Die Saale in Jena

Wie ein Fluss wieder sichtbar wird

Faltboote an der Saale in Jena im Paradies, aufgenommen am 14.08.2015.
Für Freizeitsport ist die Saale wieder schon wieder sauber genug. © picture alliance / Universität Jena
Von Henry Bernhard · 25.07.2017
Heute ziehen wieder Kanus und Ruderboote über die Saale, die Menschen kommen zum Flanieren, zum Picknicken, zur Erholung. Dabei war der Fluss lange Zeit aus dem Blick der Menschen geraten - auch in Jena, obwohl die Stadt im Saaletal liegt.
Ohne das Volkslied von den verfallenen Burgen "an der Saale hellem Strande" kann eine Ausstellungseröffnung über das Verhältnis der Stadt Jena zu ihrem Fluss wohl kaum beginnen.
"Ich hatte fast damit gerechnet, dass wir das Lied der 'hellen Strände' hier hören werden."
Wenn die Wasserwirtschafterin Marianne Magin von der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie sich aber an die Schaumkronen auf der Saale ihrer Kindheit erinnert, ist ihr wenig lyrisch zumute.
"Ich war ein ganz frischer 18-jähriger Rettungsschwimmer und hatte auf der Saale eine Kajak-Veranstaltung für Kinder und Jugendliche abzusichern. Und habe mir gedacht, 'Nee, wenn du ein Kind aus diesem Wasser holen sollst, das geht doch gar nicht, ja!' Und wenn man 18 ist, Abitur gemacht hat, da denkt man, 'Was machst du? Ja, eigentlich müsste man so ein bisschen was mit Umwelt machen!' Und das gipfelt dann natürlich im Gewässerschutz."

Wie die Saale einmal war

Und so steht sie heute als Gewässerschützerin vor dem Publikum in Jena und erzählt von der Saale, wie sie einmal war. Noch früher.
"Im unverbauten Zustand einst ein breit in der Aue mäandrierender, fischreicher, schwere Hochwässer aus dem Schiefergebirge spendender Fluss wurde die Saale über Jahrhunderte zum begradigten, aufgestauten, eingedeichten, eingetieften, Altarm- und Nebengewässer-abgeschnittenen, chemisch veränderten und biologisch fast toten Vorfluter dem geschäftigen Willen des Menschen untergeordnet."
Die Menschen haben über Jahrhunderte in der Saale ihre Wäsche gewaschen, Mühlräder mit ihrem Wasser angetrieben und im Überschwemmungsgebiet gebaut. Gegen die Überschwemmungen haben sie den Fluss begradigt und das Ganze noch schlimmer gemacht. Die Industrialisierung und die intensivierte Landwirtschaft haben erst viele Fischarten aussterben lassen und dann den Genuss der noch existierenden mit Phenolgeschmack vergällt.
Mein Vater ist noch in der Saale geschwommen, ich habe nur noch von der Brücke herab Enten gefüttert. Wenn wir Ende der 80er-Jahre mit dem Paddelboot von der Ilm in die Saale steuerten, floss dort das braune in das schwarze Wasser – oder war es umgekehrt? Keiner wäre auf die Idee gekommen, auch nur einen Fuß in dieses Wasser zu setzen.
Doris Weilandt: "Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau."

Saale geriet in Vergessenheit

Doris Weilandt ist Kunsthistorikerin. Sie hat gerade ein Buch über das "Paradies" geschrieben. Natürlich kommt auch Goethe darin vor, der die Inspiration für seinen "Erlkönig" aus Jena erhalten haben soll. Das "Paradies" ist ein Jenaer Landschaftspark, in dem sich Stadt und Fluss begegnen.
"Also, Paradies ist wirklich ein biblischer Anklang! Weil, wenn Universitäten sich gründeten, haben die sich meist auch ein Paradies geschaffen. Und da gab es immer so eine Promenade am Fluss und noch eine Promenade, die quer durch die Anlage ging, wo man mehr so unter dem Schutz großer Bäume gepflegte Unterhaltung trieb. Und da spielte natürlich die Saale eine große Rolle als Landschaftsraum, als Raum, der Dichter und Maler angeregt hat. Also, man traf sich hier, die Männer schauten nach den Frauen; die gingen natürlich auch speziell aus diesem Grund hier spazieren, dann hat sich sozusagen was angebahnt. Und dann hat man sich abends im Schutz der Dunkelheit wiedergetroffen, und manchmal ist daraus was geworden. Also, faktisch vom 18. Jahrhundert bis Ende 19. Jahrhundert glichen sich die Bilder sehr."
Aber weder die Saale hellen Strandes noch das "Paradies" überlebten die Zeit nach den Romantikern unbeschadet. Als Doris Weilandt in den 80er-Jahren in Jena studierte, existierte die Saale nur noch in ihrem Geiste.
"Die Saale war als Fluss zwar im Kopf präsent, aber nicht irgendwie für Naherholung oder so."

Fluss wird wieder sichtbar

Die Stadt hat nun einiges getan, den Fluss wiederzugewinnen: Abwässer werden nicht mehr eingeleitet. An ausgewählten Stellen wurde die Böschung beschnitten, der Zugang aus der Stadt erleichtert, Spielplätze angelegt, Cafés saniert. Kanus und Ruderboote ziehen über den Fluss. An manchen Stellen sieht man schon wieder Badende. Die Stadtplanerin Anya Schwamberger ist für den "Rahmenplan Saale" verantwortlich, der Stadt und Fluss einander wieder schonend näher bringen soll.
"Das geht vorwärts! Ich bin ganz guter Dinge. Wir sind in ganz vielen Bereichen schon so weit gekommen, dass die gestalteten Bereiche schon so viel genutzt werden, dass die übernutzt sind. Also sprich: Da kommen so viele hin, dass wir quasi permanent neue Grünflächen bauen müssten. Also man merkt einfach: Die Menschen möchten ihren Fluss sehen, sie möchten in den Saaleauen sitzen, picknicken, grillen, Sport machen, einfach den Fluss sehen. Und das wird einfach total gut angenommen. Und jetzt ist aber auch wieder Naturschutz – und dadurch sieht man die Saale sehr selten! Es gibt Biotope an der Saale, die sind geschützt. Ich würde auch sehr gerne wieder mehr Fluss sehen, aber das geht natürlich nicht einfach so – wir können nicht einfach so Gehölze abschlagen, einfach wahllos. Wir versuchen das, in den Bereichen, wo wir umgestalten, Blickbeziehungen auf die Saale zu schaffen, aber das dauert."
Und so versucht man sich an der Aufgabe, die Bedürfnisse von Mensch und Fluss auszugleichen. Wieder einmal. An schönen Sommertagen sieht man die Wiese im Paradies vor lauter Menschen kaum noch.

500-jährige Mühle erzeugt noch Strom

Ein klein wenig darf die Saale aber auch noch arbeiten: In Burgau, am malerischen Wehr steht seit über 500 Jahren eine Mühle. Seit 130 Jahren wird in ihr Strom erzeugt, seit 80 Jahren mit den gleichen Turbinen, den gleichen Generatoren. Vier bis sechs Millionen KWh pro Jahr. Jens-Uwe Schmidt bewacht diese Maschinen, die zum Weinen schön sind.
"Man hat ein besonderes Verhältnis zur Saale, weil man ja im Endeffekt hier sich jeden Tag ärgert, wenn hier ein Haufen Müll in der Saale ankommt usw. Es kommt eigentlich vom Apfel bis Müllcontainer alles an. Hinweisschilder, Verkehrsampeln. Was wir hier teilweise rausholen, ist schon erschreckend."
Aber an der neuen Fischtreppe, die die Fische an Wehr und Elektrizitätswerk vorbei führen soll, haben sie ganz anderes herausgeholt, als sie zu Testzwecken eine Reuse angebracht hatten.
"Von der 60er Barbe, Barsche, kleine Hechte hatten wir eigentlich alles drin. Also, das waren knapp 50 verschiedene Sorten."
"Haben sie gleich paar gegessen davon?"
"Nee!"
"Nicht?"
"Die waren alle untermaßig! Man darf es ja auch nicht! Wäre manchmal schon schön gewesen, die so zu räuchern … Aber wie gesagt: Man hat es nicht gemacht! Weil wir ja auch ein bisschen den Fisch schützen wollen …"
Nun wartet man in Jena auf den Lachs. Der Biber ist schon wieder da.
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