Die Schändung
Der Skandal begann, wie so oft, nach dem Skandal; in dem Moment nämlich, da ihm alle ein Ende zu bereiten versuchten. Und immerhin schien halb Frankfurt in Aufruhr nach der Spitzenmeldung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der zu Folge ein "Übergriff" erfolgt sei auf den hauseigenen Theaterkritiker; als sei Gerhard Stadelmaier mindestens vergewaltigt oder mit dem Gummiknüppel gezüchtigt worden.
Der Geschändete selber stellte Anzeigen in Aussicht; peinlich. Noch peinlicher: Frankfurts CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth warf sich prompt für die Freiheit der Kritik in die Bresche. Auf dem Fusse folgte (und das ist das allerpeinlichste!) die Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger – verblüffenderweise aber nicht etwa mit einem Plädoyer für die Freiheit der Kunst und der nötigen Rückenstärkung für das eigene Ensemble, sondern mit dem Kotau vor dem Lokal-Papst der Theaterkritik - so wenig Rückgrat muss eine erst mal haben; und diese Frau soll ernsthaft im Gespräch sein für die Intendanz-Nachfolge am Burgtheater in Wien!
Sie beendete das Dienstverhältnis mit dem Schauspieler Thomas Lawinky; der kein bedeutender, aber in seiner Eigenheit beachtlicher Akteur ist – und für die Aktion, selbst wenn sie mehr war als nur Teil von Sebastian Hartmanns Inszenierung von Ionescos "Großem Massakerspiel", alle Hochachtung verdient: Weil er nichts weiter getan hat als einmal einigermaßen angemessen zu antworten auf das, was Theaterkritiker immer wieder mit Theatermachern tun: sie in der beruflichen Ehre zu kränken.
Leider muss in diesem speziellen Fall über Kollegen, also den Kollegen Gerhard Stadelmaier, offen geredet werden: Weil auch er selber sich stets zum speziellen Sonderfall stilisiert. Überliefert von ihm sind Zitate wie das, demzufolge (sinngemäß) eine gelungene Pointe im eigenen Text allemal wichtiger sei als die positive Antwort auf die Frage, ob diese Pointe wohl irgendwas mit der Inszenierung zu tun hat. Folglich schreibt er konsequenterweise Theaterkritiken für Leser, die sich eher nicht fürs Theater, aber unbedingt und an sich für Kritik interessieren.
Kollege (das Wort fällt schwer, mir jedenfalls; aber trotzdem und gerade heute), "Kollege Stadelmaier" geriert sich dabei als Scharf- und Hinrichter, überhaupt und vor allem als Richter, wo immer er kann und zu müssen meint – und da muss er natürlich die Attacke auf seinen geliebten Spiralblock mindestens für ein Sakrileg halten. Solches Denken wächst, wo Meinung in Sachen Kunst "ex cathedra" und nicht als Ergebnis von Diskursen verkündet wird; also immer dort, wo Journalisten sich als Stellvertreter der Kunst-Götter auf Erden verstehen dürfen. Und die Allgemeine aus Frankfurt ist der Humus genau dafür.
Dabei weiß (oder ahnt) doch jeder, der eigene, letztlich (und wie fundiert auch immer) private Meinungen über künstlerische Vorgänge zu Papier bringt oder nächtens im "Fazit" vorträgt, wie wiegelwagelwindelweich die eigene Position stets ist, ja sein muss; jede und jeder andere hat doch an jedem Abend die jeweilige Aufführung immer ein ganz klein bisschen anders gesehen – und unsereins eröffnet immer nur den inneren Dialog über das, was für jeden und jede jeweils zu sehen war; und den äußeren Dialog darüber, was eventuell auch die weitere Kundschaft noch interessieren könnte; oder sollte.
Mehr ist nicht drin, alles andere ist Hybris und ein bisschen überkandidelt. Würde der Herr S. aus F. ohne derlei Überwertigkeitskomplex (und also etwas lebendiger und humorbegabter) durchs Leben und ins Theater gehen, er hätte vielleicht sogar Spaß an der ruppigen Frankfurter Mitspiel-Aktion empfinden können. Aber das kann eben er - und das können selbsternannte Secondhand-Päpste wie er - eben nicht. Niedriger hängen, kann der gute Rat da nur lauten; vor allem sich selber gegenüber.
Es geht übrigens auch anders. Vor Jahresfrist war der Frankfurter Kritiker-Konkurrent Peter Michalczyk genötigt, in Andreas Kriegenburgs Fassung der "Idioten" von Lars von Trier unvorbereitet und live in der Premiere eine Menge ziemlich schrägen Text ins Mikrophon zu sprechen; Prüfung bestanden! Und auch in Bremen wurde mal dem lokalen Kollegen Rainer Mammen wie jetzt Stadelmaier spektakulär und unter lästerlichen Kommentaren der Notizblock entwendet; und hinterher natürlich zurückgegeben. Mammen hat derweil wahrscheinlich irgendwie anders weiter memoriert – und den Vorgang hinterher leicht pikiert in der Kritik erwähnt. Aber klagen? Ach was. Warum denn?
Schließlich zeigt eine Karikatur über die Uraufführung von Arnolt Bronnens aufregendem Bühnenschocker "Die Exzesse" anno 1922 im Berliner Lessing-Theater, wie da die Schauspieler amüsiert dem Publikum zuschauen, das seinerseits von Stuhl zu Stuhl und Reihe um Reihe zur Zimmerschlacht zwischen Kritikern und Befürwortern angetreten ist: und sich gegenseitig die Hucke voll haut.
So lange es so weit nicht kommt, ist alles halb so schlimm.
Sie beendete das Dienstverhältnis mit dem Schauspieler Thomas Lawinky; der kein bedeutender, aber in seiner Eigenheit beachtlicher Akteur ist – und für die Aktion, selbst wenn sie mehr war als nur Teil von Sebastian Hartmanns Inszenierung von Ionescos "Großem Massakerspiel", alle Hochachtung verdient: Weil er nichts weiter getan hat als einmal einigermaßen angemessen zu antworten auf das, was Theaterkritiker immer wieder mit Theatermachern tun: sie in der beruflichen Ehre zu kränken.
Leider muss in diesem speziellen Fall über Kollegen, also den Kollegen Gerhard Stadelmaier, offen geredet werden: Weil auch er selber sich stets zum speziellen Sonderfall stilisiert. Überliefert von ihm sind Zitate wie das, demzufolge (sinngemäß) eine gelungene Pointe im eigenen Text allemal wichtiger sei als die positive Antwort auf die Frage, ob diese Pointe wohl irgendwas mit der Inszenierung zu tun hat. Folglich schreibt er konsequenterweise Theaterkritiken für Leser, die sich eher nicht fürs Theater, aber unbedingt und an sich für Kritik interessieren.
Kollege (das Wort fällt schwer, mir jedenfalls; aber trotzdem und gerade heute), "Kollege Stadelmaier" geriert sich dabei als Scharf- und Hinrichter, überhaupt und vor allem als Richter, wo immer er kann und zu müssen meint – und da muss er natürlich die Attacke auf seinen geliebten Spiralblock mindestens für ein Sakrileg halten. Solches Denken wächst, wo Meinung in Sachen Kunst "ex cathedra" und nicht als Ergebnis von Diskursen verkündet wird; also immer dort, wo Journalisten sich als Stellvertreter der Kunst-Götter auf Erden verstehen dürfen. Und die Allgemeine aus Frankfurt ist der Humus genau dafür.
Dabei weiß (oder ahnt) doch jeder, der eigene, letztlich (und wie fundiert auch immer) private Meinungen über künstlerische Vorgänge zu Papier bringt oder nächtens im "Fazit" vorträgt, wie wiegelwagelwindelweich die eigene Position stets ist, ja sein muss; jede und jeder andere hat doch an jedem Abend die jeweilige Aufführung immer ein ganz klein bisschen anders gesehen – und unsereins eröffnet immer nur den inneren Dialog über das, was für jeden und jede jeweils zu sehen war; und den äußeren Dialog darüber, was eventuell auch die weitere Kundschaft noch interessieren könnte; oder sollte.
Mehr ist nicht drin, alles andere ist Hybris und ein bisschen überkandidelt. Würde der Herr S. aus F. ohne derlei Überwertigkeitskomplex (und also etwas lebendiger und humorbegabter) durchs Leben und ins Theater gehen, er hätte vielleicht sogar Spaß an der ruppigen Frankfurter Mitspiel-Aktion empfinden können. Aber das kann eben er - und das können selbsternannte Secondhand-Päpste wie er - eben nicht. Niedriger hängen, kann der gute Rat da nur lauten; vor allem sich selber gegenüber.
Es geht übrigens auch anders. Vor Jahresfrist war der Frankfurter Kritiker-Konkurrent Peter Michalczyk genötigt, in Andreas Kriegenburgs Fassung der "Idioten" von Lars von Trier unvorbereitet und live in der Premiere eine Menge ziemlich schrägen Text ins Mikrophon zu sprechen; Prüfung bestanden! Und auch in Bremen wurde mal dem lokalen Kollegen Rainer Mammen wie jetzt Stadelmaier spektakulär und unter lästerlichen Kommentaren der Notizblock entwendet; und hinterher natürlich zurückgegeben. Mammen hat derweil wahrscheinlich irgendwie anders weiter memoriert – und den Vorgang hinterher leicht pikiert in der Kritik erwähnt. Aber klagen? Ach was. Warum denn?
Schließlich zeigt eine Karikatur über die Uraufführung von Arnolt Bronnens aufregendem Bühnenschocker "Die Exzesse" anno 1922 im Berliner Lessing-Theater, wie da die Schauspieler amüsiert dem Publikum zuschauen, das seinerseits von Stuhl zu Stuhl und Reihe um Reihe zur Zimmerschlacht zwischen Kritikern und Befürwortern angetreten ist: und sich gegenseitig die Hucke voll haut.
So lange es so weit nicht kommt, ist alles halb so schlimm.