Die Rückkehr des Aromas
Sie heißen Rote Murmel oder Golden Currant: Der Göttinger Pflanzenexperte Bernd Horneburg züchtet neue Tomatensorten - und macht Genießern Hoffnung auf tolle Geschmackserlebnisse.
Klaus Pokatzky: Beim Thema Tomate bin ich sehr befangen – ich liebe Tomaten seit meinen Kinderjahren, und vor einiger Zeit wurde ich beim Einkaufen in einem vermeintlich exzellenten Gemüsegeschäft gefragt: Möchten Sie die teure Sorte oder geschmacksneutrale? Da habe ich nie wieder eingekauft. Neun von zehn Tomaten, die bei uns gegessen werden, kommen aus dem Ausland und werden in Gewächshäusern oder unter Plastikplanen gezogen. Sie sind geschmacksneutral. Das muss nicht sein, sagt Bernd Horneburg. Er ist Agrarwissenschaftler an der Universität Göttingen und hat mit seinen Kollegen neue Tomatensorten gezüchtet, die im deutschen Klima wachsen und gedeihen und die nicht geschmacksneutral sein sollen. Guten Tag, Herr Horneburg!
Bernd Horneburg: Ja, guten Tag!
Pokatzky: Herr Horneburg, wie schmeckt eine Tomate, wenn sie nach Tomate schmeckt?
Horneburg: Das ist schwer zu beschreiben, weil Tomaten ein sehr vielfältiges Gemüse sind, ich glaube, auch nicht zu Unrecht Gemüse Nummer eins in Deutschland und auf der Welt, und für uns ist es immer wichtig, vielschichtig zu denken, für verschiedene Nutzungsformen zu denken. Und natürlich soll eine Tomate, die man direkt wie Obst isst – Cocktailtomaten, Wildtomaten –, einen anderen Geschmack haben als eine Tomate, die man in den Salat schneidet. Und wir brauchen für jede Nutzungsform geeignete Sorten.
Pokatzky: Zu welcher Gelegenheit haben Sie die letzte Tomate gegessen?
Horneburg: Gestern im Zuchtgarten im Test.
Pokatzky: Sie sind also auch Tomatentester.
Horneburg: Auf jeden Fall.
Pokatzky: Wie viele Tomaten testen Sie am Tag?
Horneburg: Das ist unterschiedlich, das hat sicher mit der Wachheit zu tun. Wenn wir 100 Genotypen verkosten – wir machen das immer im Team, weil die individuelle Beurteilung auch unterschiedlich ist –, dann ist meistens das Limit erreicht.
Pokatzky: Das ist also wie so eine Art Weinkosten auch?
Horneburg: Ja.
Pokatzky: Was müssen Sie zwischendurch dann essen, damit Ihre Geschmacksnerven wieder neutralisiert sind?
Horneburg: Meistens reicht Wasser, wenn man müder wird, ist Milch besser.
Pokatzky: Wie heißen Ihre Tomatensorten, die Sie jetzt ganz eigen mit Ihren Kollegen an der Universität Göttingen gezüchtet haben?
Horneburg: Da müssen wir, glaube ich, an einem anderen Punkt ansetzen: Unsere Aufgabe war, Sorten in erster Linie zu sichten für die deutlich schlechteren Anbaubedingungen im Freiland in Deutschland, in Mitteleuropa. In diesem Bereich hat sich der Pilz Phytophtora, der die Kraut- und Braunfäule verursacht und die Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, massiv verändert in seinem Rassenspektrum, ist virulenter geworden, und der Anbau, der früher einfach ging, funktionierte nicht mehr.
Pokatzky: Also der Pilz ist tödlich für die Tomate?
Horneburg: Er kann die Pflanzen massiv beeinträchtigen. Wie weit er das tut, ist klar eine Sortenfrage. Und was wir gemacht haben: Wir haben ausgehend von der sehr breiten Basis dreieinhalbtausend Sorten gefiltert und daraus die Top-Sorten gefunden für die konkreten Anbaubedingungen.
Pokatzky: Wie heißen die jetzt? Tomaten haben doch auch immer so schöne Sortennamen.
Horneburg: Auf jeden Fall. Wichtige Sorten sind auf jeden Fall im Bereich der Wildtomaten, Wildtomate heißt, sehr kleinfrüchtig, starke Verzweigung. Eine andere, mehrtriebige Anbauweise ist gefragt, da empfehlen wir Rote Murmel und Golden Currant. Das sind Sorten, mit denen man auch in sehr extremen Witterungen noch einen Erfolg haben kann, kinderfreundlich sind, weil sie klein sind und auf einmal in den Mund gehen und Unglücke vermieden werden.
Pokatzky: Was können die, was frühere Tomaten nicht konnten?
Horneburg: Die Feldresistenz gegen Phytophtora ist höher.
Pokatzky: Also gegen den Pilz.
Horneburg: Sie halten dem Pilzdruck länger stand, genau. Und gleichzeitig sind sie so ausgewählt, dass die Fruchtqualität exzellent ist. Und eine weitere wichtige Eigenschaft unter schwierigen Anbaubedingungen ist die Frühzeitigkeit: Je eher die Reife einsetzt, je höher der frühe Ertrag ist, desto mehr Ernte hat man eingefahren, bevor Infektionen beginnen.
Pokatzky: Sie haben dieser Solanum lycopersicum nun sieben Jahre Ihres Lebens gewidmet. Was ist für Sie das Besondere an dieser Frucht?
Horneburg: Das ist zum einen die vielfältige Verwendbarkeit in diesem ganzen Spektrum zwischen Obst und Gemüse. Sehr speziell an der Tomate ist, dass sie quasi auf jedem Boden wachsen kann, wenn man es gescheit macht. Und es ist auch ein Beispiel dafür – da gehen wir jetzt eher in den sozialen, politischen Bereich –, wo es sehr einfach ist, eine Selbstversorgung zu realisieren, und zwar sogar dann, wenn man nicht mal einen Garten hat, sondern nur einen Balkon, auf dem große Töpfe oder Kübel stehen können. Dafür empfehlen wir dann zum Beispiel Buschtomaten.
Pokatzky: Ich spreche mit dem Pflanzenzüchter Bernd Horneburg in Göttingen über neue Tomatensorten. Herr Horneburg, es gibt ja verschiedene Vorgehensweisen, wenn ich jetzt neue Sorten heranzüchten will. Wir haben die klassische Züchtung, und dann haben wir die Gentechnik. Machen Sie da einen Unterschied?
Horneburg: Ja, auf jeden Fall. Wir sichten Sorten, und aus den besten Sorten gehen wir in ein Kreuzungsprogramm und entwickeln neue Sorten, und das alles findet von der Jungpflanzenanzucht bis zur (…) Umwelt, dem Anbau auf dem Acker, im System des ökologischen Landbaus statt. Und was sehr wichtig ist: In dem Züchtungsprogramm findet nichts hinter geschlossenen Türen statt – wie das bei den Konzernen, die einen Großteil der Saatgutproduktion, der Züchtung mittlerweile in ihren Händen haben, was sehr negative Konsequenzen hat –, sondern wir machen das in einem sozialen Ansatz. Im Züchtungsprogramm haben wir Treffen, in denen Kollegen, Kolleginnen sind, die Früchte produzieren, die Jungpflanzen produzieren, die mit Saatgut handeln. Wir stehen gemeinsam vor den Zuchtlinien, treffen Entscheidungen. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie jetzt am kommenden Samstag im Ökozuchtgarten ist ein großes Publikum eingeladen, es ist eine öffentliche Veranstaltung. Wir stehen gemeinsam vor unserem Zuchtmaterial.
Pokatzky: Woher stammt der Samen oder woher stammten die Samen, die Sie verwendet haben?
Horneburg: Da sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Was ich schon gesagt hatte: Aus diesem Pool von dreieinhalbtausend Sorten haben wir in Vorgesprächen gefiltert, zum einen natürlich mit dem Saatguthandel und Züchterhäusern, dann Genbanken, Erhaltungsinitiativen, sehr wichtig, und auch Privatpersonen, die in der Sortenerhaltung tätig sind. Und nachdem wir mehrere Jahre gefiltert haben, haben wir das analysiert – wir sind letztendlich eine Forschungseinrichtung und müssen auch den Hintergrund, in dem wir züchterisch aktiv werden können, erforschen –, und es war ein sehr überraschendes Resultat, dass knapp 90 Prozent der wichtigsten Sorten nicht aus dem kommerziellen Bereich kamen, sondern eben aus Genbanken von Initiativen und aus privater Erhaltung.
Pokatzky: Was heißt, also … Das ist auch der Schrebergärtner im Zweifelsfall dann, oder wenn ich Tomaten auf dem Balkon züchte?
Horneburg: Es gibt tatsächlich Einzelpersonen, also ich meine Sortenerhaltung, das heißt langjährig von den besten Pflanzen der Sorten, die man erhalten will, Saatgut gewinnen, selber wieder aussäen, und kann das noch näher aufschlüsseln: Etwa 70 Prozent der besten Sorten nach mehreren Jahren des intensiven Filters überregional in Deutschland, über 70 Prozent dieser Sorten kamen aus ökologischer Erhaltung, von Initiativen, von Einzelpersonen, die im System des ökologischen Landbaus arbeiten.
Pokatzky: Ihre Tomaten sind nachbaufähig, was bedeutet das?
Horneburg: Da wir in unserem Programm, um das machen zu können, von der Vergangenheit schöpfen, von dem, was Generationen vor uns geleistet haben, gesehen haben, aufbewahrt haben, weiterentwickelt haben, ist es für uns eine klare Pflicht, fachlich begründet und moralisch begründet, selber Material zu schaffen, Sorten zu schaffen, Zuchtlinien zu schaffen, mit denen eine weitere Entwicklung möglich ist. Und die Sorten, die aus unserer Hand nach außen gehen und in Zukunft hoffentlich noch stärker gehen werden, können sortenrein nachgebaut werden. Das ist anders als bei Hybridsorten, auf den Tüten gekennzeichnet durch ein mehr oder weniger großes F1.
Pokatzky: Was heißt Hybridsorten?
Horneburg: Hybriden sind Kreuzungen zweier reinerbiger, genetisch weitgehend homozygoter Elternlinien, F1 bedeutet erste Filialgeneration, also die direkten Nachkommen dieser Kreuzung. Die sind, kann man in den Mendelschen Regeln angucken, in sich sehr homogen. Wenn man die nächste Generation, die F2, anbaut, sprich, selber Saatgut gewinnt und wieder aussät im Folgejahr, dann hat man eine Weiteraufspaltung. Also die Sorten sind nicht sortenrein weiterzuführen.
Pokatzky: Das heißt, ich kann die dann gar nicht weiter aussäen in den Folgejahren?
Horneburg: Bei der Verwendung von Hybridsaatgut sind wir in einer Situation, wo wir eigenes, selbstgewonnenes Saatgut nicht mehr in der Produktion verwenden können.
Pokatzky: Das heißt, ich muss dann jedes Jahr neues Saatgut kaufen?
Horneburg: Ja.
Pokatzky: Das ist nicht so schön. Sagen Sie mal, Herr Horneburg, wie kommt es eigentlich: Wir züchten Tomaten jetzt viele tausend Jahre, ich gehe mal davon aus, dass sie in den Vorgenerationszeiten, vor Jahrtausenden auch noch nach Tomate geschmeckt haben. Wie konnte es eigentlich passieren, dass den Tomaten dann irgendwann der Geschmack abhanden kam?
Horneburg: Man versucht in der Züchtung natürlich im Idealfall, alle positiven Eigenschaften zu kombinieren. Dass das nicht gelingen kann im Extrem, liegt auf der Hand. Das heißt, wenn ich jetzt eine Tomate – was ich nicht tue – entwickeln sollte, die lange Transportwege aushält, zum Beispiel Produktionen mit teilweise schlecht bezahlten Saisonarbeitskräften in Südspanien für den deutschen Markt, dann steht in allererster Linie feste Schale, festes Fruchtfleisch, eine Frucht, die lange liegen kann in der Transportkette, dann kann ich weniger auf Geschmack achten.
Wenn Ertrag im Vordergrund steht, fällt Qualität hinten runter. Das ist ein sehr einfaches Gesetz. Wenn wir hingegen für den Hausgarten züchten, für das, was man im besten Fall in einer unschlagbaren Qualität selber erntet und direkt in den Mund steckt oder in die Küche trägt, dann müssen wir auf die Eigenschaft Hartschaligkeit, Lagerfähigkeit überhaupt nicht achten. Wir können uns auf Widerstandsfähigkeit gegen Pilze, Robustheit in anderen Eigenschaften und eben den Geschmack konzentrieren. Und das ist das, was wir tun.
Pokatzky: Können wir denn, wenn wir jetzt in unserem kleinen Garten – jeder zweite deutsche Haushalt verfügt ja über einen Garten – oder wenn wir es auf dem Balkon anbauen wollen, können wir irgendwo diese Sorten bestellen?
Horneburg: Das ist möglich, das sind aber noch viel zu wenig Profis, Profigärtnereien, die Jungpflanzen entsprechender Sorten anbieten. Das ist der große Engpass im Projekt, und ich wünsche mir sehr, dass sich viele Betriebe an mich wenden, dass ich entsprechende Saatgutversorgung vermitteln kann.
Bernd Horneburg: Ja, guten Tag!
Pokatzky: Herr Horneburg, wie schmeckt eine Tomate, wenn sie nach Tomate schmeckt?
Horneburg: Das ist schwer zu beschreiben, weil Tomaten ein sehr vielfältiges Gemüse sind, ich glaube, auch nicht zu Unrecht Gemüse Nummer eins in Deutschland und auf der Welt, und für uns ist es immer wichtig, vielschichtig zu denken, für verschiedene Nutzungsformen zu denken. Und natürlich soll eine Tomate, die man direkt wie Obst isst – Cocktailtomaten, Wildtomaten –, einen anderen Geschmack haben als eine Tomate, die man in den Salat schneidet. Und wir brauchen für jede Nutzungsform geeignete Sorten.
Pokatzky: Zu welcher Gelegenheit haben Sie die letzte Tomate gegessen?
Horneburg: Gestern im Zuchtgarten im Test.
Pokatzky: Sie sind also auch Tomatentester.
Horneburg: Auf jeden Fall.
Pokatzky: Wie viele Tomaten testen Sie am Tag?
Horneburg: Das ist unterschiedlich, das hat sicher mit der Wachheit zu tun. Wenn wir 100 Genotypen verkosten – wir machen das immer im Team, weil die individuelle Beurteilung auch unterschiedlich ist –, dann ist meistens das Limit erreicht.
Pokatzky: Das ist also wie so eine Art Weinkosten auch?
Horneburg: Ja.
Pokatzky: Was müssen Sie zwischendurch dann essen, damit Ihre Geschmacksnerven wieder neutralisiert sind?
Horneburg: Meistens reicht Wasser, wenn man müder wird, ist Milch besser.
Pokatzky: Wie heißen Ihre Tomatensorten, die Sie jetzt ganz eigen mit Ihren Kollegen an der Universität Göttingen gezüchtet haben?
Horneburg: Da müssen wir, glaube ich, an einem anderen Punkt ansetzen: Unsere Aufgabe war, Sorten in erster Linie zu sichten für die deutlich schlechteren Anbaubedingungen im Freiland in Deutschland, in Mitteleuropa. In diesem Bereich hat sich der Pilz Phytophtora, der die Kraut- und Braunfäule verursacht und die Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, massiv verändert in seinem Rassenspektrum, ist virulenter geworden, und der Anbau, der früher einfach ging, funktionierte nicht mehr.
Pokatzky: Also der Pilz ist tödlich für die Tomate?
Horneburg: Er kann die Pflanzen massiv beeinträchtigen. Wie weit er das tut, ist klar eine Sortenfrage. Und was wir gemacht haben: Wir haben ausgehend von der sehr breiten Basis dreieinhalbtausend Sorten gefiltert und daraus die Top-Sorten gefunden für die konkreten Anbaubedingungen.
Pokatzky: Wie heißen die jetzt? Tomaten haben doch auch immer so schöne Sortennamen.
Horneburg: Auf jeden Fall. Wichtige Sorten sind auf jeden Fall im Bereich der Wildtomaten, Wildtomate heißt, sehr kleinfrüchtig, starke Verzweigung. Eine andere, mehrtriebige Anbauweise ist gefragt, da empfehlen wir Rote Murmel und Golden Currant. Das sind Sorten, mit denen man auch in sehr extremen Witterungen noch einen Erfolg haben kann, kinderfreundlich sind, weil sie klein sind und auf einmal in den Mund gehen und Unglücke vermieden werden.
Pokatzky: Was können die, was frühere Tomaten nicht konnten?
Horneburg: Die Feldresistenz gegen Phytophtora ist höher.
Pokatzky: Also gegen den Pilz.
Horneburg: Sie halten dem Pilzdruck länger stand, genau. Und gleichzeitig sind sie so ausgewählt, dass die Fruchtqualität exzellent ist. Und eine weitere wichtige Eigenschaft unter schwierigen Anbaubedingungen ist die Frühzeitigkeit: Je eher die Reife einsetzt, je höher der frühe Ertrag ist, desto mehr Ernte hat man eingefahren, bevor Infektionen beginnen.
Pokatzky: Sie haben dieser Solanum lycopersicum nun sieben Jahre Ihres Lebens gewidmet. Was ist für Sie das Besondere an dieser Frucht?
Horneburg: Das ist zum einen die vielfältige Verwendbarkeit in diesem ganzen Spektrum zwischen Obst und Gemüse. Sehr speziell an der Tomate ist, dass sie quasi auf jedem Boden wachsen kann, wenn man es gescheit macht. Und es ist auch ein Beispiel dafür – da gehen wir jetzt eher in den sozialen, politischen Bereich –, wo es sehr einfach ist, eine Selbstversorgung zu realisieren, und zwar sogar dann, wenn man nicht mal einen Garten hat, sondern nur einen Balkon, auf dem große Töpfe oder Kübel stehen können. Dafür empfehlen wir dann zum Beispiel Buschtomaten.
Pokatzky: Ich spreche mit dem Pflanzenzüchter Bernd Horneburg in Göttingen über neue Tomatensorten. Herr Horneburg, es gibt ja verschiedene Vorgehensweisen, wenn ich jetzt neue Sorten heranzüchten will. Wir haben die klassische Züchtung, und dann haben wir die Gentechnik. Machen Sie da einen Unterschied?
Horneburg: Ja, auf jeden Fall. Wir sichten Sorten, und aus den besten Sorten gehen wir in ein Kreuzungsprogramm und entwickeln neue Sorten, und das alles findet von der Jungpflanzenanzucht bis zur (…) Umwelt, dem Anbau auf dem Acker, im System des ökologischen Landbaus statt. Und was sehr wichtig ist: In dem Züchtungsprogramm findet nichts hinter geschlossenen Türen statt – wie das bei den Konzernen, die einen Großteil der Saatgutproduktion, der Züchtung mittlerweile in ihren Händen haben, was sehr negative Konsequenzen hat –, sondern wir machen das in einem sozialen Ansatz. Im Züchtungsprogramm haben wir Treffen, in denen Kollegen, Kolleginnen sind, die Früchte produzieren, die Jungpflanzen produzieren, die mit Saatgut handeln. Wir stehen gemeinsam vor den Zuchtlinien, treffen Entscheidungen. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie jetzt am kommenden Samstag im Ökozuchtgarten ist ein großes Publikum eingeladen, es ist eine öffentliche Veranstaltung. Wir stehen gemeinsam vor unserem Zuchtmaterial.
Pokatzky: Woher stammt der Samen oder woher stammten die Samen, die Sie verwendet haben?
Horneburg: Da sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Was ich schon gesagt hatte: Aus diesem Pool von dreieinhalbtausend Sorten haben wir in Vorgesprächen gefiltert, zum einen natürlich mit dem Saatguthandel und Züchterhäusern, dann Genbanken, Erhaltungsinitiativen, sehr wichtig, und auch Privatpersonen, die in der Sortenerhaltung tätig sind. Und nachdem wir mehrere Jahre gefiltert haben, haben wir das analysiert – wir sind letztendlich eine Forschungseinrichtung und müssen auch den Hintergrund, in dem wir züchterisch aktiv werden können, erforschen –, und es war ein sehr überraschendes Resultat, dass knapp 90 Prozent der wichtigsten Sorten nicht aus dem kommerziellen Bereich kamen, sondern eben aus Genbanken von Initiativen und aus privater Erhaltung.
Pokatzky: Was heißt, also … Das ist auch der Schrebergärtner im Zweifelsfall dann, oder wenn ich Tomaten auf dem Balkon züchte?
Horneburg: Es gibt tatsächlich Einzelpersonen, also ich meine Sortenerhaltung, das heißt langjährig von den besten Pflanzen der Sorten, die man erhalten will, Saatgut gewinnen, selber wieder aussäen, und kann das noch näher aufschlüsseln: Etwa 70 Prozent der besten Sorten nach mehreren Jahren des intensiven Filters überregional in Deutschland, über 70 Prozent dieser Sorten kamen aus ökologischer Erhaltung, von Initiativen, von Einzelpersonen, die im System des ökologischen Landbaus arbeiten.
Pokatzky: Ihre Tomaten sind nachbaufähig, was bedeutet das?
Horneburg: Da wir in unserem Programm, um das machen zu können, von der Vergangenheit schöpfen, von dem, was Generationen vor uns geleistet haben, gesehen haben, aufbewahrt haben, weiterentwickelt haben, ist es für uns eine klare Pflicht, fachlich begründet und moralisch begründet, selber Material zu schaffen, Sorten zu schaffen, Zuchtlinien zu schaffen, mit denen eine weitere Entwicklung möglich ist. Und die Sorten, die aus unserer Hand nach außen gehen und in Zukunft hoffentlich noch stärker gehen werden, können sortenrein nachgebaut werden. Das ist anders als bei Hybridsorten, auf den Tüten gekennzeichnet durch ein mehr oder weniger großes F1.
Pokatzky: Was heißt Hybridsorten?
Horneburg: Hybriden sind Kreuzungen zweier reinerbiger, genetisch weitgehend homozygoter Elternlinien, F1 bedeutet erste Filialgeneration, also die direkten Nachkommen dieser Kreuzung. Die sind, kann man in den Mendelschen Regeln angucken, in sich sehr homogen. Wenn man die nächste Generation, die F2, anbaut, sprich, selber Saatgut gewinnt und wieder aussät im Folgejahr, dann hat man eine Weiteraufspaltung. Also die Sorten sind nicht sortenrein weiterzuführen.
Pokatzky: Das heißt, ich kann die dann gar nicht weiter aussäen in den Folgejahren?
Horneburg: Bei der Verwendung von Hybridsaatgut sind wir in einer Situation, wo wir eigenes, selbstgewonnenes Saatgut nicht mehr in der Produktion verwenden können.
Pokatzky: Das heißt, ich muss dann jedes Jahr neues Saatgut kaufen?
Horneburg: Ja.
Pokatzky: Das ist nicht so schön. Sagen Sie mal, Herr Horneburg, wie kommt es eigentlich: Wir züchten Tomaten jetzt viele tausend Jahre, ich gehe mal davon aus, dass sie in den Vorgenerationszeiten, vor Jahrtausenden auch noch nach Tomate geschmeckt haben. Wie konnte es eigentlich passieren, dass den Tomaten dann irgendwann der Geschmack abhanden kam?
Horneburg: Man versucht in der Züchtung natürlich im Idealfall, alle positiven Eigenschaften zu kombinieren. Dass das nicht gelingen kann im Extrem, liegt auf der Hand. Das heißt, wenn ich jetzt eine Tomate – was ich nicht tue – entwickeln sollte, die lange Transportwege aushält, zum Beispiel Produktionen mit teilweise schlecht bezahlten Saisonarbeitskräften in Südspanien für den deutschen Markt, dann steht in allererster Linie feste Schale, festes Fruchtfleisch, eine Frucht, die lange liegen kann in der Transportkette, dann kann ich weniger auf Geschmack achten.
Wenn Ertrag im Vordergrund steht, fällt Qualität hinten runter. Das ist ein sehr einfaches Gesetz. Wenn wir hingegen für den Hausgarten züchten, für das, was man im besten Fall in einer unschlagbaren Qualität selber erntet und direkt in den Mund steckt oder in die Küche trägt, dann müssen wir auf die Eigenschaft Hartschaligkeit, Lagerfähigkeit überhaupt nicht achten. Wir können uns auf Widerstandsfähigkeit gegen Pilze, Robustheit in anderen Eigenschaften und eben den Geschmack konzentrieren. Und das ist das, was wir tun.
Pokatzky: Können wir denn, wenn wir jetzt in unserem kleinen Garten – jeder zweite deutsche Haushalt verfügt ja über einen Garten – oder wenn wir es auf dem Balkon anbauen wollen, können wir irgendwo diese Sorten bestellen?
Horneburg: Das ist möglich, das sind aber noch viel zu wenig Profis, Profigärtnereien, die Jungpflanzen entsprechender Sorten anbieten. Das ist der große Engpass im Projekt, und ich wünsche mir sehr, dass sich viele Betriebe an mich wenden, dass ich entsprechende Saatgutversorgung vermitteln kann.