Die Retter des "Magazins"

Von Mirko Schwanitz |
Deutschlands ungewöhnlichste überregionale Kultur-Zeitschrift "Das Magazin" feierte vor kurzem ihren 80. Geburtstag: 1924 nach amerikanischem Vorbild gegründet, musste sie während des Zweiten Weltkrieges eingestellt werden. 1954 wurde es in der DDR wieder aufgelegt und hat als eine der wenigen DDR-Zeitschriften bis heute überlebt - doch nur Dank des Geschwisterpaares Michael und Manuela Thieme aus Frankfurt/Oder.
Magazin – ein Wort das eigentlich aus dem Arabischen stammt. Dort nämlich bezeichnet man mit "machasin" gemeinhin Sammelorte für wertvolle Waren. Und als solchen begreift sich die fünfköpfige Redaktion in der Berliner Tieckstraße.
Layouterin: "Das ist jetzt die Dezemberausgabe."
Chefredakteurin: "Da planen wir einen Beitrag über Street-art, dass ist das, was den Graffitis folgt an den Wänden. ... Also ich find an den Bildern ein bisschen schade, dass man nur die Arbeiten sieht und nicht den Raum. "
Layouterin: "Wie hier? Ja? "
Chefredakteurin: "Ja, wie hier, es ist ja oft in der Nähe von Ampeln…"

In einer umgebauten Parterrewohnung diskutieren Layouterin Inka Baron und Chefredakteurin Manuela Thieme über eine neue Fotostrecke

Chefredakteurin: "...wenn nicht schicken wir noch mal jemanden los. Es gibt hier in der Umgebung jemanden, der auf den Bordstein sprüht: Es wird wieder! Und das gefällt mir so gut, weil das so schön passt…"

Es wird schon wieder! Ein Spruch wie gemacht für die kleine Zeitschrift aus dem Herzen Berlins, die im Osten jeder und im Westen kaum jemand kennt. Ein Spruch auch wie gemacht für das Geschwisterpaar Manuela und Michael Thieme aus Frankfurt/Oder, ohne die die deutsche Zeitungslandschaft beinahe ihre traditionsreichste Monatszeitschrift verloren hätte.

Manuela Thieme: "Die ging zurück auf einen Vorläufer, der schon 1924 in Berlin gegründet war und 1941 aus Kriegsgründen eingestellt wurde."

Bis dahin war "Das Magazin" die Zeitschrift, in der sich wie in keiner anderen der Rausch wieder spiegelte, dem sich das Berlin der 20er und 30er Jahre hingab, mit über 200.000 Exemplaren die größte deutsche Monatszeitschrift, in deren Redaktion nicht nur Marlene Dietrich, sondern auch Henry Porten, Emil Jannings oder Fritz Lang ein- und ausgingen. 1954 ließ die DDR-Führung das Blatt wieder aufleben.

Manuela Thieme: "Weil, damals gab es eine große Unzufriedenheit. Stichwort 17. Juni. Da ging es ja auch gegen eine unerträgliche Presse. Und daraufhin hat die DDR-Führung beschlossen, unterhaltsame Zeitschriften in Aussicht zu stellen. "

Es waren zurückgekehrte jüdische Emigranten wie Hans und Hilde Eisler sowie Bertolt Brecht, die der Zeitschrift neues Leben einhauchten. In ihr konnten Autoren wie Erich Loest selbst dann noch veröffentlichen, als sie im Rest der DDR längst Publikationsverbot hatten. Auslandsreportagen, Berichte über die neueste Pariser Mode, Aktfotos und Porträts von Prominenten abseits des sonst in der DDR gepflegten Sprachstils – das, so meint Michael Thieme, schuf den Mythos des Magazins, machte die Zeitschrift zu etwas Besonderem.

Michael Thieme: "…die so genannte Bückware und daher kommt sicherlich auch diese Situation, dass man eben sagt, ich sag mal, immer 'ne Kaffeetüte und 'ne Konfektschachtel bei der Kioskfrau hinterlassen, um regelmäßig das Magazin zu bekommen."

Manuela Thieme: "Das alles änderte sich dann innerhalb eines Jahres dramatisch, weil mit der Öffnung des Medienmarktes enorm viel bunte Konkurrenz kam und die Neugier der Ostdeutschen auf andere Zeitungen groß war. Die Auflage sank drastisch von 500.000 auf schnell unter 100.000."

Die kleine Zeitschrift gerät ins Trudeln, Gruner und Jahr kauft sie, will sie zum "Playboy des Ostens" machen. Es funktioniert nicht.

Manuela Thieme: "Das Magazin war Ende 2000 in Insolvenz gegangen und es war so, dass wir hier in der Redaktion nicht weiterkamen mit der Suche nach einem Mann mit dem großen Geldkoffer, dass dann eigentlich die Überlegung begann, wer kennt jemand, den man davon überzeugen könnte, dass es sich lohnt. Und mir fiel dann mein Bruder ein."

Michael Thieme besitzt in Frankfurt/Oder eine kleine Agentur, die vor allem Grafikdienstleistungen anbietet. Doch Frankfurt/Oder ist für Unternehmer ein heißes Pflaster und so wusste Manuela nicht, dass ihr Bruder mit seiner Firma damals selbst in finanziellen Schwierigkeiten steckte.

Michael Thieme: "Insofern war es von unserer Agenturseite her ein mutiger Schritt zu sagen, wir machen das. Also es war so, dass sie mal beiläufig erzählte, sollte ich mal jemanden kennen, der mal eine gewisse Summe X auf dem Konto hat, dann solle ich Bescheid sagen. Und da hab ich gesagt, also wenn die Mannschaft steht, dann kommen wir mit ins Boot. Und dann schwang so ein bisschen ostdeutsche Mentalität und Glauben mit, um zu sagen: Das Heft darf nicht eingehen!"

Klingt fast wie Manuelas geliebter Spruch: Es wird schon wieder. Und es wurde ja auch wieder. Wohltuend heben sich die illustrierten Cover des "Magazins" am Bahnhofskiosk – denn nur dort bekommt man das Blatt – von den immergleichen Dekolletés immergleicher Covergirls ab. Witzig und selbstbewusst verkünden die Titel ihre Themen:

Manuela Thieme: "Titelzeilen sind nicht unsere absolute Stärke. Aber wir lernen. Im Oktoberheft haben wir getitelt "Immer mit der Ruhe. Grundkurs in Katastrophengymnastik." Da ging es darum, dass durch die Medien das Panikpotenzial immer weiter gedreht wird, also diese künstlich hochgehaltene Erregungskurve, also dass man doch mal sagt: Langsam, langsam, es lohnt sich: Ruhe bewahren, Tee trinken und überlegen, ob die Welt uns wirklich um die Ohren fliegt. Im Märzheft haben wir den Titel gehabt: "Wahre Liebe. Rezepte vom Zentralkomitee für Gefühle". "Beruf Lebenskünstler", das ist unser aktueller Titel im November, weil damit wieder so ein Nerv getroffen wird, dass heutzutage nicht nur irgendwie so verspinnerte Kleinkünstler als Lebenskünstler wahrgenommen werden. Heute ist ja auch die Verkäuferin, die mit einem 400-Euro-Job klarkommen muss, letztlich eine Lebenskünstlerin."

Das Konzept von Michael und Manuela Thieme scheint aufzugehen. Die Zeitschrift finanziert sich als eine der wenigen in der deutschen Medienlandschaft nicht durch das Anzeigengeschäft, sondern zu 80 Prozent durch die Abonnenten. So gesehen ist das Magazin sogar das Blatt mit der stabilsten Leserbindung. Die Auflage klettert, steht derzeit bei 65.000 Exemplaren. Der typische neue Leser kommt vor allem aus dem Westen.

Michael Thieme: "Hm, wie er aussieht, weiß ich nicht. Wie er sich seelisch befindet, dass kann man vielleicht beschreiben. Also er steht mitten im Leben, er leidet nicht an Depressionen, er sucht tatsächlich dem Alltag die schönen Seiten abzugewinnen. Er ist ein genussfreudiger Mensch, oft mit akademischer Bildung..."

Manuela Thieme: "Also wir kriegen ausdrücklich zurückgemeldet, dass man froh ist, eine Zeitschrift lesen zu können, die nicht als verkappter Verkaufskatalog daherkommt. Dass sie da nicht so bombardiert werden, an jeder Stelle immer kaufen, kaufen, kaufen. "

Manuela Thieme und ihre Redaktion wollen weiter ein Blatt machen, das anschreibt gegen das deutsche Jammertal und doch nicht den Konsum als Allheilmittel propagiert. Das sich tatsächlich irgendwie als "machasin" versteht, jenes Schatzkämmerchen also, in das man für einen kurzen Augenblick eintreten und etwas finden kann, das einen glücklich macht.

Manuela Thieme: "Das muss ein Monatsmagazin schaffen. Die Freude am Leben zu vermitteln, den Spaß daran Dinge zu entdecken, dass wir für unsere Leser ein angenehmer Begleiter sind in diesen ja oft sehr trüben Zeiten. Erbaulich, ohne das man die Dinge irgendwie glatt bügelt oder schönfärbt."

Michael Thieme: "Unser Spruch ist ja auch. Nur Mut. Und den haben wir bewiesen mit der Übernahme. Und ich denke auch, dass es einem Großteil unserer Leser so geht, dass sie jeden Tag, wo auch immer, wieder neu anfangen müssen und sagen: Das schaffen wir. Die, wie das jüngste Heft jetzt, Lebenskünstler sind, die wirklich Freude haben an Geschichten, wie es anderen Menschen ergeht. "