"Die Römer haben alles vorgemacht"
Der britische Bestseller-Autor Robert Harris hat die Langeweile der heutigen Politik kritisiert. Die Politik im alten Rom sei mit machtvollen Männern wie Cicero, Cato und Cäsar großartiger gewesen, sagte der Schriftsteller.
Joachim Scholl: Sechs Millionen Exemplare in 30 Sprachen, der Welterfolg seines Romans "Vaterland" katapultierte 1992 den politischen Journalisten Robert Harris in einen neuen Beruf. Da war der Engländer 35 Jahre alt. Und er bestätigte diesen Status des Bestsellerautors mit allen weiteren Büchern – etwa "Enigma", "Pompeji" oder "Imperium".
Letzterer war der erste Roman über den römischen Rhetor und Politiker Cicero. Jetzt erscheint die Fortsetzung: "Titan". Robert Harris war bei uns im Deutschlandradio Kultur zu Gast, und ich habe ihn zunächst gefragt, warum die politischen Verhältnisse im alten Rom ihn anscheinend so nachhaltig faszinieren.
Robert Harris: Die Politik im alten Rom steht einfach überzeugend da. Sie steht im technischen Sinn großartiger da, sie überragt uns. Große Männer wie Cicero, Crassus, Cato, Caesar, Catilina, alles sehr machtvolle Gestalten, lebten gleichzeitig, kämpften und fanden alle übrigens auch ein gewaltsames Ende. Die Wahlen wurden mit äußerster Erbitterung gegeneinander ausgefochten. Überall kochten Dramen hoch, der Senat war Bühne für großartige Reden. Mit dem verglichen ist unsere heutige Politik eigentlich nur ein Abglanz. Die Römer haben alles vorgemacht. Alles, was wir heute unter Politik verstehen, haben sie schon vordemonstriert, und zwar auf eine Weise, die alle Ländergrenzen, alle Sprachen übersteigt. Rom hat den Weg gewiesen.
Scholl: Es geht in "Titan" um Intrigen und Ränke, Macht und Einfluss. Können wir, Mr. Harris, daraus etwas lernen eigentlich, um das Wesen auch unserer heutigen Politik besser zu verstehen?
Harris: Nun, ich glaube, dass wir durchaus etwas lernen können oder mindestens doch zur Kenntnis nehmen. Die Schwierigkeit, eine Demokratie aufrechtzuerhalten, wenn sie mit Geldströmen überschwemmt wird, die Schwierigkeit, eine Demokratie zu bewahren, wenn das Machtbegrenzungsgefüge außer Rand und Band gerät, und auch dieses Gefühl, man sei die einzige verbleibende Übermacht, die auch große Besitzungen jenseits der eigenen Kontinentgrenzen habe, alles das kann man auch damals schon sehen.
Die Römer waren damals überzeugt, dass ihre Demokratie, die schon seit Jahrhunderten bestand, auch noch Jahrhunderte weiter bestehen würde. Es kam aber nicht so. Die römische Geschichte lehrt uns, wie schnell scheinbar stabile politische Systeme zerfallen können, wie schnell sie in den Abgrund geraten. Cicero stemmte sich dagegen, er versuchte alles zu tun, um die Integrität der römischen Republik aufrechtzuerhalten. Es ist ihm nicht gelungen, weil um ihn herum das ganze Gefüge zusammenbrach und er als Einzelner das nicht aufhalten konnte.
Scholl: Sie haben dieses Buch das Produkt einer Obsession für Politik genannt. Erzählen Sie uns davon, Robert Harris, was macht Sie so politikbesessen?
Harris: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der man häufig über Politik sprach. Nach und nach nahm für mich Politik den Raum ein, den meine Altersgenossen eher dem Fußball zuschreiben. Mir hat immer gefallen, wie hier Argumente und Persönlichkeiten aufeinanderprallen, wie sich vor unseren Augen die Geschichte entfaltet, das Ränkespiel, das wild bewegte Hin und Her hat mich immer fasziniert.
Politik wirft doch ein Licht auf die menschliche Natur, Politik enthüllt wie kaum etwas anderes die Stärken und Schwächen eines Menschen. Mich stimmt es aber traurig, wenn ich sehe, wie langweilig und aschgrau heute die Politik daherkommt. Damals im antiken Rom, diesen Stoff zu beschreiben, das war für mich wirklich ein großes Vergnügen. In der Antike zeigte sich eben, was alles in der Politik zu machen ist. Es ist spannend, und das war für mich die große Herausforderung.
Scholl: Der englische Schriftsteller Robert Harris im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Viele deutsche Leser werden "Titan" verschlingen, Mr. Harris, und vermutlich noch mehr Zuschauer werden im nächsten Februar ins Kino strömen, wenn "Ghost" gezeigt wird, ein Politthriller von Roman Polanski. Es ist die Verfilmung Ihres Romans über einen britischen Expremier, der, ja, starke Züge von Tony Blair trägt. Ist das Ihr moderner Cicero?
Harris: Nun, es gibt durchaus gewisse Ähnlichkeiten zwischen Cicero und Tony Blair. Beide sind Rechtsanwälte, beide sind begabte Redner, beide sind auch ziemlich ausgepicht als Politiker, aber damit enden die Ähnlichkeiten auch schon. Cicero war wirklich die Verkörperung der römischen Republik. Ich hege Zweifel, ob sich etwas Ähnliches über Tony Blair sagen lässt.
Ich meine, er spielt nicht ganz in derselben Weltliga, obwohl man vielleicht noch abwarten muss, was er in seinen Memoiren schreibt. Vielleicht ist das ja dann ein Meisterwerk, obwohl ich auch hier wiederum Zweifel hege.
Scholl: Wer Ihre Karriere als politischer Journalist verfolgt hat, Mr. Harris, weiß, dass Sie sehr eng mit Tony Blair vertraut, ja vielleicht sogar befreundet waren. Man sagt, dass kein Journalist je Tony Blair nähergekommen sei als Sie. Was ist aus dieser Beziehung geworden?
Harris: Ich empfinde gegenüber Tony Blair Dankbarkeit. Ich habe ihn in der Tat recht gut kennengelernt in den frühen Tagen seiner Premierministerschaft, im Wesentlichen aber bin ich Schriftsteller, und er war ein politisch führender Repräsentant. Und aus diesem Grund war unsere Beziehung im Grunde immer durch berufliche Belange geprägt.
Es stimmt aber schon, ich habe das politische Geschehen aus großer Nähe beobachten können, mehr als viele Journalisten und sicherlich als die meisten Romanschriftsteller. Ich glaube aber, dass Tony Blair im Grunde nicht allzu viel gegen meine Fassung dieser Geschichte einzuwenden haben wird. Ein Schauspieler, den er sehr schätzt, Pierce Brosnan, wird ja da den Premierminister verkörpern – obwohl Blair ja den Film noch nicht gesehen hat –, aber ich glaube, er wird kaum etwas dagegen einzuwenden haben.
Ich selbst habe auch keine Probleme mit dem, was ich gemacht und geschrieben habe. Ich bin einfach ein Schriftsteller, der mit dem Stoff arbeitet, der ihn umgibt und in gewisser Weise sind eben alle Schriftsteller auch Verräter.
Scholl: Hat Tony Blair Ihr Buch gelesen und Sie vielleicht mal angerufen?
Harris: Also, ich weiß das nicht. Manche aus seinem Umkreis haben mir gesagt, er habe es gelesen, was mich wiederum überrascht, denn eigentlich liest er keine Romane. Seine Frau liest Romane, ich glaube, ich werde ihn eher in den Film schicken oder im Grunde ihm dieses ganze zu lesende Buch einfach überlassen.
Scholl: Sie haben einmal in einem Interview gesagt: "Nicht viele Romanciers sind der Macht so nahegekommen wie ich." Was hat Ihnen diese Nähe gebracht, Robert Harris, vielleicht auch beigebracht?
Harris: Nun, ich nehme an, ich habe daraus gelernt, dass sehr vieles in der Politik eben aus sich geschieht. Hinter vielem steckt kein Plan, die Politiker versuchen sich mit Notbehelfen in der jeweiligen Situation zu helfen. Ich hege Achtung vor den Politikern. Ich glaube, sie haben ein hartes Los, in gewisser Weise sogar einen existenziellen Albtraum, weil sie eben beständig zwischen zwei Übeln das kleinere wählen müssen.
Und das habe ich auch im "Titan" so ausgedrückt. Politiker sind Menschen, die, um etwas Gutes zu schaffen, den Pakt mit dem Teufel eingehen müssen. So gilt das auch für Cicero, und ich meine sogar, dass es für alle Politiker mehr oder minder gilt.
Ich habe auch Tony Blair einmal gefragt, ob er mir zustimme, dass alle politischen Karrieren letztlich im Scheitern enden müssten, weil das eben das Wesen des Menschenlebens sei. Und er stimmte mir zu, was ich bemerkenswert fand, denn in seinem Amt hatte er sich damit als besonnener Politiker erwiesen. Mir ist auch noch geblieben ein gewisses Vertrauen in das, was die Politiker machen und was sie ausdrücken in kaum wahrnehmbaren Dingen, etwa in der Körpersprache, in dem Wirken des Geistes, wenn sie sich vorbereiten auf einen großen Auftritt, in jenen undefinierbaren kleinen Gesten, in denen sich eben das Wesen des Politischen auch zeigt, diese Stille, ehe sie dann die Rednerbühne betreten, wo sie dann ihre Darstellung abliefern. Ich habe vieles davon in mich aufgenommen. Ich konnte in diesen vier Wochen, die ich Tony Blair vor der Wiederwahl 1997 begleitete, eben so viel Material aufsammeln, dass ich für 20 oder 30 Jahre Stoff zum Schreiben habe.
Scholl: Im nächsten Februar kommt "Ghost" in die Kinos. Roman Polanski sitzt derzeit in Haft, er hat praktisch noch aus der Zelle heraus den Film fertiggestellt. Sie sind mit Roman Polanski auch befreundet, Robert Harris, muss für Sie eine merkwürdige Situation sein, oder?
Harris: Na ja, für ihn ist es ja wohl schlimmer als für mich. Ich bin wirklich erschüttert zu sehen, dass er in dieser Lage steckt. Wir haben ja über Jahre hinweg eine gute Freundschaft aufgebaut. Ich hoffe nur, dass die Situation sich möglichst rasch bereinigen lässt, aber wie, das weiß ich natürlich nicht.
Scholl: Robert Harris, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und für das Gespräch. Alles Gute für den neuen Roman "Titan", der jetzt im Heine-Verlag erschienen ist, und viel Spaß noch in Deutschland.
Harris: Thank you, has been a great pleasure to come and see you!
Letzterer war der erste Roman über den römischen Rhetor und Politiker Cicero. Jetzt erscheint die Fortsetzung: "Titan". Robert Harris war bei uns im Deutschlandradio Kultur zu Gast, und ich habe ihn zunächst gefragt, warum die politischen Verhältnisse im alten Rom ihn anscheinend so nachhaltig faszinieren.
Robert Harris: Die Politik im alten Rom steht einfach überzeugend da. Sie steht im technischen Sinn großartiger da, sie überragt uns. Große Männer wie Cicero, Crassus, Cato, Caesar, Catilina, alles sehr machtvolle Gestalten, lebten gleichzeitig, kämpften und fanden alle übrigens auch ein gewaltsames Ende. Die Wahlen wurden mit äußerster Erbitterung gegeneinander ausgefochten. Überall kochten Dramen hoch, der Senat war Bühne für großartige Reden. Mit dem verglichen ist unsere heutige Politik eigentlich nur ein Abglanz. Die Römer haben alles vorgemacht. Alles, was wir heute unter Politik verstehen, haben sie schon vordemonstriert, und zwar auf eine Weise, die alle Ländergrenzen, alle Sprachen übersteigt. Rom hat den Weg gewiesen.
Scholl: Es geht in "Titan" um Intrigen und Ränke, Macht und Einfluss. Können wir, Mr. Harris, daraus etwas lernen eigentlich, um das Wesen auch unserer heutigen Politik besser zu verstehen?
Harris: Nun, ich glaube, dass wir durchaus etwas lernen können oder mindestens doch zur Kenntnis nehmen. Die Schwierigkeit, eine Demokratie aufrechtzuerhalten, wenn sie mit Geldströmen überschwemmt wird, die Schwierigkeit, eine Demokratie zu bewahren, wenn das Machtbegrenzungsgefüge außer Rand und Band gerät, und auch dieses Gefühl, man sei die einzige verbleibende Übermacht, die auch große Besitzungen jenseits der eigenen Kontinentgrenzen habe, alles das kann man auch damals schon sehen.
Die Römer waren damals überzeugt, dass ihre Demokratie, die schon seit Jahrhunderten bestand, auch noch Jahrhunderte weiter bestehen würde. Es kam aber nicht so. Die römische Geschichte lehrt uns, wie schnell scheinbar stabile politische Systeme zerfallen können, wie schnell sie in den Abgrund geraten. Cicero stemmte sich dagegen, er versuchte alles zu tun, um die Integrität der römischen Republik aufrechtzuerhalten. Es ist ihm nicht gelungen, weil um ihn herum das ganze Gefüge zusammenbrach und er als Einzelner das nicht aufhalten konnte.
Scholl: Sie haben dieses Buch das Produkt einer Obsession für Politik genannt. Erzählen Sie uns davon, Robert Harris, was macht Sie so politikbesessen?
Harris: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der man häufig über Politik sprach. Nach und nach nahm für mich Politik den Raum ein, den meine Altersgenossen eher dem Fußball zuschreiben. Mir hat immer gefallen, wie hier Argumente und Persönlichkeiten aufeinanderprallen, wie sich vor unseren Augen die Geschichte entfaltet, das Ränkespiel, das wild bewegte Hin und Her hat mich immer fasziniert.
Politik wirft doch ein Licht auf die menschliche Natur, Politik enthüllt wie kaum etwas anderes die Stärken und Schwächen eines Menschen. Mich stimmt es aber traurig, wenn ich sehe, wie langweilig und aschgrau heute die Politik daherkommt. Damals im antiken Rom, diesen Stoff zu beschreiben, das war für mich wirklich ein großes Vergnügen. In der Antike zeigte sich eben, was alles in der Politik zu machen ist. Es ist spannend, und das war für mich die große Herausforderung.
Scholl: Der englische Schriftsteller Robert Harris im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Viele deutsche Leser werden "Titan" verschlingen, Mr. Harris, und vermutlich noch mehr Zuschauer werden im nächsten Februar ins Kino strömen, wenn "Ghost" gezeigt wird, ein Politthriller von Roman Polanski. Es ist die Verfilmung Ihres Romans über einen britischen Expremier, der, ja, starke Züge von Tony Blair trägt. Ist das Ihr moderner Cicero?
Harris: Nun, es gibt durchaus gewisse Ähnlichkeiten zwischen Cicero und Tony Blair. Beide sind Rechtsanwälte, beide sind begabte Redner, beide sind auch ziemlich ausgepicht als Politiker, aber damit enden die Ähnlichkeiten auch schon. Cicero war wirklich die Verkörperung der römischen Republik. Ich hege Zweifel, ob sich etwas Ähnliches über Tony Blair sagen lässt.
Ich meine, er spielt nicht ganz in derselben Weltliga, obwohl man vielleicht noch abwarten muss, was er in seinen Memoiren schreibt. Vielleicht ist das ja dann ein Meisterwerk, obwohl ich auch hier wiederum Zweifel hege.
Scholl: Wer Ihre Karriere als politischer Journalist verfolgt hat, Mr. Harris, weiß, dass Sie sehr eng mit Tony Blair vertraut, ja vielleicht sogar befreundet waren. Man sagt, dass kein Journalist je Tony Blair nähergekommen sei als Sie. Was ist aus dieser Beziehung geworden?
Harris: Ich empfinde gegenüber Tony Blair Dankbarkeit. Ich habe ihn in der Tat recht gut kennengelernt in den frühen Tagen seiner Premierministerschaft, im Wesentlichen aber bin ich Schriftsteller, und er war ein politisch führender Repräsentant. Und aus diesem Grund war unsere Beziehung im Grunde immer durch berufliche Belange geprägt.
Es stimmt aber schon, ich habe das politische Geschehen aus großer Nähe beobachten können, mehr als viele Journalisten und sicherlich als die meisten Romanschriftsteller. Ich glaube aber, dass Tony Blair im Grunde nicht allzu viel gegen meine Fassung dieser Geschichte einzuwenden haben wird. Ein Schauspieler, den er sehr schätzt, Pierce Brosnan, wird ja da den Premierminister verkörpern – obwohl Blair ja den Film noch nicht gesehen hat –, aber ich glaube, er wird kaum etwas dagegen einzuwenden haben.
Ich selbst habe auch keine Probleme mit dem, was ich gemacht und geschrieben habe. Ich bin einfach ein Schriftsteller, der mit dem Stoff arbeitet, der ihn umgibt und in gewisser Weise sind eben alle Schriftsteller auch Verräter.
Scholl: Hat Tony Blair Ihr Buch gelesen und Sie vielleicht mal angerufen?
Harris: Also, ich weiß das nicht. Manche aus seinem Umkreis haben mir gesagt, er habe es gelesen, was mich wiederum überrascht, denn eigentlich liest er keine Romane. Seine Frau liest Romane, ich glaube, ich werde ihn eher in den Film schicken oder im Grunde ihm dieses ganze zu lesende Buch einfach überlassen.
Scholl: Sie haben einmal in einem Interview gesagt: "Nicht viele Romanciers sind der Macht so nahegekommen wie ich." Was hat Ihnen diese Nähe gebracht, Robert Harris, vielleicht auch beigebracht?
Harris: Nun, ich nehme an, ich habe daraus gelernt, dass sehr vieles in der Politik eben aus sich geschieht. Hinter vielem steckt kein Plan, die Politiker versuchen sich mit Notbehelfen in der jeweiligen Situation zu helfen. Ich hege Achtung vor den Politikern. Ich glaube, sie haben ein hartes Los, in gewisser Weise sogar einen existenziellen Albtraum, weil sie eben beständig zwischen zwei Übeln das kleinere wählen müssen.
Und das habe ich auch im "Titan" so ausgedrückt. Politiker sind Menschen, die, um etwas Gutes zu schaffen, den Pakt mit dem Teufel eingehen müssen. So gilt das auch für Cicero, und ich meine sogar, dass es für alle Politiker mehr oder minder gilt.
Ich habe auch Tony Blair einmal gefragt, ob er mir zustimme, dass alle politischen Karrieren letztlich im Scheitern enden müssten, weil das eben das Wesen des Menschenlebens sei. Und er stimmte mir zu, was ich bemerkenswert fand, denn in seinem Amt hatte er sich damit als besonnener Politiker erwiesen. Mir ist auch noch geblieben ein gewisses Vertrauen in das, was die Politiker machen und was sie ausdrücken in kaum wahrnehmbaren Dingen, etwa in der Körpersprache, in dem Wirken des Geistes, wenn sie sich vorbereiten auf einen großen Auftritt, in jenen undefinierbaren kleinen Gesten, in denen sich eben das Wesen des Politischen auch zeigt, diese Stille, ehe sie dann die Rednerbühne betreten, wo sie dann ihre Darstellung abliefern. Ich habe vieles davon in mich aufgenommen. Ich konnte in diesen vier Wochen, die ich Tony Blair vor der Wiederwahl 1997 begleitete, eben so viel Material aufsammeln, dass ich für 20 oder 30 Jahre Stoff zum Schreiben habe.
Scholl: Im nächsten Februar kommt "Ghost" in die Kinos. Roman Polanski sitzt derzeit in Haft, er hat praktisch noch aus der Zelle heraus den Film fertiggestellt. Sie sind mit Roman Polanski auch befreundet, Robert Harris, muss für Sie eine merkwürdige Situation sein, oder?
Harris: Na ja, für ihn ist es ja wohl schlimmer als für mich. Ich bin wirklich erschüttert zu sehen, dass er in dieser Lage steckt. Wir haben ja über Jahre hinweg eine gute Freundschaft aufgebaut. Ich hoffe nur, dass die Situation sich möglichst rasch bereinigen lässt, aber wie, das weiß ich natürlich nicht.
Scholl: Robert Harris, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und für das Gespräch. Alles Gute für den neuen Roman "Titan", der jetzt im Heine-Verlag erschienen ist, und viel Spaß noch in Deutschland.
Harris: Thank you, has been a great pleasure to come and see you!