Die Revolution streichelt ihre Kinder

Von Jörn Florian Fuchs · 21.04.2012
Wolfgang Rihm erzählt vom Konflikt zweier Kulturen und Herrschaftssysteme, doch zentral sind für ihn Fragen nach der Verknüpfung von Geschlecht und Macht. Regisseurin Inga Levant pfropft seinem Stück in Saarbrücken nach konzertantem Stillstand einen szenischen Overkill auf.
Mit eher leichtem, aber unruhigem Trommelgewirr geht die Chose los. Von allen Seiten kommt das, vor allem aus den Rängen. Vorn auf der Bühne des Saarländischen Staatstheaters nehmen derweil gemächlich festlich gekleidete Musiker Platz, Gesangssolisten erscheinen, auch der Dirigent eilt herbei. Wir sehen einen Konzertsaal im Stil der 50er- oder 60er-Jahre. Bald strömen gewaltige Orchesterfluten, zarte Kantilenen heben und senken sich in einem häufig nervös durchzuckten Klangmeer. Ganz oben thront sogar ein Organist, der zwar Noten hat, aber nichts spielt.

Hatten wir da einen Bericht der Tagespresse verpasst? Gibt es wieder mal Streik? Warum in aller Welt stellt das Programmheft ein Regieteam vor? Eine geschlagene halbe Stunde lang wird in Saarbrücken Mexiko ausschließlich konzertant erobert. Und das sehr schön und konzentriert. Es ist wunderbar, wie Gesungenes mit hohem Blech und schrillem Schlagwerk korrespondiert, wie Rihm immer neue Farbmischungen entwirft. Der vom Band eingespielte Chor (von der Hamburgischen Staatsoper) ergeht sich dabei vorwiegend in minimalistisch erregten Tutti-Wallungen.

Nur kurz sorgen zu spät kommende Zuschauer in der ersten Reihe und ein vorbei huschender Typ mit einem Zettel für Unruhe. Nach 30 Konzertminuten gibt es dann doch noch etwas, dass den Begriff Inszenierung vielleicht nicht wirklich verdient, aber immerhin: es schleichen jetzt ein Mann mit schwarzen Flügeln und eine Frau in Federschmuck herum und singen sich an. Es handelt sich um Montezuma (von der Sopranistin Birgit Beckherrn mit viel Kraft und Schönheit interpretiert) und Cortez (der hinreißende Bariton James Bobby).

Wolfgang Rihm erzählt eher nebenbei vom (historischen) Konflikt zweier Kulturen und Herrschaftssysteme, zentraler sind für ihn Fragen nach der Verknüpfung von Geschlecht und Macht. Das gesamte Werk durchzieht immer wieder das gesungene, gekeuchte oder geschrieene Triptychon neutral weiblich männlich. Dazu greift der Komponist auf einen Text des französischen Grenzgängers Antonin Artaud zurück, dessen an dunkler Metaphysik orientiertes Theater der Grausamkeit Rihm in unzähligen Stücken aufgegriffen hat. Auch ein existentialistisch düsteres Gedicht von Octavio Paz schwingt mit hinein in dieses experimentelle Musiktheater, das statt einer durchlaufenden Handlung vor allem Zustände generieren und ausloten will. Cortez’ Gier nach Gold, Montezumas mal ablehnende, mal neugierige Haltung dem absolut Fremden gegenüber läuft bei Rihm nur als Hintergrundrauschen mit.

Auch Regisseurin Inga Levant verzichtet auf zuviel Konkretes. Allerdings pfropft sie dem Stück etwas sehr Sonderbares auf. Nach dem konzertanten Stillstand folgt nämlich bald der szenische Overkill. Omis schneiden Musikern die Krawatten ab, Flugblätter mit dem Hinweis ACHTUNG, KUNST! fliegen herum, Transparente mit Weisheiten wie ART IS NOT A CRIME! werden enthüllt, man entkleidet sich ein wenig und tanzt wild herum, Notenständer ergeben übereinander gestapelt eine hübsche Skulptur. Montezuma trägt plötzlich ein Che-Guevara-T-Shirt, eigenartige Tierwesen kriechen am Boden. Dies alles ist rasch ermüdender Fluxus-Fasching, der wohl erhoffte Exzess kommt statt revolutionär leider nur kontrolliert und bieder daher.

Der vermeintliche Organist entpuppt sich übrigens als Doppelgänger Artauds und brüllt ziemlich viel, nebenbei räkelt er sich ein wenig am Geländer des Dirigentenpodests. Im Stück tritt eine Tänzerin als Dolmetscherin zwischen Cortez und Montezuma auf, diese Rolle soll der Artaud-Verschnitt laut Besetzungszettel ebenso verkörpern. Doch übersetzt wird hier gar nichts, vielmehr erweist man Artaud einen Bärendienst. Denn Boris Pietsch – pardon – quietscht sich durch seine Partie bis zur Peinlichkeit. Artaud wollte ein Theater der Eskalation, des Ritus, des Wahnsinns. In Saarbrücken applaudiert man am Ende höflich allen Beteiligten. Der Pseudo-Artaud zertrümmert vorher noch eben die Papp-Orgel und schmiert sich mit weißer und roter Farbe ein…

Der wirkliche Glanzpunkt dieser Premiere war das von Thomas Peuschel gut präparierte Orchester. Schade um den Aufwand!

Informationen des Staatstheaters Saarbrücken zu "Die Eroberung von Mexiko"
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