"Die Schlacht ist ein unglaublich gewalttätiges Ereignis"

Der Wissenschaftler André Schürger setzt sich in Lützen mit der militärischen Auseinandersetzung den kaiserlichen und protestantischen Truppen auseinander. Man müsse sich dabei Metalldetektoren bedienen, sagte Schürger.
Dieter Kassel: Während des 30-jährigen Krieges, am 16. November 1632, standen sich bei Lützen die kaiserlichen Truppen unter dem Kommando von Wallenstein und die protestantischen unter dem Kommando des Schwedenkönigs Gustav Adolf gegenüber. In dieser Schlacht wurde Gustav Adolf getötet. Davon abgesehen aber waren sich die Historiker bisher überwiegend darin einig, dass es keinen eindeutigen Sieger und auch keinen eindeutigen Verlierer gab. Gleichwohl, man weiß vielleicht noch immer nicht alles, was man über diese Schlacht wissen kann.

Denn eine noch relativ junge Forschungsrichtung widmet sich gerade jetzt dem, was man dort in Lützen, den Ort gibt es natürlich noch, er liegt im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt, allerdings direkt an der Grenze zu Sachsen, kurz vor Leipzig. Was man dort noch finden kann, diese neue Forschungsrichtung, diese relativ neue, ist die Schlachtfeldarchäologie. Und jetzt, ungefähr 376 Jahre nach der Schlacht, am Wochenende ist der Jahrestag, jetzt forscht dort in der Nähe von Lützen u.a. der Schlachtfeldarchäologe André Schürger. Schönen guten Tag, Herr Schürger!

André Schürger: Ja, guten Tag!

Kassel: Wenn Sie über dieses Gelände gehen heute, was Sie ja immer mal wieder machen, haben Sie dann eigentlich inzwischen vor Ihrem inneren Auge ein Bild? Sehen die Schlacht? Hören Sie die Geräusche von damals?

Schürger: Ja, das kann man im Prinzip schon sagen. Ich arbeite da jetzt schon einige Jahre, 2006 begann das Projekt ja. Und man hat sich dann natürlich so ein bisschen eingesehen und eingelebt auf dem Schlachtfeld, kann man fast schon sagen.

Kassel: Nach fast 376 Jahren, am Wochenende, ich habe es erwähnt, ist das Jubiläum. Was kann denn ein Archäologe da heute noch finden konkret?

Schürger: Ja, was wir natürlich finden, sind die ganzen kleinen Gegenstände, die dort auf dem Feld liegen geblieben sind. Man muss sich das so vorstellen, die Schlacht ist ein unglaublich gewalttätiges Ereignis. Viele Soldaten sterben. Nach der Schlacht wird das Schlachtfeld geplündert, erst von dem Sieger, dann von der einheimischen Bevölkerung. Im späteren Verlauf wird das, was noch an größeren Gegenständen ist, von den Bauern noch aufgelesen. Das, was wir noch finden, sind die ganz kleinen Gegenstände, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann. Das sind im Prinzip vor allem die Bleikugeln der Handfeuerwaffen, aber auch zum Beispiel Teile von Gürtelschnallen, Knöpfe, also alles, was so in der Schlacht verloren gehen kann, abgerissen werden kann.

Kassel: Da das ja, was Sie erwähnt haben, Gürtelschnallen, Blei, das sind Metalle, gehen Sie mit Metalldetektoren übers Feld?

Schürger: Ja, die Schlachtfeldarchäologie bedient sich, muss sich den Metalldetektoren bedienen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.

Kassel: Wenn Sie jetzt zum Beispiel eine Bleikugel finden oder auch eine Gürtelschnalle, ich nehme an, bleiben wir bei der Gürtelschnalle. Sie können sicherlich identifizieren, zu welchem Teil der beiden beteiligten Truppen die gehört haben? Aber was haben Sie dann davon?
Schürger: Erst mal kann man das nicht genau unterscheiden.

Kassel: Nicht mal das?

Schürger: Nicht mal das bzw. da sind wir noch dabei. Da steckt die Forschung noch ganz in den Anfängen. Da es zu dem Zeitpunkt noch keine wirklichen Uniformen gegeben hat, das Heer von Wallenstein war ein reines Söldnerheer. Das Heer von Gustav Adolf war auch zum größten Teil ein Söldnerteil, nur wenige Schweden waren dabei. Gustav Adolf hat ja so was wie eine Wehrpflicht schon eingeführt.

Und die hatten alle natürlich keine wirklichen Uniformen an, außer vielleicht die Schweden von Gustav Adolf. Das heißt, die haben sich mit dem eingedeckt, was eben vor Ort, wo die Truppe aufgestellt wurde, angeboten wurde auf dem Markt. Was noch möglich ist, sind einige Gegenstände, zum Beispiel haben wir einige Schnallen, die wir auf zeitgenössischen Gemälden identifiziert haben, diese Schnallen gehören zu dem Schwertgehänge.

Und das ist natürlich ganz klar in Verbindung mit der Kavallerie, mit der Reiterei zu setzen, da die Fußtruppen, die Infanterie eigentlich nicht mit Schwertern ausgerüstet sind. Und die liegen auch tatsächlich an der Stelle, wo die Reiterei gekämpft hat. Da lässt sich dann auch anhand zum Beispiel der Gürtelschnallen, und wir hoffen auch demnächst anhand der Knöpfe, einige Aussagen treffen, wo gekämpft wurde, wie groß das ganze Schlachtfeld ist usw.

Kassel: Wie können Sie denn wissen, wenn Sie zum Beispiel in einem bestimmten eng begrenzten Gebiet besonders viele Bleikugeln finden oder, was Sie gerade beschrieben haben, andere Indizien, wie können Sie denn wissen, dass da wirklich so viel liegt, weil da eben entsprechend viel passiert ist und das nicht andererseits das Zufall ist, weil woanders die Dinger schon weggeräumt wurden?

Schürger: Ja, das wissen wir natürlich erst mal nicht von vornherein. Es gibt natürlich die historischen Quellen, da kann man sich schon mal in etwa ein Bild machen von der Schlacht, wo möglicherweise die Kämpfe am härtesten gewesen sind. Aber es ist nicht nur das wichtig, wir müssen natürlich auch die Grenzen des Schlachtfeldes identifizieren. Und was das Abräumen angeht, das ist natürlich in der Tat ein Problem. Wir haben sehr viele private Sondengänger, die illegal auf den Schlachtfeldern plündern, kann man nicht anders sagen. Allerdings hält sich das in Lützen noch in Grenzen.

Kassel: Nun haben wir ja über die Metalldetektoren gesprochen und damit finden Sie logischerweise alles, was in irgendeiner Form aus Metall besteht oder Metall enthält. Wie ist es denn, wenn Sie genauer suchen, auch auf diesem Feld bei Lützen, lassen sich da heutzutage noch Knochen finden, eingeschlagene Schädel vielleicht, Leichenteile?

Schürger: Die liegen natürlich wesentlich tiefer. Die können wir mit Metallsonden nicht entdecken. Das ist nicht möglich. Selbst, wenn die hoch gepflügt sein sollten, liegen die dann an der Oberfläche und vergehen dann relativ schnell. Das hält sich eigentlich, Knochenmaterial ist ja organisches Material, erhält sich nur, solange es unter Lufteinschluss und dann im Boden bleibt. Und nach denen suchen wir, das ist nicht unsere Hauptaufgabe, diese Massengräber zu finden. Da gibt es andere Möglichkeiten, zum Beispiel per Luftbilder, die haben wir auch schon gemacht. Da ließ sich leider nichts erkennen. Und es ist geplant für nächstes Jahr geophysikalische Methoden anzuwenden. Dort kann man größere Bodeneingriffe feststellen. Und so hoffen wir dann auch auch die Massengräber in Zukunft zu finden.

Kassel: Wir reden gerade hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Schlachtfeldarchäologen André Schürger, der seit 2002 auf dem Schlachtfeld bei Lützen, im heutigen Sachsen-Anhalt forscht, wo am 16. November 1632 die große Schlacht des 30-jährigen Krieges stattgefunden hat, in deren Verlauf der Schwedenkönig Gustav Adolf getötet wurde. Das, was man nun bisher von den Historikern weiß über diese Schlacht, Herr Schürger, das ist, ich habe es erwähnt, zum einen so einfach ausgedrückt die Meinung, das tragische Ereignis war natürlich der Tod des Schwedenkönigs. Dennoch hat keine der beiden Seiten diese Schlacht eindeutig gewonnen. Beide haben enorme Verluste einstecken müssen. Das wissen wir alles, das steht in den Schulbüchern. Haben Sie in den letzten zwei Jahren schon Indizien gefunden, die auf so ein paar Dinge hindeuten, was den Verlauf der Schlacht angeht, die bisher so nicht bekannt war?

Schürger: Zum einen, wir haben unter anderem auch Ausgrabungen gemacht letztes Jahr, und zwar hat Wallenstein einen Tag vor der Schlacht, der hat das Schlachtfeld einen Tag vor der Schlacht erreicht, wohl angeblich nach den schriftlichen und nach den bildlichen Quellen Gräben ausgehoben. Und zwar hat er sein Heer hinter der großen Straße nach Leipzig aufgestellt und hat die schon vorhandenen Straßengräben verwendet und dort wohl Schützengräben angelegt. Und angeblich sollte dies ein Doppelgrabensystem gewesen sein, eben beide Straßengräben, von Lützen durchgehend bis zum Floßgraben. Das ist eine Markierung im Gelände, ein sehr tiefer Bach, der quasi von Reiterei nicht überschritten werden kann. Und in diesem Dreieck wollte er sich verteidigen und dort haben wir Grabungen angelegt, Schnitte angelegt, und wir haben dort diese Schützengräben, die eigentlich hätten da sein sollen, nicht gefunden. Man kann da schon von ausgehen, die werden wohl irgendwo sein, aber die sind eben nicht durchgehend. Das hat kein doppeltes durchgehendes Grabensystem gegeben. Und das ist natürlich sehr entscheidend, wenn immer behauptet wird, dass die Kavallerie von Gustav Adolf enorme Schwierigkeiten hatte, diese Gräben zu überschreiten und einen großen Umweg machen musste. Das stimmt so nicht.

Kassel: Sind denn eigentlich oder könnten in Zukunft sein, je nachdem, was für Erkenntnisse, nicht nur bezüglich dieser Schlacht, die Archäologen hervorbringen werden, sind Archäologen und Historiker in diesem Punkt dann eher Konkurrenten?

Schürger: Ja, das ist natürlich die große Frage. Ich hoffe es nicht, weil letztendlich ist es einfach eine neue Quellengattung, die einfach zusätzlich mit herangezogen wird, um einfach mehr Licht ins Dunkel zu bringen.

Kassel: Warum wird die Schlachtfeldarchäologie zumindest in Deutschland und in Mitteleuropa erst jetzt groß und wird ernst genommen? Denn ist ja klar, wenn wir was grad über die Antike wissen wollen, dann war das, was die Archäologen gefunden haben, immer eine der vielen Quellen und oft auch eine der wichtigsten. Warum ist das gerade in Bezug auf Krieg etwas Neues? Hat das damit zu tun, dass vielleicht der eine oder andere denkt, na ja, ein Archäologe, der da nach Gewehrkugeln und Ähnlichem sucht, das ist an sich jemand, der den Krieg verherrlicht?

Schürger: Ja, ich denke mal, so eine gewisse Meinung besteht. Wir haben natürlich in Deutschland auch ein enormes Problem, überhaupt uns mit Krieg zu beschäftigen, natürlich, das muss man ganz klar sagen, aufgrund unserer Vergangenheit. Die andere Sache ist natürlich, dass die Schlachtfeldarchäologie natürlich erst vor wenigen Jahrzehnten überhaupt möglich wurde, weil einfach dort erst die Metallsonden im Handel zu bezahlbaren Preisen und vernünftigen Metallsonden überhaupt erhältlich waren. Vorher war das Ganze gar nicht möglich.

Kassel: Welche Zeiten sind denn für einen Schlachtfeldarchäologen interessant und auch sinnvoll? Ich meine, klar, ganz alte Schlachten, würde ich als Laie mal erraten, kann man ja auf die Art und Weise nicht untersuchen, weil da keine Metallgegenstände im Einsatz waren oder zumindest nicht vergleichbar mit dem 30-jährigen Krieg. Aber wenn wir in die andere Richtung zeitlich gehen, wir haben erst vor ein paar Tagen gelesen, dass es neue Erkenntnisse darüber gibt, dass, glaube ich, 90 Prozent aller Filmmaterialien, die wir vom Ersten Weltkrieg kennen, nicht echt sind, sondern nachgestellt, nur zehn Prozent sind echt, geisterte durch die Presse. Ist das eine Zeit, wo auch schon Schlachtfeldarchäologe was finden kann, oder sagen Sie, nein, da wissen wir so viel aus anderen Quellen, das macht keinen Sinn, dass wir da arbeiten?

Schürger: Ich war jetzt gerade jetzt auf zwei Kongressen, einmal in Halle und einmal in Gent, in Belgien. Und dort waren tatsächlich, gerade in Gent, einige Schlachtfeldarchäologen, die sich auch mit dem Ersten und sogar mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Und das ist eben ein großer Irrglaube, dass man alles weiß von den ganzen Kämpfen, die dort stattgefunden haben, selbst wenn sogar noch Augenzeugen existieren, die vielleicht daran teilgenommen haben. Die Schlachtfeldarchäologie gibt da doch noch ganz entscheidende Hinweise, die so nicht mehr aus den schriftlichen Quellen, selbst mit Augenzeugen, nicht mehr zu rekonstruieren sind.

Kassel: Gibt es eigentlich genügend Schlachtfeldarchäologen? Denn ich muss echt sagen, Sie sind der erste, mit dem ich persönlich rede. Gibt es da genügend Menschen, die das überhaupt können?

Schürger: Nein, gibt es nicht. Es ist wie gesagt eine ganz neue Forschungsdisziplin. Es gibt in Deutschland noch keine Lehrstuhl für Schlachtfeldarchäologie und selbst in den USA und Großbritannien, wo es das Ganze schon etwas länger gibt, werden diese Lehrstühle gerade eben erst eingeführt.

Kassel: Sozusagen sind Sie dann noch einer von ganz wenigen. Der Schlachtfeldarchäologe André Schürger war das. Er erforscht mit seinen Methoden schon seit 2006 den Verlauf der Schlacht bei Lützen im 30-jährigen Krieg. Eine Schlacht, die sich am kommenden Sonntag zum 376. Mal jährt. Herr Schürger, ich danke Ihnen und vielleicht haben wir beide auch dem einen oder anderen jetzt eine Berufsanregung gegeben.

Schürger: Ja, vielen Dank!