sind schon verschiedene Personen, das ist nicht unsere Geschichte. Es ist eine Ausgangssituation, die ich kannte und dann konnte ich weiter dichten .. ich hatte Wurzeln in einer erfundenen Geschichte sozusagen."

Léda Forgó. Zierlich, klein - nicht größer als 1 Meter 55. Dabei wunderschön mit riesigen blauen Augen, einem vollen Mund und dunklen schwarz-braunen Haaren. Kurzgeschnitten wie bei einem Jungen. Dazu schlichte Klamotten: Jeans, T-Shirt und braune Strickjacke. Kaum Schmuck. Aber dafür diese Augen und ihre Geschichte.

"Ich hatte eine viel zu enge Bindung zu meiner Mutter, in der Pubertät kam schlagartig eine heftige Entfremdung und das hat nach ein paar Jahren wieder aufgehört und diese fast symbiotische Bindung hat sich wieder eingeschlichen. Bis heute telefonieren wir drei mal täglich!" (Lachen)

Léda und Martha oder Borka und Magda - von wem die Rede ist, kann man oft nur schwer unterscheiden. Zu ähnlich sind sich die Lebensläufe, zu verwoben. So wie die Romanfigur Borka wächst auch Léda Forgó allein mit ihrer Mutter Martha in Budapest auf. Auch ihr Vater nimmt sich das Leben, da ist Léda gerade mal drei Jahre alt. Und wie auch im Roman gibt es diesen geliebt-gehassten Stiefvater:

"...und meine Sehnsucht, dass er mich liebt und Sehnsucht, dass er verschwindet und mich wieder allein lässt mit meiner Mutter. Es gab bei uns sehr viel heiß und kalt. Viele Gegensätze halt.

Meine mentale Entwicklung hat viel mit ihm zu tun. Er war Historiker. Ich habe auch Geschichte studiert und auch sein Interesse für Literatur habe ich von ihm mitbekommen."
Die Mutter, eine Wirtschaftswissenschaftlerin, die beim Staat angestellt und für die Stadtentwicklung zuständig ist, ist eher naturwissenschaftlich orientiert. Wie auch Lédas leiblicher Vater. Alles, was sie von ihm hat, ist ein Schwarzweißfoto und eine Kohlestiftzeichnung, die heute über ihrem Schreibtisch in ihrer 80 Quadratmeter großen Wohnung in Berlin-Schöneberg hängen. Ansonsten ist er ein Phantom für mich, sagt sie.

Ihre Liebe zur Literatur entdeckt Léda Forgó schon früh: Mit zehn Jahren beginnt sie Bücher, die sie besonders mag, weiter zu schreiben. "Vom Winde verweht" war so ein Buch, wie sie lachend gesteht. Sie denkt sich Gedichte aus und behauptet anschließend, sie seien von bekannten Autoren. Der Trick kommt an. Doch bis sie eigene Geschichten schreibt, vergehen noch Jahre - und einige Studiengänge.

"Tatsächlich habe ich elf Jahre studiert: Pädagogik, BWL, Geschichte, Archäologie und zum Schluss szenisches Schreiben."

Nach Deutschland kommt Léda Forgó 1994. Ein Wunsch aus Kindertagen geht damit in Erfüllung. Hier findet sie schließlich ihre Bestimmung: Für ein Seminar während des Figurentheater-Studiums - damals noch in Stuttgart - schrieb sie eine Seite zur Rollenbeschreibung ihrer Figuren.

"Da hat mein Lehrer gesagt, Léda du musst schreiben! Und das war einfach eine Seite und ein Satz. Und das war der Punkt, wo ich dann dieses Hochschulheft genommen habe und geguckt habe, wo es so einen Studiengang gibt und dann habe ich das in Berlin gefunden. Ich habe dann die Aufnahmeprüfung mitgemacht und wurde genommen und damit war mein Leben in die heutige Bahn gelenkt worden."

Schon kurze Zeit später feiert sie erste Erfolge: 2000 wird ihr Stück "Onkel Gol und die Wespen" im Rahmen der Göttinger Dramatikerwerkstatt uraufgeführt. Für die Novelle "Wie im schlechten Film" erhält sie ein Stipendium des Berliner Senats. Und sie wird schwanger: Ende 2000 kommt ihr Sohn Finn zur Welt. Ein Jahr später die Zwillinge Moa und Tammy.

"Die Zwillinge waren nicht geplant. Ein Schock. Ein schöner Schock!" (Lachen)

2007 schließlich der Roman "Der Körper meines Bruders": Diese wunderbar skurrile Mutter-Tochter-Geschichte, in der es um den Verlust des Zwillingsbruders und des Vaters, um Sehnsucht und das Erwachsenwerden geht. Und wieder schließt sich der Kreis. Wie auch in ihrem Buch hat Léda Forgó es auch im echten Leben mit Zwillingen zu tun. Diesmal zwar als Mutter, alleinerziehend ist sie aber auch. Alles also nur erfunden? Ja, erklärt die Wahl-Berlinerin lachend. Genau wie der zweite Roman, an dem Léda Forgó heute schon schreibt - auch er rein fiktiv.