Die Reise lohnt sich!
Ein echter Geheimtipp für den verwöhnten Opernfreund, der alles kennt, ist immer noch Cottbus, seines Zeichens "Staatstheater", wie es sich seit 1992 nennen darf. Ein bisschen liegt es ja ‚in the middle of nowhere’ und ist doch von Berlin, aber auch von Leipzig aus gut in knapp zwei Stunden zu erreichen. Es ist eines der wenigen Drei-Sparten-Häuser, das sich in vollem Umfang erhalten hat, und es steht seit den Tagen des Intendanten Christoph Schroth, der es nach der Wende übernahm, für eine gelungene Mischung aus Herkömmlichem und Innovation.
Dieses Jahr kann das Haus, eine überaus reizvolle Jugendstil-Schatulle vom Theater-des-Westens-Architekten Bernhard Sehring, zudem sein 100-jähriges Bestehen feiern. Nach 14-monatiger Renovierung erstrahlt es seit vergangenem Herbst in neuem Glanz und ist für sich genommen schon ein architektonisches Juwel, das die Reise in die Lausitz lohnt.
Versteht sich, dass man im Jubiläumsjahr auch mit originellen Inszenierungen punkten will. Für diese Spielzeit gilt das Motto "Sich finden". Damit sind nicht nur Geliebten- oder Familienzusammenführungen gemeint, sondern vor allem die Selbstfindung von desorientierten Zeitgenossen, die ihren sozialen Ort heutzutage mehr und mehr selber bestimmen müssen. Der neue Intendant, der aber dem Hause schon seit vielen Jahren als Operndirektor angehört, Martin Schüler, hat das Motto ausgegeben. Didaktische Aufbereitung, eine der guten Traditionen der ehemaligen DDR, die man in diesen Breiten immer noch sehr ernst nimmt, wird nach wie vor groß geschrieben. Es wird versucht, gerade in den großen Werken des klassischen Repertoires dasjenige herauszupräparieren, was auch dem heutigen Theatergänger einen Zugang aus aktueller Sicht zum Überkommenen bereitet. So spielt beispielsweise die Produktion von Puccinis "Bohème" (Regie: Martin Schüler) unter Vertretern des aktuellen Prekariats. Aller bittersüßen Romantik des 19. Jahrhunderts entkleidet, die das Stück oft reichlich kitschig macht, sehen wir hier Mittdreißiger am Werk, denen eigentlich nur noch ihr Galgenhumor geblieben ist – von Integration in die "Arbeitsgesellschaft" keine Spur. Wenn der Vorhang sich hebt zum dritten und letzten Akt, kommen keine Marktfrauen aus dem Pariser Umland im Morgengrauen an die Stadtgrenze, vielmehr geht in einer billigen Kaschemme hinter einer Deutschlandfahne eine offenbar sehr ärmliche Fusel-Party zu Ende.
Auch im Bereich der Operette, einer Spezialität des Hauses, das in dieser Hinsicht zuletzt mit der Ausgrabung von Offenbachs "Rheinnixen" sogar überregional von sich reden machte, auch im Bereich der Operette also setzt man mehr auf Botschaft als auf Unterhaltung. Das kann dann manchmal doch ein wenig spröde werden. So ist Millöckers "Bettelstudent" in der Regie von Hauke Tesch vielleicht ein wenig zu stark Lehrstück in Sachen Standesgrenzen, die die Liebe überwindet, geworden statt lustvoll und charmant das gesellschaftliche Qui-pro-Quo unter adelsstolzen Polinnen, neureichen Sachsen und mittellosen Bettelstudenten um 1700 auszuspielen.
Die ehrgeizigste Aufführung dieser Spielzeit aber dürfte die jüngste Produktion des Staatstheaters Cottbus sein, in der ein weiteres Markenzeichen der neuen Leitung voll zum Tragen kommt: das Einbeziehen aller Sparten. Am Beispiel von Shakespeares letztem Stück, dem "Sturm", werden Schauspieler, Musiker und Tänzer in ein Großprojekt eingebunden. Besonderes Schmankerl: Bühnenmusik von Jean Sibelius, bisher in Deutschland noch nicht aufgeführt. Unter großem szenischem Aufwand und mit vielen Theatereffekten wird hier das Menschheitsdrama von Prospero, dem Intellektuellen in der Politik, verhandelt. Frieder Venus gibt ihn als Alt-68er mit grauem Langhaar und Nickelbrille. Die Bühnenästhetik von Martin Schüler, Hauke Tesch und Gundula Martin ist nicht zuletzt von Peter Greenaways Film "Prosperos books" geprägt, der Shakespeares rhapsodische Durchmischung von Elementen des Staats- und Liebesdrama sowie des Rüpelspiels in surreale Bilder aufgelöst hat.
Das ist alles in allem hier in Cottbus fast des Guten ein wenig viel, zumal im Gegensatz zur sonst dominierenden Botschaft die Überflutung mit Figuren und Seperathandlungen die Hauptfigur Prospero an den Rand zu drängen droht. Aber wo es so viel zu schauen und zu staunen gibt, wozu sich noch die Fülle des süffigen Wohllauts von Sibelius’ Bühnenmusik gesellt, triumphiert eben der ästhetische Mehrwert, das freie Spiel, das selig in sich selbst kreist. Dieser überschüssigen Energie sollte man sich in Cottbus ruhig noch etwas häufiger überlassen. Die musikalischen und schauspielerischen Mittel dafür haben sie jedenfalls alle hier, die Sänger, die Orchestermusiker, Tänzer und Schauspieler, die sich sämtlich durch Frische und großes Engagement auszeichnen.
Versteht sich, dass man im Jubiläumsjahr auch mit originellen Inszenierungen punkten will. Für diese Spielzeit gilt das Motto "Sich finden". Damit sind nicht nur Geliebten- oder Familienzusammenführungen gemeint, sondern vor allem die Selbstfindung von desorientierten Zeitgenossen, die ihren sozialen Ort heutzutage mehr und mehr selber bestimmen müssen. Der neue Intendant, der aber dem Hause schon seit vielen Jahren als Operndirektor angehört, Martin Schüler, hat das Motto ausgegeben. Didaktische Aufbereitung, eine der guten Traditionen der ehemaligen DDR, die man in diesen Breiten immer noch sehr ernst nimmt, wird nach wie vor groß geschrieben. Es wird versucht, gerade in den großen Werken des klassischen Repertoires dasjenige herauszupräparieren, was auch dem heutigen Theatergänger einen Zugang aus aktueller Sicht zum Überkommenen bereitet. So spielt beispielsweise die Produktion von Puccinis "Bohème" (Regie: Martin Schüler) unter Vertretern des aktuellen Prekariats. Aller bittersüßen Romantik des 19. Jahrhunderts entkleidet, die das Stück oft reichlich kitschig macht, sehen wir hier Mittdreißiger am Werk, denen eigentlich nur noch ihr Galgenhumor geblieben ist – von Integration in die "Arbeitsgesellschaft" keine Spur. Wenn der Vorhang sich hebt zum dritten und letzten Akt, kommen keine Marktfrauen aus dem Pariser Umland im Morgengrauen an die Stadtgrenze, vielmehr geht in einer billigen Kaschemme hinter einer Deutschlandfahne eine offenbar sehr ärmliche Fusel-Party zu Ende.
Auch im Bereich der Operette, einer Spezialität des Hauses, das in dieser Hinsicht zuletzt mit der Ausgrabung von Offenbachs "Rheinnixen" sogar überregional von sich reden machte, auch im Bereich der Operette also setzt man mehr auf Botschaft als auf Unterhaltung. Das kann dann manchmal doch ein wenig spröde werden. So ist Millöckers "Bettelstudent" in der Regie von Hauke Tesch vielleicht ein wenig zu stark Lehrstück in Sachen Standesgrenzen, die die Liebe überwindet, geworden statt lustvoll und charmant das gesellschaftliche Qui-pro-Quo unter adelsstolzen Polinnen, neureichen Sachsen und mittellosen Bettelstudenten um 1700 auszuspielen.
Die ehrgeizigste Aufführung dieser Spielzeit aber dürfte die jüngste Produktion des Staatstheaters Cottbus sein, in der ein weiteres Markenzeichen der neuen Leitung voll zum Tragen kommt: das Einbeziehen aller Sparten. Am Beispiel von Shakespeares letztem Stück, dem "Sturm", werden Schauspieler, Musiker und Tänzer in ein Großprojekt eingebunden. Besonderes Schmankerl: Bühnenmusik von Jean Sibelius, bisher in Deutschland noch nicht aufgeführt. Unter großem szenischem Aufwand und mit vielen Theatereffekten wird hier das Menschheitsdrama von Prospero, dem Intellektuellen in der Politik, verhandelt. Frieder Venus gibt ihn als Alt-68er mit grauem Langhaar und Nickelbrille. Die Bühnenästhetik von Martin Schüler, Hauke Tesch und Gundula Martin ist nicht zuletzt von Peter Greenaways Film "Prosperos books" geprägt, der Shakespeares rhapsodische Durchmischung von Elementen des Staats- und Liebesdrama sowie des Rüpelspiels in surreale Bilder aufgelöst hat.
Das ist alles in allem hier in Cottbus fast des Guten ein wenig viel, zumal im Gegensatz zur sonst dominierenden Botschaft die Überflutung mit Figuren und Seperathandlungen die Hauptfigur Prospero an den Rand zu drängen droht. Aber wo es so viel zu schauen und zu staunen gibt, wozu sich noch die Fülle des süffigen Wohllauts von Sibelius’ Bühnenmusik gesellt, triumphiert eben der ästhetische Mehrwert, das freie Spiel, das selig in sich selbst kreist. Dieser überschüssigen Energie sollte man sich in Cottbus ruhig noch etwas häufiger überlassen. Die musikalischen und schauspielerischen Mittel dafür haben sie jedenfalls alle hier, die Sänger, die Orchestermusiker, Tänzer und Schauspieler, die sich sämtlich durch Frische und großes Engagement auszeichnen.