"Die Scheu vor der Verantwortung ist die Krankheit unserer Zeit"
Schon im antiken Athen oder Rom zählte die Kunst der Rhetorik zur unverzichtbaren Grundausbildung für die künftig Mächtigen im Staate. Die jungen Hoffnungsträger erfuhren von ihren Lehrern, welch ein wunderbarer Verführer die Sprache doch sei, wie sehr das Pathos des Wortes die Wirklichkeit verschleiern kann. "Des Menschen Wort ist mächt'ger als die Tat", meinte schon der griechische Dramatiker Sophokles in seiner Tragödie "Antigone". Und dabei ist es in der Politik bis heute geblieben.
Ein "Koalition der Verantwortung" regiere derzeit in Berlin, weiß beispielsweise SPD-Chef Matthias Platzeck in diesen Tagen seinen Parteifreunden und seinen Wählern zu verkünden. Und die trotz sichtbarer Entscheidungsverweigerung überraschenderweise schon allseits gepriesene Kanzlerin erklärt ihren Anhängern, die Zeit der "neuen sozialen Gerechtigkeit" sei nun gekommen. In der Opposition preist die FDP wortreich den Segen des Turbokapitalismus, da er angeblich der Überwinder der Massenarbeitslosigkeit ist. Wobei die Freidemokraten zu erwähnen vergessen, dass der Grundstock zum Arbeitslosendesaster während ihrer politischen Ehe mit Helmut Kohl gelegt worden war. Die Grünen wiederum überspielen mit bislang wenig gekonnter Rhetorik, dass sie noch kürzlich als langjähriger Koalitionspartner vieles mitentschieden haben, was sie jetzt wieder als miserable Politik beklagen. Die Linke um die Ämterflüchtlinge Lafontaine und Gysi verspricht ein sozialistisches Paradies, das, nimmt man sie beim Wort, natürlich unfinanzierbar ist. Was sie trotz aller lauthals gelebten Gegensätze vereint, ist das Wissen um die Macht des Wortes.
Und so fabulieren sie denn von Verantwortung und politischer Ethik, von Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität. Es gehe um das Allgemeinwohl und die Zukunft der kommenden Generationen, erzählen sie in schönen, langen Sätzen, um den Kampf gegen die Armut und die Ausbildung unserer Kinder. Nur seltsam, um so stärker die gesellschaftlichen Probleme wachsen, um so mehr sie Entscheidungen fordern, die nicht immer sehr populär sind, umso wortreicher werden die Ankündigungen oder der Ruf nach ethischen Werten, wie Verzicht und Einsicht in das angeblich Notwendige. Bei der Ethik ist allerdings in erster Linie das Volk gemeint, das törichterweise immer noch glaubt, es sei der Souverän im Lande.
Die Wirklichkeit hinter den vollmundigen Wortkaskaden sieht so aus: Wenn der Stromkonzern Eon für 55 Milliarden Euro einen spanischen Energiekonzern kaufen will, dann finanziert er dies mit den riesigen Gewinnen der letzten Jahre, die von uns, den Stromverbrauchern gezahlt werden mussten. Die Gewinne, die winken, sind aber für die Aktionäre reserviert. Wenn die Telekom oder die Deutsche Bank Rekordgewinne verkünden, vergessen sie nicht den Hinweis, nun seien neue Entlassungen zum Wohle von Unternehmen und Vaterland unvermeidbar. Wenn die Lohnquote in Deutschland in den letzten Jahren ziemlich heftig sinkt, die Vermögens- und Unternehmensgewinne dagegen kräftig ansteigen, dann ruft die Politik den Bürgern zu, schnallt den Gürtel enger. Wenn Pisa-Studien und UN-Beobachter unserem Bildungssystem verheerende Noten geben, streiten Bund und Länder um Kompetenzen und versinken in ideologischen Machtkämpfen um Gesamtschulen oder Eliteuniversitäten.
Wohin der erstaunte Steuer-, Strom-, Gas- oder Benzinzahler, der Arbeitslose oder der vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld befreite Arbeitnehmer schaut, er erlebt eine verbale Schlacht, die mit Worthülsen geführt wird. "Die Scheu vor der Verantwortung ist die Krankheit unserer Zeit." Wir zitieren den Machtpolitiker Otto von Bismarck nur ungern. Aber da der Eiserne Kanzler mit diesem Satz nicht auf das von ihm ungeliebte Volk zielte, sondern auf seine ebenso wenig geachteten Kollegen in der Politik, besitzt sein Wort in diesem Fall sehr aktuelle Gültigkeit.
Wilhelm von Sternburg, geboren 1939 in Stolp (Pommern), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt/Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb u.a. Biographien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher "Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie" und "Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne".
Und so fabulieren sie denn von Verantwortung und politischer Ethik, von Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität. Es gehe um das Allgemeinwohl und die Zukunft der kommenden Generationen, erzählen sie in schönen, langen Sätzen, um den Kampf gegen die Armut und die Ausbildung unserer Kinder. Nur seltsam, um so stärker die gesellschaftlichen Probleme wachsen, um so mehr sie Entscheidungen fordern, die nicht immer sehr populär sind, umso wortreicher werden die Ankündigungen oder der Ruf nach ethischen Werten, wie Verzicht und Einsicht in das angeblich Notwendige. Bei der Ethik ist allerdings in erster Linie das Volk gemeint, das törichterweise immer noch glaubt, es sei der Souverän im Lande.
Die Wirklichkeit hinter den vollmundigen Wortkaskaden sieht so aus: Wenn der Stromkonzern Eon für 55 Milliarden Euro einen spanischen Energiekonzern kaufen will, dann finanziert er dies mit den riesigen Gewinnen der letzten Jahre, die von uns, den Stromverbrauchern gezahlt werden mussten. Die Gewinne, die winken, sind aber für die Aktionäre reserviert. Wenn die Telekom oder die Deutsche Bank Rekordgewinne verkünden, vergessen sie nicht den Hinweis, nun seien neue Entlassungen zum Wohle von Unternehmen und Vaterland unvermeidbar. Wenn die Lohnquote in Deutschland in den letzten Jahren ziemlich heftig sinkt, die Vermögens- und Unternehmensgewinne dagegen kräftig ansteigen, dann ruft die Politik den Bürgern zu, schnallt den Gürtel enger. Wenn Pisa-Studien und UN-Beobachter unserem Bildungssystem verheerende Noten geben, streiten Bund und Länder um Kompetenzen und versinken in ideologischen Machtkämpfen um Gesamtschulen oder Eliteuniversitäten.
Wohin der erstaunte Steuer-, Strom-, Gas- oder Benzinzahler, der Arbeitslose oder der vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld befreite Arbeitnehmer schaut, er erlebt eine verbale Schlacht, die mit Worthülsen geführt wird. "Die Scheu vor der Verantwortung ist die Krankheit unserer Zeit." Wir zitieren den Machtpolitiker Otto von Bismarck nur ungern. Aber da der Eiserne Kanzler mit diesem Satz nicht auf das von ihm ungeliebte Volk zielte, sondern auf seine ebenso wenig geachteten Kollegen in der Politik, besitzt sein Wort in diesem Fall sehr aktuelle Gültigkeit.
Wilhelm von Sternburg, geboren 1939 in Stolp (Pommern), war Fernseh-Chefredakteur des Hessischen Rundfunks in Frankfurt/Main. Er lebt jetzt überwiegend in Irland. Sternburg schrieb u.a. Biographien über Konrad Adenauer, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher "Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie" und "Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne".