Die Saubermänner

23.06.2009
1981 bereiste Monika Maron die Stadt Bitterfeld - und skizzierte sie in ihrem Roman "Flugasche" als einen der dreckigsten Orte der DDR. 20 Jahre nach der Wende kehrt sie dorthin zurück - und sieht eine Stadt, die so sauber ist wie seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr. In ihrer Reportage "Bitterfelder Bogen" porträtiert die Autorin jene Menschen, die sich für den Wandel eingesetzt haben.
Der Bitterfelder Bogen ist seit 2006 das Wahrzeichen der Stadt Bitterfeld. Entworfen hat die kühne Stahlkonstruktion, die 28 Meter hoch, 81 Meter lang und 14 Meter breit ist, der aus Frankfurt am Main stammende Künstler Claus Bury. Der Bogen steht als Sinnbild für den Wandel der Region. Vom ehemaligen Braunkohle- und Chemierevier spannt sich der Bogen zu den modernen Industrie- und Forschungszentren, die sich in der Region etabliert haben. Zu diesen Großunternehmen gehört Q-Cells, einer der führenden Hersteller für Solarzellen, dem Monika Marons Aufmerksamkeit in ihrem Bericht Bitterfelder Bogen gehört.

Auch die Autorin spannt mit dieser Reportage einen Bogen, der zu ihrem literarischen Debüt führt, dem Roman "Flugasche", der 1981 nur in der Bundesrepublik erscheinen konnte. Darin beschreibt sie die Stadt B. als die dreckigste Stadt der DDR, die unschwer als Bitterfeld zu identifizieren war.

"Als die DDR endete, war Bitterfeld zu einem Synonym für marode Wirtschaft, vergiftete Luft und verseuchten Boden geworden, zu einem Sinnbild des ruinierten Landes."

Damals war Monika Maron als Reporterin der Wochenpost nach Bitterfeld gefahren, mehr als 30 Jahre später hat sich eine der erfolgreichsten Autorinnen auf eine erneute Reise in die Stadt begeben. Während zu DDR-Zeiten täglich 180 Tonnen Flugasche auf Bitterfeld fielen, ist heute die Luft wieder so sauber wie zu jener Zeit, als Agfa 1895 den Grundstein für eines der wichtigsten Chemiezentren Deutschlands legte.

Monika Marons "Bitterfelder Bogen" liegt eine Erfolgsgeschichte zugrunde, die, in Berlin-Kreuzberg aus der Taufe gehoben, nach der Wende nur in der Region Bitterfeld realisiert werden konnte. Einer der geistigen Väter von Q-Cells war Reiner Lemoine, in dessen Konzeptschmiede "Wuseltronik" über Wind und Sonnenenergiegewinnung als Reaktion auf die Atomkraftwerke nachgedacht wurde. Wie aus einem Kreuzberger Hinterhofprojekt ein Weltunternehmen wurde, beschreibt Maron in ihrem Bericht. Q-Cells - Q steht für Qualität - wurde zum Segen für eine Region, die sich nach der Wende im freien Fall befand. In der Filmfabrik Wolfen arbeiteten bis 1989 14.000 Menschen, in den Bitterfelder Chemiebetrieben waren es 17.000.

In Marons Bericht kommen die zu Wort, die es geschafft haben. Sie erzählt von Uwe Schmorl, der in der DDR Schlosser war und heute als leitender Angestellter im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt. Sie stellt Holger Feist und Paul Grunow vor, die zu den Gründern von Q-Cells gehörten, sich aber inzwischen aus dem Unternehmen zurückgezogen haben. Mit ihnen hat sie ebenso gesprochen wie mit der Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen, Petra Wust, und mit Karl Enders, von dem sie damals die Zahl erfuhr: 180 Tonnen, täglich. Sie stehen für den gelungenen Wandel und die erfolgreiche Wende.

Der Erfolg hat viele Namen. Namenlos aber bleiben die, die in Marons Bericht nur am Rande erwähnt werden, weil sie nicht in diese Erfolgsgeschichte zu passen scheinen. Gesprochen wird von den "Vietnamesen", die vor 1990 im Chemiekombinat arbeiteten oder der "jungen Frau", der Maron im Hotel begegnet und die sich um den Hund der Autorin sorgt, weil ihn ihr Staubsaugen stören könnte. Maron hört auch, wie Teilnehmer einer Vorwerk-Schulung das Vertreterdasein erlernen, aber sie redet mit keinem. Sie fragt auch nicht den "Mann" nach seinem Namen, mit dem sie am Bitterfelder Bogen spricht und der ihr erzählt, dass das Arbeitsamt ihn gerade "erwischt" hat.

Diesen Bogen spannt Maron nicht und insofern stellt sich auch der zu ihrem Roman "Flugasche" nicht her, der gestört hat, weil sie aussprach, was offiziell ungern gehört wurde.

Besprochen von Michael Opitz

Monika Maron: Bitterfelder Bogen. Ein Bericht
Mit Fotos von Jonas Maron
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
176 Seiten, 18,95 Euro
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