Die Schachtel in der Schachtel in der Schachtel

Von Ulrike Gondorf |
Wenn der Begriff Realismus eine bestimmte Sichtweise auf Dinge und Handlungen bezeichnet, so liefert Autor Anthony Neilson die in seinem gleichnamigen Stück mitnichten selbst, sondern spielt dem Zuschauer den Ball zu. Er muss entscheiden, was er für realistisch hält von den Ereignissen im Leben des ebenso exzentrischen wie depressiven Stuart, dessen Geschichte Neilson erzählt. Das Stück erlebte jetzt im Theater Bonn seine deutschsprachige Erstaufführung.
Realismus? Das verleitet zu der Annahme, dass alles in geregelten Bahnen verläuft, fein ordentlich mit Anfang, Mitte und Schluss. Anthony Neilson, einer der viel gespielten Autoren des britischen Gegenwartstheaters und mit grimmigen schwarzen Farcen bekannt geworden, schlägt diesem so programmatisch wirkenden Titel ein Schnäppchen.

Wenn der Begriff Realismus eine bestimmte Sichtweise auf Dinge und Handlungen bezeichnet, so liefert der Autor die mitnichten selbst, sondern spielt dem Zuschauer den Ball zu. Er muss entscheiden, was er für realistisch hält von den Ereignissen im Leben des ebenso exzentrischen wie depressiven Stuart, dessen Geschichte Neilson erzählt. Stuart leidet unter der Trennung von seiner Freundin - so sehr, dass er gar nicht mehr aus dem Bett aufstehen kann und nur noch in Tagträume flüchtet.

Und die komponiert Neilson nach dem Prinzip der Schachtel in der Schachtel in der Schachtel ... Phantastische und alltägliche, banale und surreale Bilder wechseln miteinander ab, Träume, Erinnerungen, Wünsche und Ängste verbinden sich zu einem Vexierspiel, in dem der Zuschauer jeden Moment etwas anderes als "realistisch" annimmt und von einer Konstruktion der Wirklichkeit zu nächsten wechselt - listig auf immer neue Irrwege gelockt vom Autor.

Neilsons Konzept ist intelligent und witzig, sein Stück vielleicht ein bisschen lang geraten, um es in gleich bleibender Dichte umzusetzen. Da gibt es schräge und witzige Momente - zum Beispiel, wenn Stuart beim Beladen seiner Waschmaschine der Kopf seiner Mutter im Bullauge erscheint mit guten Ratschlägen, die Hosentaschen umzustülpen und nicht wieder die Bustickets mitzuwaschen. Andere, wie die Shownummer mit pinkfarbenen Revuegirls im eignen Wohnzimmer, sind eher ausgeleiert.

Und die Spannung sackt zwischendurch arg nach unten, die Szenen scheinen beliebig zu werden. Die szenische Umsetzung der Deutschen Erstaufführung in Bonn, die die Übersetzerin Patricia Benecke besorgte, fällt auch eher matt aus. Außer Stuart (Andreas Maier) gewinnen die Figuren keine Kontur, das Tempo ist zu gleichförmig und insgesamt zu langsam, die Comedy, mit der Neilson spielt, könnte viel effektvoller bedient, die Episodenfolge flüssiger verzahnt werden.